Die Kritiker

«Unsere wunderbaren Jahre»

von   |  1 Kommentar

Die Degeto will mit Anna Maria Mühe, Elisa Schlott, Vanessa Loibl und Katja Riemann von Nachkriegsdeutschland erzählen und scheint sich an den geschichtsklitternden Untertönen ihres Dreiteilers nicht zu stören. Hauptsache, es gibt wieder Buttercremetorte.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Elisa Schlott als Ulla Wolf
Vanessa Loibl als Gundel Wolf
Anna Maria Mühe als Margot Wolf
Katja Riemann als Christel Wolf
Thomas Sarbacher als Eduard Wolf
Hans-Jochen Wagner als Walter Böcker
David Schütter als Tommy Weidner

Hinter der Kamera:
Produktion: UFA Fiction und Mia Film
Drehbuch: Robert Krause und Florian Puchert
nach dem gleichnamigen Roman von Peter Prange
Regie: Elmar Fischer
Kamera: Felix Novo de Oliveira
Produzenten: Benjamin Benedict und Christian Rohde
Jetzt, wo sich gerade jeder allerhand abgewetzte Midcentury-Möbel in die Bude stellt, um sich zwischen wuchtigen hellbraunen Schränken und bemühten gefächerten Schreibtischen vorzukommen wie in der Hochphase des Kanzlerbungalows, kommt ein Dreiteiler wie «Unsere wunderbaren Jahre» wohl gerade recht. Denn die Nachkriegszeit hat – trotz und wegen all ihrer fürchterlichen Entbehrungen – für die Deutschen auch etwas Heimeliges: insbesondere wenn sie in Gestalt eines Degeto-Films daherkommt.

Das wirkt natürlich schon im Kern unanständig. Denn trotz einiger veritabler Ausnahmen ist der Degeto-Stil bis heute geprägt von möglichst einfach gehaltenen Melodram-Formeln, von der emotionalen Übersteuerung, der dramaturgischen Unterforderung, der Kunstlosigkeit und dem unbedingten Willen, ja nichts intellektuell Ansprechendes oder emotional Forderndes zu erzählen. Diese Stoßrichtung lässt schon im Normalzustand kein beeindruckendes Stündchen Fernsehen zu; vermischt mit dem Hintergrund von deutscher Schuld und dem einen oder anderen Kriegsverbrecher im Figurenpersonal wirkt sie dagegen erschreckend zynisch.

So auch im vorliegenden Fall, bei dem wir nach sechs Millionen abgeschlachteten Juden nun Mitleid mit einer deutschen Industriellenfamilie haben sollen, die im Sommer 1948 einen Korb Meißner Porzellan nach dem anderen gegen Hühner und Kartoffelsäcke tauscht. Die älteste Tochter Ulla Wolf (Elisa Schlott als Fleisch gewordenes Melodram) möchte bald in Tübingen Medizin studieren, ist aber vom Vater auserkoren, in naher Zukunft den traditionsreichen Metallbetrieb zu übernehmen. Emotional wird ihr Leben derweil von dem Umstand verkompliziert, dass sie zwischen zwei Männern steht: einem unscheinbaren, schmächtigen Apotheker-Sohn mit guten Manieren und stabilen Familienverhältnissen, und einem kraftstrotzenden kommunistischen Stanley-Kowalski-Typen, der blöderweise schon in der ersten von viereinhalb Stunden Sendezeit die unangenehme Angewohnheit entwickelt, sich durch Ullas halbe Familie zu bumsen.

Ihre Schwester Margot (allzu bemüht unerträglich: Anna Maria Mühe) widersteht derweil ein weiteres Mal den Aufforderungen ihres Vaters, ihren in Sowjetrussland verschollenen Mann endlich für tot erklären zu lassen – der getreu der Degeto-Logik natürlich wenig später auf dem Hof steht, nur um vom Familienpatriarchen alsbald davon gejagt zu werden, der es nicht ertragen will, dass sein Schwiegersohn als SS-Hauptsturmführer wahrscheinlich ganze Dörfer gebrandschatzt hat. Tochter Margot bringt für diese klare Kante natürlich kein Verständnis auf und offenbart mit ihrem grässlichen Leitmotiv „Nenne mir einen, der sich nicht die Hände schmutzig gemacht hat“ die ganze Bräsigkeit der bundesdeutschen Nachkriegszeit – eine Logik, der dieser Dreiteiler durch seine fürchterliche Denkverweigerung bisweilen gar zu folgen scheint: Denn gerade der eisernste Nazi-Gegner hat wohl den größten Dreck am Stecken.

Damit dieser Konflikt nicht die Oberhand über die zahlreichen ästhetisch reizvolleren Sequenzen gewinnt, in denen Ulla in voyeuristischer Inszenierung mit ihren ganzen Boyfriends schläft, hustet der Kriegsheimkehrer rasch jede Menge Blut ins Taschentuch – in einem Degeto-Film ein sicheres Zeichen, dass seine Tage gezählt sind. Vervollkommnet wird Familie Wolf von einer dritten Schwester, deren Graue-Maus-Habitus von ihrer Darstellerin Vanessa Loibl mit erstaunlichem Facettenreichtum angelegt wird, sowie von Katja Riemann als Ex-Pianistin mit Holzbein, die die heißersehnte Nachkriegs-Buttercremetorte vorzugsweise auf Hakenkreuz-Geschirr serviert.

All diese Elemente mag man für sich genommen als irgendwie harmlose Banalisierung abtun, vielleicht gar als Mosaikfenster in Besatzungszeit und frühe Bundesrepublik wertschätzen. Doch zusammengenommen ergibt sich das Bild einer furchtbar nonchalanten Geschichtsklitterung. Die aufdringliche sentimentale Erotik wirkt im Kontext der Shoah-relativierenden Figuren geradezu obszön, und der mit Zwangsarbeitern reich gewordene unerträgliche Ex-Nazi ist weiterhin aalglatt, durchtrieben und in der Stunde Null schon wieder voll dabei, funktioniert aber nicht als feinsinnige Kritik an der gesellschaftlichen Kontinuität der strammen Nationalsozialisten im deutschen Wirtschaftswunderland, sondern ist nur eine beliebige Karikatur.

Trotzdem passt «Unsere wunderbare Jahre» perfekt in die Zeit, die der Dreiteiler erzählt. Denn er ist Film gewordene Biederkeit, so Midcentury wie auf Raten gekaufte hellbraune Schrankwände, ein Machwerk aus unreflektiertem D-Mark-Fetischismus und strammer Wiederaufbauhoffnung, an der die marginalisierten und verfolgten Gruppen wie selbstverständlich keinen Anteil haben dürfen und in diesem Format nur als Randnotizen Erwähnung finden. Aber Hauptsache, es gibt wieder Buttercremetorte.

Das Erste zeigt den ersten von drei Teilen von «Unsere wunderbare Jahre» am Mittwoch, den 18. März um 20.15 Uhr. Der zweite Teil folgt am Samstag, den 21. März, der dritte am Mittwoch, den 25. März, jeweils zur selben Sendezeit.

Kurz-URL: qmde.de/116749
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FrolleinS.
19.03.2020 10:35 Uhr 1
Rezension hinkt und ist absolut unverhältnismäßig



Nur weil Hetzreden auf Plattformen wie dieser sprachlich intellektueller daherkommen als auf Instagram, Facebook und Co., und auf die Verwendung von Kraftausdrücken verzichten, sind sie nicht weniger pietätlos. Hier hat sich ja mal jemand richtig in Rage geschrieben. Und anstelle einer seriösen Rezension, die (bei allem Verständnis dafür, dass Rezensionen natürlicherweise auch immer von persönlichen Vorlieben und Abneigungen geprägt sind) ein wenigstens halbwegs angemessenes Verhältnis von PRO und CONTRA des rezensierten Gegenstands enthalten sollte, ist diese Rezension offensichtlich von immensem Hass geprägt. Aspekte, bei denen zweifelsohne lobende Worte in Richtung Produktion gefunden werden müssten, werden lieber unterschlagen, damit bloß nicht ein einziges positives Wort über den Film geschrieben werden muss. Absolut unseriös!



Vor allem der Anspruch, den gewisse Rezensenten immer wieder erheben zu müssen meinen, ein fiktionales Werk müsse unbedingte historisch korrekt sein oder komplett darauf ausgerichtet sein, das Geschichtsbewusstsein der/die Zuschauer*in zu schulen, nervt mittlerweile enorm. Wieso verfassen solche selbsternannten Experten denn nicht einfach Kritiken zu zdf.info-Reportagen anstatt zu ARD-Spielfilmen, die zur Primetime gesendet werden und somit selbstverständlich in erster Linie Unterhaltung zum Ziel haben?



Die Produktion „Unsere wunderbaren Jahre“ hat einige Schwachstellen, ja; sie scheut auch an vielen Stellen Kitsch nicht, zugegeben, und ist manchmal reichlich vorhersehbar.

Aber: sie ist unterhaltsam, überdies eingebettet in eine interessante und bislang noch nicht allzu oft in großen deutschen TV-Produktionen thematisierte Epoche und macht zudem von der Ausstattung her enorm etwas her – Kostüme und Kulissen sind bis ins kleinste Detail stimmig und Original-Musik aus jener Zeit, die einzelne Szenen untermalen, machen das ganze rund.

Vor allem aber haucht ein überragendes Ensemble diesem Dreiteiler Seele ein. Von den Hauptfiguren, die – angenehm erfrischend – ausnahmsweise mal mit bislang im deutschen Fernsehen relativ unbekannten Gesichtern besetzt sind bis hin zu den kleinsten Nebenrollen ist beim Casting spürbar Augenmerk darauf gelegt worden, die Figuren von den passenden Charakteren verkörpern zu lassen. Und selbige harmonieren so fantastisch miteinander, dass der/die Zuschauer*in über kleinere schauspielerische Schwächen, wie z.B. die Tatsache, dass Elisa Schlott (= „Ulla“) das Weinen vor der Kamera sichtlich schwer fällt, beinahe gänzlich misslingt, hinwegsehen kann. – Sie ist noch jung und lernt das bestimmt noch im Laufe ihrer schauspielerischen Karriere, die ich persönlich bei ihr trotz dieser kleinen Schwäche dennoch sehe – so wie übrigens bei der gesamten Jungschauspieler-Riege, die diese Film-Produktion trägt: Vanessa Loibl, David Schütter, Franz Hartwig. Sie alle eint eine interessante, nicht dem Mainstream folgende Spielweise. Wie diese drei es verstehen, ihre jeweilige Stimmfarbe einzusetzen, um Botschaften zu transportieren, fesselte mich beim Anschauen dieser TV-Produktion.



Apropos Botschaften transportieren: Die Botschaft, die die Buttercremetorte sendet, an der sich der Rezensent so reibt, ist doch historisch dermaßen korrekt, korrekter könnte sie gar nicht sein. Die Generation des Verdrängens, des Weitermachens, die in diesem Film dargestellt wird, die ihre Schuld am Dritten Reich eben nicht öffentlich aufarbeitete und breit thematisierte – wie dies moralisch zu bewerten ist, sei dahingestellt – wird doch in diesem Film absolut realistisch und auch facettenreich dargestellt. Da gibt es die jungen Männer, die als Jugendliche an die russische Front rekrutiert worden waren und die nun versuchen, zu verdrängen und sich ein neues Leben aufzubauen. Da gibt es den Fabrikanten, der mit seiner Schuld, als er sich ihr stellen muss, nicht leben kann und sich aufhängt. Da gibt es die Traumata, die Bombenangriffe auf die Zivilbevölkerung im Kopf eines jungen Mädchens hinterlassen haben und bei ihr zu regelmäßigen Albträumen führt. Da gibt es den strammen Nazi, der den Krieg zwar überlebt hat, aber für seine NS-Gesinnung noch die Quittung erhält: eine für ihn tödlich ausgehende Tuberkulose. Da gibt es den unsympathischen Alt-Nazi, der der Denazifizierung der Alliierten entkommt und im Nachkriegsdeutschland nicht im Knast sitzt, sondern auf dem Geschäftsführerposten einer Profit machenden Fabrik. – Nicht schön, aber genauso sah die historische Realität leider aus. Viele Alt-Nazis kamen glimpflich davon; nur wenigen wurde der Prozess gemacht. Und genau diese Realität spiegelt „Unsere wunderbaren Jahre“ ab.

Ergo: Die Geschichtsklitterung unterstellende Rezension hinkt gewaltig!

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