Hingeschaut

Bild als Bewegtbild: Die größte Springer-Todsünde

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Aus Sicht des Springer-Konzerns darf "Bild" fast alles – nur eben nicht langweilig und zahm daherkommen. Der Online-Auftritt der zahlreichen Bewegtbildformate von "Bild" macht sich aber genau dieser Boulevard-Todsünde schuldig.

„Bild“ hat als Medium viele Jahrzehnte lang Trends gesetzt. Gute waren das nie: die systematische Vergiftung des öffentlichen Diskurses, die Aufwiegelung eines tumben Volksempfindens, damit sich eine Anerkennung inhaltlicher Komplexität ja nie als gesellschaftlicher Grundkonsens durchsetzt; die permanente Hetzjagd auf Gegner des Springer-Imperiums, der Anspruch, Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens im Alleingang aufzubauen und zu demontieren. Die Beispiele sind endlos und ziehen sich von mittlerweile historischen (aber leider immer noch weitgehend den Ist-Zustand beschreibenden) Wallraffabhandlungen über von „Bild“ nicht nur eingepreiste, sondern gewollte Entrüstungen über die Gossen-Glossen von abgestandenen Haudegen wie Franz-Josef Wagner, bis hin zum jüngsten (glücklicherweise gescheiterten) Versuch einer halbgaren Kampagne gegen Christian Drosten. Man muss Julian Reichelt dieselbe Auffassung seines Mediums unterstellen wie seinen Vorgängern in ähnlichen Positionen bis hin zum Gründervater Springer: „Bild“ ist keine Publikation, die ein wie auch immer geartetes Interesse an Sachverhaltsaufklärung, Information, seriöser Berichterstattung oder inhaltlicher Erhellung seiner Leserschaft hat, sondern der speichelnde Kettenhund seiner Verantwortlichen.

Doch so ohne Weiteres zieht dieses Geschäftsmodell schon lange nicht mehr – zumindest gemessen an der Breitenwirkung. Die Anzahl der prominenten Persönlichkeiten, die vorbei an oder gegen „Bild“ großen medialen Erfolg und breites Ansehen genießen, ist in den letzten zwei Jahrzehnten zu eklatant gestiegen. Ebenso hat die Urgewalt der Schröder-Trias aus „Bild, BAMS und Glotze“ in einem Post-Volksparteien-Deutschland mit breiterer Ausdifferenzierung der politischen Präferenzen ihren Schrecken verloren. Und die völlig durchgeknallten Kampagnen („Wir bringen den Pleite-Griechen die Drachmen zurück“) sind zwar ob rassistischer Stereotype und menschenfeindlicher – in der Mehrheitsgesellschaft glücklicherweise überkommener – Vorurteile weiterhin eine Zumutung für den öffentlichen Diskurs, aber gleichzeitig so schamlos stulle, dass sie in seriöser Weise nur als Satire rezipiert werden können.

Gemäß dem eigenen Selbstbild darf „Bild“ vieles: hetzen, lügen, verdrehen, vergiften, entstellen, torpedieren. Nur nicht: langweilen. Wenn der Gott des „Bild“-Imperiums die lustvolle Empörung der Massen ist und ihre Aufwiegelung dabei der allegorische Messdiener, dann ist Langeweile seine Todsünde. „Bild“ muss vorangehen, überraschen, den Diskurs bestimmen, frech sein, forsch und dabei gerne schamlos, aber stets: neu und innovativ.

Doch der Online-Video-Ableger des Mediums ist alles andere als das, und gebiert sich stattdessen als halbgarer, nie zu Ende gedachter Versuch, ein Internet-Allerlei der Belanglosigkeiten vorzuführen, die wahlweise bei den «RTLZWEI News», «Brisant» oder beim amerikanischen «The View» abgeguckt wurden.

Für die oberflächliche Relevanz ist „Bild Live“ zuständig, das sich weder in seiner boulevardesken Themensetzung noch in seinem reißerischen Duktus oder der schrammeligen Aufmachung von der eher mühevollen Nachrichtenpflicht der privaten Vollprogramme aus der zweiten Reihe unterscheidet.

Der Fehlschluss, zu denken, Charlotte Würdig könne man sich als deutsche Whoopi Goldberg vorstellen, lässt derweil das konzeptuell spannendste Format in der inhaltlichen Bedeutungslosigkeit versinken. So wird aus dem Versuch einer thematisch breit gefächerten Talk-Show mit starken, klugen, haltungsvollen weiblichen Stimmen eine boulevardeske „Bild“-Bredouille mit nach größtmöglicher Beliebigkeit ausgesuchten Gästen und „Bild“-Redakteurinnen, deren Gesprächsführung sich mit erstaunlichem Gleichmut an zwanglosem Whataboutism orientiert, bevor ihre Schlussfolgerungen sich in neun von zehn Fällen unter dem Leitmotiv „Ich find’s total crazy“ subsumieren lassen.

Was in dieser „Bild“-Beschreibung am wenigsten weh tut, ist erstaunlicherweise das Promi-Magazin: «Place to B», so der mäßig clevere Titel, gibt sich mit einer Zusammenfassung „aktueller“ „Society“-Meldungen und anschließendem langen Interview mit einem Boulevard-Promi zwar betont denk- und recherchefaul, eckt dadurch aber auch nirgendwo an und vermeidet so erstaunlich konsequent das jahrzehntelang eingeübte „Bild-sprach-als-erstes-mit-dem-Toten“-Muster.

Zahm, langweilig und harmlos – das sind keine Adjektive, mit denen man „Bild“ jemals assoziiert hätte: aber vielleicht die vernichtendste Kritik, die man gegenüber diesem Medium zum Ausdruck bringen kann.

Kurz-URL: qmde.de/119118
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