Die Kritiker

«Friesland: Haifischbecken»

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Stell dir vor, du findest in einem Sarg eine Leiche. Allerdings war der Sarg, als du ihn in den Leichenwagen geschoben hast, noch leer. Genau das passiert Bestatter Wolfgang Habedank. Und zum Dank dafür, dass er sofort die Polizei alarmiert, steht er bald schon auf der Liste der Tatverdächtigen, denn möglicherweise ist der Verstorbene nicht freiwillig aus dem Leben geschieden.

Stab

Regie: Thomas Durchschlag
Buch: Georg Ludy
Kamera: David Schultz
Musik: Thomas Mehlhorn
Producerin: Melissa Graj
Darsteller: Maxim Mehmet (Henk Cassens), Sophie Dal (Süher Özlügül), Holger Stockhaus (Wolfgang Habedank), Felix Vörtler (Kommissar Brockhorst), Tina Pfurr (Melanie Harms), Genija Rykova (Grit Larson), Christin Nichols (Rieke Holsten), Florian Stetter (Klaus Holsten), Tatja Seibt (Vera Tillich), Jochen Matschke (Malte Tillich), Dennenesch Zoudé (Ellen Struve), Andreas Windhuis (Johann Waal)
Im nunmehr zwölften Spielfilm der Krimiserie «Friesland» geht es um ein ganz großes Geschäft. Am Strand von Leer soll ein digitales Großprojekt aus dem Sand gestampft werden. Ein digitales Überseekabel soll genau hier, in der eher beschaulichen ostfriesischen Provinz, aus dem Meer an Land gezogen werden. Das Projekt mit all seinen Notwendigkeiten würde Leer nicht nur viele Arbeitsplätze bringen: wenn man das Projekt richtig angeht, dann könnte Leer gar das deutsche Silicon Valley werden. Man muss nur ein bisschen Fantasie haben! Sagt zumindest der Investor Johann Waal, der bereits einiges an Geldern eingesammelt hat, um das Projekt Realität werden zu lassen. Einen Mann wie Waal, der einiges an Reputationen in die Waagschale werfen kann, dem schmiert man natürlich Honig um den gepflegten Bart, um ihn in Leer zu halten. Viele Orte kämen für dieses Projekt schließlich in Frage und unterschrieben ist noch nichts.

Aber: Leer hat die Fläche, liegt geografisch günstig und ist in Sachen Fördergeldern sehr großzügig. Um Waals Gefallen zu erlangen, werden ihm die Polizistin Süher Özlügül und ihr Kollege Henk Cassens als Eskorte an die Seite gestellt. Ja, Waal wird von der Wirtschaftsförderung der Stadt regelrecht gepudert. Dass so ein Personenschutz gar nicht zur Aufgabe der Polizei vor Ort gehört und dass das doch wohl alles etwas übertrieben ist: Geschenkt. Es geht immerhin um die Zukunft einer ganzen Region. Da muss man jemanden wie Waal schon das volle Aufmerksamkeitsprogramm schenken.

Dumm nur, dass eben dieser Investor, Johann Waal, eines mittags im Sarg des Bestatters Wolfgang Habedank liegt. Der Bestatter hat nur kurz für einen Termin seinen Wagen – samt leeren Sarg – vor einem Hotel in der Stadt abgestellt, … und dann das. Hätten Süher und Henk ihren Job vielleicht etwas ernster nehmen und den Investor auch in seinem Hotel nicht aus den Augen lassen sollen? Immerhin gibt es ja Protest gegen das geplante Großprojekt und damit Menschen, die Waals Ableben nicht unbedingt bedauern. Das heißt, um genau zu sein gibt es eine Heilpraktikerin in der Stadt, die versucht einen Protest auf die Beine zu stellen. Aber sollte diese Rieke Holsten so fanatisch sein, dass sie den Investor gleich ins Jenseits geschickt hat? Davon abgesehen: Wie hätte sie den stattlichen Mann ohne Hilfe in den Sarg bekommen sollen?

Apropos Investor. Vielleicht hätte die Chefin der Wirtschaftsförderung Grit Larson etwas genauer bezüglich dessen Reputationen recherchieren sollen. Ja, auf seiner Website sind so einige Projekte zu finden, die ihn glänzend dastehen lassen. Aber ist eigentlich auch nur eines dieser Projekte tatsächlich jemals umgesetzt worden? Oder hat er am Ende nur davon gelebt, Fördergelder für Luftschlüsser in der Provinz abzugreifen? Und dann ist da noch die Frage, ob er tatsächlich ermordet worden ist! Durchaus gibt es dafür Hinweise. Er ist an einem Genickbruch gestorben. Aber Kampfspuren oder ähnliches – gibt es keine. Er könnte auch einfach „nur“ unglücklich gestürzt sein. Wenn sein Tod aber ein Unfall gewesen ist: Warum wurde sein Leichnam dann vom Unfallort weggeschafft und ausgerechnet in den Wagen des allseits beliebten Bestatters gelegt, der übrigens finanziell an dem Zukunftsprojekt beteiligt gewesen sein muss.

Charmante Story
Fragen über Fragen in einem charmanten Kriminalfilm, der sich selbst nicht allzu ernst nimmt und mit viel Humor seine Geschichte erzählt. Wäre in einem «Tatort» eine Frage wie - Wirtschaftsförderung: wer kontrolliert die Förderer? - das gesellschaftsrelevante Thema der Woche, wird in diesem «Friesland»-Krimi erst gar nicht der Versuch unternommen, die Erkenntnis, dass der Verstorbene wohl eher ein windiger Abzocker gewesen sein muss, als eine Überraschung darzustellen. Natürlich ist Waal ein Fördergeldbetrüger. Wer sich so pudern lässt wie er, mit Eskorte und freier Kost und Logis im besten Hotel der Stadt: Dem steht der Betrüger auf der Stirn tätowiert.

So liegt der Fokus der Geschichte auf seinen Figuren, die alle ihre kleinen Geheimnisse haben und ihre gegenseitigen Animositäten pflegen, welche jedoch nicht zwingend mit diesem Fall zu tun haben müssen. Da ist etwa die besagte Heilpraktikerin Rieke Holsten, die gegen den „Strahlenwahnsinn“ in Leer kämpft und in einen Kleinkrieg mit ihrer neuen Nachbarin, der Apothekerin Melanie Harms gerät, die keine Gelegenheit auslässt, Riekes Arbeit als Hokuspokus anzuprangern. Die Heilpraktikerin hat derweil einen Ehemann, Klaus. Oder Ex-Ehemann? Man kann es nicht wirklich sagen. Dieser Klaus kehrt auf jeden Fall eines Tages von einem Besuch seiner ehemaligen Arbeitsstätte mit einem blauen Auge zurück nach Hause. Wo er gearbeitet hat? Ausgerechnet bei einem IT-Unternehmen, mit dem besagter Waal vor Ort eng kooperiert hat. Die Wirtschaftsförderin der Stadt gebiert sich derweil als die große Checkerin, hasst ihren Job aber in Wirklichkeit, da sich mit diesem Job in der Provinz eh nichts gewinnen lässt. Und dann ist da Vera Tillich, eine Fisch-Millionärin, die man gemeinhin als eine bösartige, in die Jahre gekommene Dame betrachten darf, die ebenfalls in das Projekt investieren wollte. Allerdings hinter dem Rücken der Wirtschaftsförderung, um den eigenen Gewinn zu maximieren. Ach ja, der leere Sarg in Wolfgang Habedanks Wagen war ihrer. Eine Dame von ihrem Ruf will schließlich, wenn es soweit ist, nicht in irgendeiner zusammengeschreinerten Holzkiste beigesetzt werden. So ein Sarg muss schon ein besonderes Stück sein. Dass dieser nun unbrauchbar geworden ist, da schon eine Leiche drin lag, erfreut sie fast noch weniger als die Tatsache, dass Waal sie abgezockt hat. Immerhin hätte sie ein klares Motiv für einen Mord → wenn es denn ein Mord gewesen sein sollte.

Davon ist Cassens und Özlügüls Vorgesetzter Kommissar Brockhorst übrigens überzeugt, daher muss er den Fall persönlich übernehmen. Schließlich haben Uniformträger von anständiger Ermittlungsarbeit keine Ahnung. Überheblichkeit, du hast einen Namen, vor allem dann, wenn es die Uniformträge sind, die am Ende des Tages alle wichtigen Spuren, Indizien, Verbindungen offenlegen...

Fein geschriebene Dialoge, ein bisschen Situationskomik hier, eine dann durchaus überraschende Wendung da – und in Spiellaune agierende Darstellerinnen und Darsteller machen «Friesland: Haifischbecken» zu einem kurzweiligen Vergnügen, das sich selbst Gott sei Dank nicht allzu ernst nimmt, aber weiß, wann der Humor auch mal hinter der Dramatik zurücktreten muss. Dramatisch wird es zwar selten, aber wenn, dann werden diese (wenigen) Momente auch ernst genommen. Dass der Film dann auch noch mit einer herzlichen, überraschenden Schlusspointe endet, macht dieses harmlose, aber amüsante Kriminalvergnügen perfekt.

Am Samstag, 23. Januar 2021, 20.15 Uhr, ZDF.

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