Interview

Detlef Kuschka: „Das Radio hat sich in den vergangenen Jahren zu sehr als Begleitmedium verstanden“

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Er ist der „Content-Verbesserer“: Journalist Detlef Kuschka berät Radiosender in Deutschland und Österreich, begleitet Change-Prozesse und trainiert Führungskräfte. Bis 2012 war er Chefredakteur/stv. Programmdirektor von Antenne Bayern, Deutschlands größtem Privatradio. Mit Detlef Kuschka haben wir über Formatregeln, Wetter und Verkehr im Radio, den Spagat eine gute Personality zu sein und über „die Theorie des großen Knopfes“ gesprochen. Außerdem haben wir gefragt: Können sich (überdurchschnittlich) gebildete Menschen im klassischen Mainstream-Radio überhaupt noch wiederfinden?

Zur Person: Detlef Kuschka

20 Jahre lang arbeitete Detlef Kuschka bei Antenne Bayern. Ab 1992 zunächst als Magazin-Chef, später als Chefredakteur und stv. Programmdirektor. Seine journalistische Laufbahn begann er davor bei der Allgäuer Zeitung. Kuschka unterrichtet an der Deutschen Journalistenschule (DJS) in München und an der Akademie für Publizistik in Hamburg. Inzwischen berät er zahlreiche Radiosender.
Der Berliner Radiomarkt ist massiv umkämpft. Deshalb ist er auch fast zu Tode formatiert.
Einspruch. Gerade weil der Berliner Radiomarkt so umkämpft ist, ist er so innovativ. Wären alle Sender austauschbar, wären sie überflüssig und schon weg. Schauen wir auf rs2 oder den Berliner Rundfunk: Die Sender waren zuletzt sehr erfolgreich. Da muss die Konkurrenz reagieren. Aber die anderen Sender müssen auch gut überlegen: Wenn sie einfach das gleiche machen, dann gewinnen sie keinen Blumentopf. Deshalb ist der Markt sehr spannend. Übrigens auch deshalb, weil nirgendwo anders öffentlich-rechtliches Radio so innovativ ist.

Armin Braun, Chef von rs2, sagt, Sie haben frischen Wind in angestaubte „News-Gehirne“ gebracht. Wie muss es denn um die Hörerschaft stehen, wenn nicht mehr die News an sich es ist, die Menschen vor die Geräte lockt und dort hält, sondern sie möglichst spektakulär verpackt werden muss.
Das interpretieren Sie jetzt. Nehmen wir als News mal ein klassisches Verbrechen. Einen Überfall oder einen Einbruch. Alle Medien berichten darüber: Radio, Fernsehen, Zeitung, Online. Und in der Regel steht immer erst mal der Täter im Fokus. Es gibt aber so viele Möglichkeiten, Themen zu behandeln. Zum Beispiel: Was ist mit dem Opfer? Mein Ansatz wäre dann, nach zwei oder drei Monaten auch zu fragen, wie es eigentlich dem Opfer geht. So wechselt man die Perspektive, gerade in der schnelllebigen heutigen Zeit. Sehen Sie: Grundsätzlich haben wir alle durch die intensive Nutzung von Handys keinen Mangel mehr an News. Die kriege ich heute jederzeit. Was ich daher als Radiosender anbieten muss, ist gutes Storytelling. Die Geschichte hinter der Geschichte. Das darf nicht unzulässig zugespitzt sein, aber doch gut erzählt. Mit meinen Auftraggebern und deren Redaktionen habe ich zuletzt immer wieder spannende Impuls-Fragen erarbeitet. Was frage ich also, wenn die Geschichte nicht weitergeht oder mir nichts mehr einfällt?

Ich halte die 90-Sekunden-Regel für einen Mythos, der dem Radio seit Jahren vorgehalten wird.
Radioberater Detlef Kuschka
Radioberater Jürgen Kauer sprach in einem Interview bei uns übrigens nicht von dem Wunsch nach „mehr Wort“, sondern dem Wunsch nach „gutem Wort“. Jetzt weiß ich, dass für Berater gutes Wort in der Regel der Beitrag ist, der nicht über 90 Sekunden lang ist und meist eine sehr enge Hörerbindung hat. Es gibt ja fast eine regelrechte Angst vor Korrespondenteninterviews. Eindrücke vom neuesten Hurrikan kann ja auch eine gerade dort urlaubende Hörerin machen. Somit schafft sich Journalismus aber ab.
Ich halte die 90-Sekunden-Regel für einen Mythos, der dem Radio seit Jahren vorgehalten wird. Wissen Sie: Ich habe schon Radiobeiträge gehört, in denen ich mich 90 Sekunden lang gelangweilt habe. Genauso habe ich Beiträge gehört, die mich über 3 Minuten 30 gebannt vor dem Radio gehalten haben. Grundsätzlich muss man attestieren, dass wohl unser aller Aufmerksamkeitsspanne in den vergangenen 20 Jahren sicher nicht gestiegen ist. Wir haben viel mehr Ablenkung. Das muss auch das Medium Radio erkennen. Gerade morgens haben doch nur wenige Menschen die Zeit für einen fünfminütigen Hintergrundbericht. Ich muss mich also vor allem in einem linearen UKW-Programm kurzfassen. Das kann nachmittags oder abends schon wieder anders aussehen. Daher sind ja auch die nichtlinearen digitalen Angebote gerade so spannend. Wenn der Hörer entscheidet, wann er Zeit hat und nicht der Sender.

UKW bringt das Geld. Digital bringt junge, vielleicht auch andere Hörer und ist extrem wichtig für das Image und die Marke. Gleichzeitig muss das UKW Programm weiterhin sehr gut sein, damit es vermarktet werden kann.
Radioberater Detlef Kuschka
Kurz gesagt: Für einen gebildeten oder überdurchschnittlich gebildeten Hörer bieten Mainstream-Programme kaum noch weiterführende Information. Eigentlich eine Crux, erfreuen sich doch Podcasts wie „Lage der Nation“ oder andere größerer Beliebtheit. Es ist doch ein Fehler, dass „Radio“ denen das Feld überlässt.
Das darf natürlich nicht passieren. Gute Sender bieten solche Themen inzwischen selbst digital an. Sie müssen aber sehen, dass ein Radiosender das meiste Geld immer noch damit verdient, dass er klassisch über UKW gehört wird. Ich vergleiche das ein bisschen mit der Automobil-Branche. Diese verdient jetzt ihr Geld auch noch mit klassischen Verbrennungsmotoren, obwohl jeder weiß, dass das eine endliche Technologie ist. Wann sie zu Ende geht, weiß aber keiner. Und so wird zur Zeit mit Hybrid und Elektromotoren experimentiert, das Geld aber noch mit Benzinern und Dieseln verdient. Im Radio ist das genauso. UKW bringt das Geld. Digital bringt junge, vielleicht auch andere Hörer und ist extrem wichtig für das Image und die Marke. Gleichzeitig muss das UKW Programm weiterhin sehr gut sein, damit es vermarktet werden kann. Das ist ein echt spannender Spagat für alle Radiomacher.

Ich bin zudem der Überzeugung, dass selbst sehr gebildete Menschen gerne auch klassische Radiosender hören. Ich kenne wirklich niemanden, der 24 Stunden am Tag abzüglich Schlaf ausschließlich die FAZ oder die ZEIT liest. Ich habe gehört, selbst Professoren haben mal das Bedürfnis, einfach unterhalten zu werden. Und wer wirklich ein Info-Junkie ist, der hat die News-Kanäle: B5 Aktuell, NDR-info und mehr.

Wo Sie über Autos sprechen. Kommen wir doch mal zum Verkehr. Selbst Verkehrsnachrichten sind ja inzwischen dahingehend formatiert, dass sie eine gewisse Länge nicht überschreiten sollten. Und die Autofahrer, die in einen nicht mehr verlesenen Stau kommen, bedanken sich dann…
Nehmen wir doch mal einen Stadtsender als Beispiel – einen Kanal in Hamburg oder Berlin. Wer dort morgens zur Arbeit fährt, der weiß, dass es sich an bestimmten Stellen staut. Das muss er nicht jeden Morgen im Radio hören. Ein guter Verkehrsservice berichtet vielleicht sogar von der Überraschung, wenn die Fahrt hier mal frei ist. Die grundsätzliche Crux, die Sie ansprechen, kennen wir alle seit Jahrzehnten. Und ich denke heute würden viele Sender gerne gar keine Verkehrsnachrichten mehr senden. Aber die persönliche Übermittlung über das Radio ist selbst heute noch der beste Weg, die Fahrer zu informieren – und die Blitzer-Infos sind übrigens wieder etwas sehr uniques in jedem Sendegebiet.

Es gibt im Radio mittlerweile übrigens die Tendenz, dass man den Wetterbericht ab neun oder zehn Uhr, also wenn die Menschen dann schon außer Haus sind, zugunsten von anderen Wort-Themen reduziert und ihn erst im Laufe des Nachmittags wieder erhöht.
Radioberater Detlef Kuschka
Wichtiger und elementarer Bestandteil des Radios ist der Wetterbericht. Einige Stationen thematisieren Wetter bis zu vier Mal pro Stunde. Einige davon versehen ihn mit Tipps wie „Heute ist ein Tag für eine lange Hose“. Was ich anziehen soll, wurde mir vielleicht im Kindergarten noch gesagt. Aber braucht eine moderne Familie – Mann 38 Jahre, Frau 35 Jahre – solche Empfehlungen?
Wie Sie das schildern, wäre das schlichtweg schlechte Moderation. Der Wetterbericht spielt im Radio, ganz speziell am Morgen, eine sehr wichtige Rolle. Sätze wie „Vergessen Sie aber bitte den Regenschirm nicht“ sind aber eigentlich ein No-Go. Es gibt im Radio mittlerweile übrigens die Tendenz, dass man den Wetterbericht ab neun oder zehn Uhr, also wenn die Menschen dann schon außer Haus sind, zugunsten von anderen Wort-Themen reduziert und ihn erst im Laufe des Nachmittags wieder erhöht. Nachmittags werden die weiteren Aussichten nämlich wieder interessant. Und: Wetter bietet generell noch ein paar mehr Möglichkeiten für guten Inhalt. Von den Auswirkungen auf die Ernte über Hochwasser-Probleme bis hin zum Sahara-Staub. Aber nicht jeder Sender macht das.

Lesen Sie auf der nächste Seite: Braucht Radio wirklich wieder mehr Wort? Den Weg geht zum Beispiel Kuschkas Ex-Sender Antenne Bayern inzwischen. Und worin liegen die Probleme mit „zu neuer Musik“?

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