Hinter den Kulissen
- Regie: Connie Walter
- Drehbuch: Wolfgang Stauch
- Cast: Ulrike Folkerts, Lisa Bitter, Lena Urzendowsky, Michelangelo Fortuzzi, Mohamed Issa, Karoline Eichhorn, Peter Espeloer
- Produktion: Nils Reinhardt
- Kamera: Cornelia Janssen
- Schnitt: Susanne Heller
In deutschen (Fernseh-)Krimis ist es ein gängiges Motiv, Gegensätze aufeinanderprallen zu lassen, um Konflikte heraufzubeschwören. Arm und Reich, Doof und Schlau, Jung und Alt – Konfliktpotenzial ist dadurch immer gegeben. Auch im neuen Ludwigshafener «Tatort: Leonessa», der im ghettoartigen Oggersheim verortet ist. Hier entstammen zwar irgendwie alle demselben Milieu, doch da sind auf der einen Seite diejenigen, die sich damit arrangiert haben, dort bleiben wollen; vorzugsweise die ältere Generation. Auf der anderen Seite sind da die Jungen, die noch Träume haben, irgendwann mal raus möchten. Dafür verschließen sie auch gern die Augen vor der Realität, während die anderen resignieren oder am besten gar nicht erst hinsehen. Regisseurin Connie Walter («Schattenwelt») gelingt auf dieser Basis eine routinierte Milieustudie, für die sie das soziale Geflecht Oggersheims in seine Einzelteile zerlegt. Doch nicht jedes Versprechen künstlerischer Ambition löst sie dabei ein.
Der «Tatort - Leonessa» beginnt nach gewohnten Genremustern. In den ersten fünf Minuten ist die Leiche gefunden. Nach weiteren fünf starten die Kommissarinnen Odenthal und Stern ihre mitunter sehr unkonventionellen Ermittlungsmethoden. Dass man sich im deutschen Krimi-Fernsehen nie groß mit solchen Banalitäten wie Papierkram aufhält, ist dem Umstand geschuldet, dass man dem Zuschauer zur besten Sendezeit so etwas Trockenes kaum zumuten mag. Doch wie selbstverständlich die Ermittlerinnen hier diesmal nach eigenem Gutdünken beschatten oder einfach mal auf gut Glück hart durchgreifen, erfordert schon viel Gutwillen vom Zuschauer. Da der Realitätsanspruch bei einem «Tatort» ja aber generell ziemlich weit hintenansteht, muss man dem Sonntagskrimi dieser Woche aber immerhin ein ordentliches Tempo zugutehalten. Obgleich ein Großteil der Handlung daraus besteht, dass Lena Odenthal und Johanna Stern das große Ermittler-Einmaleins eines Fernsehcops abspulen, hat man nie den Eindruck, «Leonessa» würde auf der Stelle treten.
Das liegt vor allem an dem Figuren-Kaleidoskop, das Walter hier auffährt und aus dem sich lange Zeit nicht herauskristallisiert, wer (oder was) genau hier eigentlich im Mittelpunkt stehen soll. Nicht als Ergebnis eines erzählerisch mangelhaften Fokus‘, sondern aus einem starken Gespür für Andeutungen und dem Heraufbeschwören eines Gefühls heraus, das sich wohl am ehesten mit „Verlorenheit“ beschreiben ließe. Samir, Vanessa und Leon, drei junge Menschen, die mit zwielichtigen Geschäften versuchen, genug Geld für ihre Zukunft zu verdienen, sind vom System kaum aufgefangene Zeitgenossen. Selbst die beiden Polizistinnen kümmert nur ihr Abstecher ins Illegale, ihre privaten Herkünfte dagegen bieten zwar eher suboptimale Prognosen, doch man kann sich eben nicht um alles kümmern; vor allem hier in Oggersheim. Und so blendet die Regisseurin immer dann gerade bei dem einen weg, wenn es gerade so richtig spannend wird, und geht dann zur nächsten Figur über. Ganz so, als wolle sie dem Zuschauer vor Augen führen, dass wir nur für Oberflächenreize so richtig empfänglich sind.
- © SWR/Jacqueline Krause-Burberg
Glauben, sich aus allem heraushalten zu können: Samir (Mohamed Issa), Vanessa (Lena Urzendowsky) und Leon (Michelangelo Fortuzzi).
Dieser Ansatz ist erfrischend und bisweilen fordernd, wenngleich er noch weit von den besonders experimentellen «Tatort»-Episoden der letzten Wochen und Monate entfernt ist. Wir erinnern uns: Erst kürzlich strapazierte der «Tatort: Ich hab‘ im Traum geweint» die Nerven unzähliger deutscher Krimi-Enthusiasten. Connie Walter nun liefert immer noch deutlich mehr als einen klassischen Whodunit, macht aber auch konventionelle Zugeständnisse. Gerade am Ende wirkt es ein wenig so, als müsse sie das „Wer war es?“-Prinzip zwangsläufig in die letzten 15 Minuten quetschen, weshalb die Vernehmung diverser Verdächtiger im Eilverfahren abgehandelt wird. Stattdessen ist sie vielmehr an einer Milieustudie interessiert, der sie auch inszenatorisch einige hübsche Kabinettstückchen abgewinnen kann. Allerdings nicht immer zur absoluten Nachvollziehbarkeit abgeliefert. Denn so ambitioniert es sein mag, mit Entsättigung und Kontrasten zu spielen, so willkürlich wirkt es doch. Aber wie immer gilt: Wenigstens traut man sich mal was…
Fazit:
Sichtbar ambitioniert inszenierter aber nicht bis in die letzte Faser konsequent ausgeführter (und erzählter) Sonntagskrimi über zwei aufeinanderprallende Generationen, deren Probleme nach und nach zu einem verschmelzen.
PS: Oft sind es so Kleinigkeiten, die an der Authentizität kratzen. Etwa wenn die Kommissarin mit dem eigenen Fingerabdruck das iPhone eines Verdächtigen entsperrt. Sowas ließe sich doch ganz einfach vermeiden, wenn man sich nur ein klein wenig intensiver mit der Materie auseinandersetzen würde.
«Tatort – Leonessa» ist am 8. März 2020 ab 20.15 Uhr im Ersten zu sehen.
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