Interview

BILD-Chef Julian Reichelt: 'Ein klassisches Interview mit der AfD wird es bei uns nicht geben'

von   |  14 Kommentare

Wirbel um ein rbb-Sommerinterview mit AfD-Politiker Kalbitz. Julian Reichelt, Chefredakteur der meistverkauften Tageszeitung in Deutschland, BILD, sprach mit uns über den Umgang mit extremen Parteien. Was er von der ARD fordert, wie er mit der AfD umgeht und was das für die Bundestagswahl 2021 bedeutet...

Zur Person: Julian Reichelt

Der Hamburger Julian Reichelt, geboren 1980, ist seit 2017 BILD-Chef. Zuvor leitete er drei Jahre lang Bild.de. Dem Blatt ist er seit 18 Jahren treu, volontierte dort und war unter anderem Kriegsberichterstatter.
Paul Ronzheimer twitterte kürzlich eine Kritik am rbb, wo AfD-Politiker Kalbitz zum Thema Corona befragt wurde. „Bei @rbb24 darf der rechtsextreme Andreas Kalbitz entspannt über Corona-Maßnahmen schwadronieren“ heißt es darin. Warum ist es Ihrer Ansicht nach falsch, Herrn Kalbitz zu befragen?
Ich erkläre Ihnen, wie wir bei BILD vorgehen. Ich habe mich entschieden, dass wir über alle nachrichtlichen Vorgänge bei der AfD berichten. Wir berichten auch, wenn sich aus unseren Anfragen nachrichtlich Relevantes ergibt. Aber wir werden der AfD und anderen Parteien, die in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachtet werden, keine Fläche und keine Reichweite bieten. Wir werden ihnen nicht ermöglichen, sich zu inszenieren. Ein klassisches Interview mit der AfD wird bei uns also nicht stattfinden.

Am Beispiel dieses rbb-Sommerinterviews, geführt vor malerischer Kulisse, sieht man sehr gut, warum es eine gute Entscheidung von BILD ist. In diesem rbb-Interview wird die Normalität inszeniert. Es ist aber der Charakter der Partei, der dem einfach nicht gerecht wird. Die AfD ist keine normale Partei, die am nicht-radikalen politischen Konsens beteiligt ist. Die Realität ist: Die AfD ist eine Partei, die den Holocaust, also das schlimmste Verbrechen, das je von deutschem Boden ausging, in vielen Teilen relativiert, ja mit Aussagen wie Hitler sei nur ein Vogelschiss in der deutschen Geschichte, fast schon leugnet.

Es werden hier aber die Möglichkeiten, Vertreter von ganz rechts und ganz links nur so wenig wie möglich vorkommen zu lassen, nicht ausgeschöpft.
Julian Reichelt über Politiker-Auftritte in der ARD
Der rbb hat inzwischen ja auch Fehler eingeräumt, nicht aber die grundsätzliche Einladung bedauert. Damit dürften Sie also ebenfalls nicht d‘accord sein…
Es war ein malerisch inszeniertes Interview mit einem Vertreter einer Partei, die man besonders kritisch im Auge behalten muss. Wir haben es hier mit einem Radikalen zu tun, der den Anschein erweckt, am normalen politischen Diskurs teilnehmen zu wollen. Aber Rechtsradikale und Linksradikale sind kein Teil des normalen politischen Diskurses. Jetzt unterliegen öffentlich-rechtliche Medien immer einem speziellen Proporz, sie sind gesetzlich verpflichtet, offen für alle Meinungsrichtungen zu sein. Das ist somit sicher eine schwere Situation für Journalisten der ARD. Es werden hier aber die Möglichkeiten, Vertreter von ganz rechts und ganz links nur so wenig wie möglich vorkommen zu lassen, nicht ausgeschöpft.

Ein Beispiel sind doch die Talkshows. Ich habe das Gefühl, dass es da schon auch ein quotenorientiertes Denken gibt, um Krawallbrüder dieser Parteien einzuladen. Ich sehe oft auch AfD-Politiker zu Themen debattieren, zu denen sie nichts wirklich beizutragen haben. Sie sind für die Sendungsmacher aber das Salz in der Suppe.

Im Falle des rbb-Interviews sprechen wir vom AfD-Landeschef. Wo ziehen wir letztlich die Grenze? Was ist auch mit anderen Parteien, in denen es unter Umständen Politiker gibt, die ebenfalls auch zur AfD passen könnten…
Wir sprechen bei diesem Interview von einem Mann, der nachweislich Kontakt zu Neonazis hat. Wenn das der Fall ist, sollte er von Medien in besonderer Weise nicht berücksichtigt werden. Ansonsten gibt es da wohl keine klare Grenze. Aber es gibt einen amerikanischen Satz, der den Umgang mit Obszönem beschreibt: ‚You know it, when you see it‘. Das gilt auch in diesem Fall. Ich sehe es als wichtige Aufgabe von Journalisten an, dass sie hinsehen und diese Grenzen erkennen.

Wissen Sie, einer der größten Verdienste des früheren CSU-Chefs Franz Josef Strauß war die ganz klare Abgrenzung. Ich bin seiner Meinung: Es sollte in Deutschland keine Partei rechts der CSU oder CDU geben. Er sagte diesen Satz damals im Zusammenhang mit den Republikanern. Er hat es geschafft, dass es damals zwischen der CSU und den Republikanern keinen Kontakt, sondern eine Ächtung gab. Ich weiß auch, dass es Debatten darüber gibt, ob es solche Parteien nicht eher stärker macht, wenn sie geächtet werden. Mir ist aber immer die Option lieber, dass eine solche Ächtung auch etwas bringt.

Die Menschen in Deutschland haben die AfD zu großen Teilen aus (politischem) Frust gewählt und nicht aus einer echten politischen Überzeugung heraus. Die Gewählten werden nun aber freundlich in deutschen Talkshows beherbergt, während der wählende Bürger quasi verunglimpft wird. Diese Bürger werden alle als Neonazis abgestempelt.
Julian Reichelt
Wie hat sich Ihrem Empfinden nach das mediale Verhalten gegenüber der AfD in den vergangenen drei, vier Jahren verändert? Ist eine AfD in den Landtagen und im Bundestag in den Köpfen der Redakteure ein Stück weit „Alltag“ geworden?
Viel zu sehr. Dazu muss ich ja nur dieses rbb-Interview mit diesem freundlichen Herren anschauen. Was aber fast noch schlimmer ist: Die Menschen in Deutschland haben die AfD zu großen Teilen aus (politischem) Frust gewählt und nicht aus einer echten politischen Überzeugung heraus. Die Gewählten werden nun aber freundlich in deutschen Talkshows beherbergt, während der wählende Bürger quasi verunglimpft wird. Diese Bürger werden alle als Neonazis abgestempelt. Es ist aber genau anders herum. Auch der Begriff des „besorgten Bürgers“, der so gerne verwendet wird, ist nichts anderes als eine Überlegenheitsattitüde der vermeintlichen Elite dieses Landes. Ein Recht auf eine Sorge hat hier in Deutschland jeder. Und es ist eine Errungenschaft unserer Demokratie, dass wir alle Bürger sind.

Manche sorgen sich ein bisschen zu sehr.
Das mag sein. Die Aufgabe ist es nun aber, die Sorgen der Menschen, und die waren nicht nur während der Flüchtlingswelle 2015 berechtigt, zu benennen.

Wie werden Sie, Herr Reichelt, mit ihren Formaten bei BILD Live im Rahmen des Wahlkampfs 2021 mit der AfD umgehen? Sprechen Sie Einladungen an die Spitzenkandidaten aus?
Die AfD wird hier außen vor bleiben.

Wie fiel die Reaktion der AfD auf diese Entscheidung aus?
Es gab darauf keine Resonanz. Aber wenn es sie gegeben hätte, dann hätte ich mich auch nicht bewegt.

Abschließende kurze Frage, Herr Reichelt: Wen werden wir in gut einem Jahr im großen Kanzlerkandidaten-TV-Duell sehen?
Ich hoffe, dass wir zumindest eines dieser Duelle dann bei BILD Live übertragen werden. Mein Tipp ist das Duell Söder gegen Scholz oder gegen Hubertus Heil.

Danke für das Gespräch.

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Neo
13.07.2020 10:58 Uhr 1
Nicht uninteressant, wundert mich aber, dass er die Talkshows erwähnt. Ich habe in den letzten Monaten jetzt keine im Kopf mit Beteiligung der AfD. Eventuell mal zu Thüringenwahl-Zeiten, aber konkret kommt mir da nichts.

Man hat sich also auch dort mehr Gedanken gemacht und nicht mehr dieses Bedürfnis die AfD in den Sendungen zu "entzaubern". Bei den Sommerinterviews muss man das dennoch versuchen. Muss mal das des rbb aufholen.
Mr. Cutty
13.07.2020 11:11 Uhr 2
Julian Reichelt und seine Blöd ist genauso schlimm wie die AfD.
Neo
13.07.2020 11:16 Uhr 3
Hat der rbb das Interview tatsächlich runtergenommen? Das Sommerinterview kann ja unmöglich schlechter sein, als die Entscheidung es komplett rauszunehmen...
Kingsdale
13.07.2020 17:04 Uhr 4
Was soll das immer? Man kann von der AfD halten was man will, aber in der heutigen Zeit sollte man doch so offen sein, das man sich alle Seiten anhören sollte. Irgendeine Partei immer wieder zu blockieren zeigt doch nur, das man nicht offen ist. Es ist eine reine einseitige Meinung und dadurch bilden sich auch immer die Fakenews. Man kann mit den Ministern der AfD doch genauso Sachlich sprechen wie mit den anderen Ministern von anderen Parteien. Also, offen sein für jede Meinung.
Kalinkax
13.07.2020 18:39 Uhr 5
ich habe gedacht, der wäre bei der AFD, so wie der manchmal schreibt........

kein Wunder also
Fred vom Jupiter
15.07.2020 03:29 Uhr 6
Springer ist ja auch praktisch der Hofberichterstatter der israelischen Regierung in Deutschland.



Und Holocaustverharmlosung? Völlig egal, fast 80 Jahre danach ist die altbekannte Auschwitzkeule sowieso nur noch ein politisches Instrument. Und Tabus und Meinungsverbote hatten in sämtlichen existierenden Gesellschaften nur negative Folgen.



Gut, dass dieses Blatt keine Relevanz mehr in Deutschland hat und ohne Ende Leser verliert.
Neo
15.07.2020 11:30 Uhr 7
"Springer" als Kollektiv, "Hofberichterstatter", Ausschitzkeule" - fängt ja schon mal gut an.




Faktisch noch immer die meistzitierte Zeitung, mit den meisten Onlineaufrufen und am besten verkauft. Und bei einer Reichweite von über 8,5 Mio. kann man wohl noch immer von Relevanz sprechen.
kauai
15.07.2020 11:42 Uhr 8
Interessant - die Bild ist also demokratiefeindlich und trägt als großer Teil eines Massenmedium dazu bei, die AFD weiter zu stärken und Wasser auf die Mühlen der Lügenpresse-Schreier zu gießen. Anders ist es nicht zu erklären, Interviews mit einer zugelassenen Partei, die von 10-15% der Gesamtbevölkerung gewählt wird, abzulehnen.
Neo
15.07.2020 11:57 Uhr 9
Fällt doch ohnehin niemanden auf und es wird ja auch noch über die Partei berichtet. Demokratiefeindlich und -verachtend ist doch meist der Inhalt der Interviews. Würden die nicht in jedem zweiten Satz irgendwas von Migranten, Flüchtlingen und Merkel labern und mal etwa die "Meinung" zu einem anderen Thema kundtun, wie bspw. ein Rentenkonzept vorstellen, wäre das auch wieder anders. Aber so gibts da schlicht auch nichts zu fragen.
kauai
15.07.2020 12:44 Uhr 10
Ignoranz und Missachtung wird den Zuspruch zur Partei nicht senken - eher im Gegenteil! Es würde mehr Sinn machen, Interviews zu führen und zu Themen nachzufragen, zu der die Partei kein Konzept hat. In einer echten Demokratie mit freier Meinungsäußerung sollte es möglich sein, Meinungen der Ränder zuzulassen und sich mit Ihnen auseinander zu setzen und diese ggf. zu widerlegen. Davon bewegen wir uns aber leider immer weiter weg!

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