In dieser Zuspitzung sind natürlich beide Argumentationsstränge ungerecht, und weniger Beobachtungen als Ressentiments. Und dennoch scheint am Vorwurf, deutsche Zuschauer (und Fernsehmacher) seien angesichts sicherheitspolitischer Inhalte heillos naiv, einiges dran zu sein – insbesondere wenn man sich vergegenwärtigt, mit welcher Mischung aus hoch erhobenem moralischen Haupt und inhaltlicher Ahnungslosigkeit hierzulande ähnliche Stoffe erzählt werden.
Carrie Mathison ist als enorm intelligente und hochqualifizierte Beamtin im amerikanischen Terrorbekämpfungsapparat traumatisiert vom eigenen Versagen: Die Anschläge vom 11. September konnte sie genauso wenig vorhersehen und verhindern wie all ihre Kollegen. Das darf nie wieder passieren. Deshalb: äußerste Wachsamkeit. Gepaart mit ihrer manisch-depressiven Veranlagung nicht die gesundeste Voraussetzung für eine ausbalancierte Lebensführung oder (stellenweise) die volle berufliche Zurechnungsfähigkeit.
Dabei gesteht die Serie ihren Antagonisten dieselbe psychologische Komplexität zu: Aus dem Katz-und-Maus-Spiel der ersten Staffel (Plant Kriegsheimkehrer Brody einen Anschlag in Amerika?) wurde zusehends die erstaunlich versatile Geschichte seiner Läuterung, bevor spätere Handlungsstränge das sicherheitspolitische Minenfeld von Nahost und Zentralasien in beeindruckend vielfältigen Zwischentönen zeichneten.
Oder gehen wir ein paar Schritte weiter zurück in der amerikanischen Fernsehgeschichte, in den «West Wing» von Aaron Sorkin, wo mit Jed Bartlett ein Genie als (demokratischer) US-Präsident fungiert, unterstützt von einem ebenso klugen Stab und in die Mangel genommen von strategisch nicht weniger ausgefuchsten politischen Gegnern. Neben dichten Plots, brillant polierten Dialogen samt einem Feuerwerk an Bonmots, erstklassig durchdachten Charakteren und nuanciert vorgetragenen Themen glich jede Folge einem Lehrstück über tatsächliche politische Zusammenhänge im Besonderen und die Komplexität der Dinge im Allgemeinen. Hin und wieder ging es auch schneidig zu – etwa als Präsident Bartlett in zwei Minuten dem Botschafter eines verarmten afrikanischen Staates ankündigte, er würde den sich dort gerade abspielenden Völkermord binnen 36 Stunden mit dem US-Militär beenden, wenn es sein muss – doch das Leitmotive der Serie als Ganzes hieß zweifellos: Look at the whole board!
Die ständige Hinterfragung der eigenen Handlungen und Haltungen, die Auseinandersetzung mit vielschichtigen Sichtweisen und einem Grad an Komplexität, der kein absolutes Richtig und völliges Falsch mehr kennt, ist aus Sicht deutscher Fernsehmacher nichts für deutsche Zuschauer. Und statt ihnen – ohne erhobenen Zeigefinger, und stattdessen mit versatil entworfenen Figuren und sich ethisch in beide Richtungen unbefriedigend entwickelnden Handlungsgerüsten – die Komplexität des Tatsächlichen zu vermitteln und sie ihnen zu übersetzen, lautet die Zielsetzung: Entrüstung. Entrüstung über „die Amerikaner“ mit ihren Renditions und Black Sites wie in «Unterm Radar», über fehlgeschlagene Interventionen in Pulverfassländern wie in «Saat des Terrors» oder über politische Anreizsysteme wie in der unsäglich versimpelten, treudoofen ZDFneo-Serie «Die Lobbyistin».
Lernen, erfahren, Anstoß nehmen, widersprechen, diskutieren, streiten kann man von oder über keines dieser deutschen Formate. In ihrer zur Schau getragenen moralischen Absolutheit dulden sie keinen Widerspruch, denn jeder Widersprechende wäre ein Frevler gegen das „Gute“, das mit der deutschen Naivität gleichgesetzt wird. Nur wer sich aus Krisenherden heraushält, wer sich nicht in die mitunter aggressiven Niederungen der Bekämpfung von Attentätern und Verhinderung von Anschlägen mit nachrichtendienstlichen und militärischen Mitteln begibt, kann aufrichtig sein.
Über eine solche intellektuelle Einfältigkeit und Denkverweigerung würde sich Carrie Mathison wahrscheinlich noch mehr die Haare raufen als über Nicholas Brody.
Es gibt 5 Kommentare zum Artikel
13.07.2020 09:35 Uhr 1
Man kann Trump ja viel vorwerfen, aber in einem hat er völlig Recht: in Sachen Terrorismusbekämpfung hält sich Deutschland stets aus allem raus und in Sachen Sicherheit wären wir ohne die Hilfe der Amerikaner völlig aufgeschmissen, da wir selbst viel zu wenig in diesem Sektor investieren. Das ist blauäugig!
13.07.2020 10:12 Uhr 2
Wurde Homeland eigentlich vom Pentagon mitfinanziert oder ging das über irgendwelche Schreibtische von Geheimdiensten? Würde mich nicht wundern.
13.07.2020 11:43 Uhr 3
Mit Homeland hatte ich auch meine Probleme.
Was in Deutschland fehlt, ist ein deutsches The Wire.
Manchmal ist Nichtstun besser als in den Irak- oder Libyen einzumarschieren. Ich glaube, Terror bekämpft man so nicht. Ich frage mich, ob die USA wirklich an den Ursachen des islamistischen Terrors gehen will, denn das ist eine sehr fundamentalistische Religionsauslegung, die Darwins Schöpfungslehre und den Klimawandel negiert.
23.08.2020 12:20 Uhr 4
Dänische/Schweidische Serien laufen doch meisstens leider unterm Radar hier in Deutschland!
23.08.2020 14:55 Uhr 5
Und was deutsche Serien angeht. Nun, das ist Einheitsbrei der immer nach Schema F abläuft. Mal abgesehen von Cobra 11 kann man alles in die Tonne kloppen. Deutsche Serien und Filme funktionieren daher auch nur hier, nicht im Ausland, Zumindest nach heutigen Sehgewohnheiten. Ein deutsches Homeland wäre ein Witz, da würde es, wie immer, doch auch nur um die Famile gehen.