Produzentin Heike Voßler: 'Ich finde, nach 30 Jahren kann man auch mal einen Thriller dazu machen!'
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Im Fernsehen erfährt man ja nur zeitversetzt, was das Publikum denkt. Daher ist es immer ganz spannend, sich die Fünf-Minuten-Schritte bei den Quotendaten anzuschauen: Wann sind die Leute eingestiegen, wann sind sie ausgestiegen? Aber ich finde, es ist schwer zu sagen, wie groß die Aussagekraft dieser Daten letztlich ist, da bei den Quoten auch immer andere Faktoren wie das Gegenprogramm mitspielen.
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Heike Voßler
Das war eine sehr schöne Erfahrung. Wir haben den Film vor über 1.200 Leuten gezeigt, da bin ich sehr glücklich und auch voller Stolz, weil die direkte Publikumsresonanz zeigte, dass die Leute ihn auch sehr spannend fanden. Man kann in der Drehbuchentwicklung so viel diskutieren: Gehen wir Weg A oder Weg B? Aber nun direkt zu erleben, wie diese Entscheidungen ankommen, ist eine ganz besondere Situation für Fernsehproduzenten. Im Fernsehen erfährt man ja nur zeitversetzt, was das Publikum denkt. Daher ist es immer ganz spannend, sich die Fünf-Minuten-Schritte bei den Quotendaten anzuschauen: Wann sind die Leute eingestiegen, wann sind sie ausgestiegen? Aber ich finde, es ist schwer zu sagen, wie groß die Aussagekraft dieser Daten letztlich ist, da bei den Quoten auch immer andere Faktoren wie das Gegenprogramm mitspielen.
Mir ist mehrmals die These begegnet, dass das Publikum Männerfiguren mehr verzeiht als Frauenfiguren. Würden Sie dem zustimmen?
Generell würde ich der These zustimmen. Frauenfiguren haben noch einen langen Weg vor sich, bis sie dasselbe tun dürfen wie Männerfiguren und trotzdem gemocht werden. Aber in unserem Fall war das kein Thema, wir haben uns nur die Frage gestellt: Wie machen wir diese Agentin glaubwürdig? Das Wichtigste ist, eine Figur zu haben, mit der man mitgeht. In diesem Fall ist es eine hin und her gerissene Frau, die am Anfang jemanden erschießt und daher nach klassischen Maßstäben unsympathisch ist – aber es ist spannend, sich zu fragen, weshalb sie so handelt, so handeln muss. Man kann immer ihre Entscheidungen nachvollziehen, selbst wenn sie moralisch falsch sind.
Im Fernsehen besteht ja durchaus die Gefahr, dass die Leute umschalten, wenn sie die Hauptfigur unsympathisch finden. Wir haben dank zahlreicher Komödien eine Erzähltradition, die Geschichte des fiesen alten Sacks, der herumgrantelt, aber ein Herz findet. Man erahnt aber, dass die unsympathische Figur nicht unsympathisch bleibt. Was uns in «Wendezeit»wichtig war: Es muss für die Protagonistin um Leben und Tod gehen. Zudem hatten wir das Glück, dass Petra Schmidt-Schaller die Hauptfigur spielt, da sie im Guten wie im Schlechten deutlich machen kann, wie sehr es in der Figur rumort.
Wie lief eigentlich die Entstehung von «Wendezeit» ab? Gab es erst den Stoff oder erst das Jubiläum?
Es gab zuerst den Stoff. Silke Steiner und Michel Dreher kamen auf uns zu. Wir mochten den Stoff und haben sehr lange überlegt, wie wir das verkaufen können. 2016 nahm der Prozess an Fahrt auf: Wir bemerkten, dass wir auf das Mauerfall-Jubiläum zusteuern. Das hat uns genutzt, Aufmerksamkeit für den Stoff zu bekommen.
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Ich finde, nach 30 Jahren kann man auch mal einen Thriller dazu machen! Man musste natürlich erst einmal Abstand zum Ereignis gewinnen, es ist ja ein emotionaler, traumatischer Geschichtsabschnitt. Gleichzeitig ist es wichtig, junges Publikum für das Thema zu gewinnen, das bislang nicht angesprochen wurde.
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Heike Voßler
Weil wir anlässlich des Mauerfall-Jubiläums einen Sondertermin hatten, bekamen wir einen Eventsendeplatz und wussten, dass wir mehr als 90 Minuten zur Verfügung bekommen. Zunächst wurden uns 105 Minuten gegeben, aber wir hatten so viel Material, das zudem so gut funktioniert hat, dass Regisseur Sven Bohse erst eine Fassung von 130 Minuten und dann eine mit 121 Minuten geschnitten hat. Die fanden die Redaktion und wir so überzeugend, dass wir den Film nicht weiter zu kürzen mussten. Wir sind sehr, sehr dankbar für diese Ausnahme.
«Wendezeit» hat, glaube ich, gute Chancen, Leuten einen neuen Zugang zu dem Thema deutsch-deutscher Geschichte zu bahnen, weil es ein rarer Spannungsfilm in einem Metier ist, in dem Historiendramen vorherrschen …
Ja, ich finde, nach 30 Jahren kann man auch mal einen Thriller dazu machen! Man musste natürlich erst einmal Abstand zum Ereignis gewinnen, es ist ja ein emotionaler, traumatischer Geschichtsabschnitt. Gleichzeitig ist es wichtig, junges Publikum für das Thema zu gewinnen, das bislang nicht angesprochen wurde, um ihnen zu zeigen, wie aufwühlend diese Zeit war.
Vielen Dank für das Gespräch.
Auf der nächste Seite: Unser Gespräch mit Autorin Silke Steiner
Es gibt 5 Kommentare zum Artikel
02.10.2019 18:32 Uhr 1
02.10.2019 20:48 Uhr 2
Öhm....Mauerfall, Wiedervereinigung, historisches Ereignis, 30 jähriges Jubiläum...schon irgendwie nicht so ganz unwichtig für die deutsche Geschichte.
Da wäre jetzt ein Film über eine polnische Prostituierte, die sich beim Badeurlaub an der Ostsee mit fleischfressenden Bakterien infiziert auch irgendwie deplaziert....
Und übrigens - wär's ein Krimi, würde wohl auch gemeckert werden, dass in Deutschland nur noch Krimis gesehen und produziert werden.
03.10.2019 17:18 Uhr 3
03.10.2019 19:50 Uhr 4
Das Jubiläum zum Mauerfall ist am 9.11. und nicht am 3.10. Von dem her kann ich das heutige Getöse in der Richtung nicht nachvollziehen. Im Übrigen kann ich Kingsdale verstehen. Ich boykottiere Filme und Serien zu dieser Thematik auch schon eine ganze Weile.
03.10.2019 20:02 Uhr 5
Leberkäsjunkie, Ostwind - Aris Ankunft, Immenhof, Club der roten Bänder - Wie alles begann, Die drei !!!, Benjamin Blümchen, Checker Tobi und das Geheimnis unseres Planeten, Gut gegen Nordwind (Liebesfilm, aber keine Liebeskomödie nach deutschem Standard), Der goldene Handschuh, Systemsprenger, Weil du nur einmal lebst - Die Toten Hosen auf Tour, Wer4Sind. Und das sind nur ein paar Ausnahmen aus diesem Kinojahr. Mit TV multipliziert sich das noch.