Stab
REGIE, SCHNITT, DREHBUCH: Jan BelclKAMERA: Cezary Stolecki
KOSTÜME: Kalina Lac
MUSIK: Lukasz Stolecki
MAKE-UP: Dominika Dylewska
DARSTELLER: Julia Wieniawa-Narkiewicz, Adam Turczyk, Nikodem Rozbicki, Monika Krzywkowska, Szymon Roszak, Michal Sikorski, Michal Meyer, Adam Woronowicz, Tomas Karolak, Mateusz Wieclawek, Yasinne Fadel.
Dabei ist sein Film keine Hipshit-Gewaltorgie im Stile 90er-Jahre-Brutalo-“Komödien“ vom Schlag «Aktion Mutante», die sich „gar lustig“ in Blut und Gedärmen weideten, am Ende jedoch lediglich Gewalt zum purem, enervierenden Selbstzweck erklärten. Nein, Belcl findet seine Vorbilder irgendwo zwischen «American Pie» und einem wohl überlegten schwarzen Humor, wie man ihn in klassischen Kriminalkomödien vom Schlage «Mit Arsen und Spitzenhäubchen» findet - um dies mit einer Prise «Braindead» zu würzen. Was fürchterlich schnell noch fürchterlicher hätte scheitern können: Was aber nicht passiert, da das Ausgangsszenario, das Belcl entwirft, im ersten Akt auf jegliche Form von konkreten Genre-Zuweisungen verzichtet. Zwar wissen wir als Zuschauer, in welche Richtung sich die Story wohl entwickeln wird, doch gibt der erste Akt – bis auf sein Ende – überhaupt keinen Hinweis darauf, wie aus dieser Ausgangssituation etwas entstehen kann wie das, was der Prolog als Ergebnis dieses Abends vorweg nimmt!
Die Handlung
Es ist Silvesterabend und es ist Partyzeit. Marek, Anfang 20, Sohn aus wohlhabendem Hause, bittet zur Party. Die Regeln sind klar. Das Erdgeschoss ist Partyzone, die erste Etage tabu. Dafür gibt es Alkohol und Pizza bis zum Abwinken. Und so wird das Ensemble etabliert. Da ist Daniel, ein schüchterner Junge, der an diesem Abend seiner Freundin Andżelika einen Hochzeitsantrag machen möchte. Pawel indes stellt Marek seine neue Freundin vor: Gloria ist 40, geschieden → und es ist keine Frage, dass die allesamt deutlich jüngeren männlichen Partygäste den einen oder anderen verlegenen Blick riskieren, denn Glorias Auftreten würde man gemeinhin nicht als zurückhaltend bezeichnen. Dżordan wiederum träumt von einer Karriere als coolster Rapper Polens, während seine Freundin Anastasia mit seiner Oberflächlichkeit hadert. Einer Oberflächlichkeit, die gespickt ist mit zotigen Witzchen. Anastasia sieht sich derweil eher als Teil des Universums, in dem alles miteinander verknüpft ist.
Schließlich ist da noch Filip, der offenbar eine schwere Zeit (Drogen inklusive) hinter sich hat und diesen Abend mit seiner Kamera festhält. Sie sind die Hauptfiguren eines Ensembles, das darüber hinaus noch eine Reihe von Nebenfiguren aufführt. Etwa einen jungen, französischen Missionar (wahrscheinlich ein Mormone), der eher zufällig in diese Party gerät und erstmals in seinem Leben weltliche Gelüste am einem Körper erlebt; da sind zwei vom Sex besessene Schwestern (im Geiste), die sich gerne in allen Positionen filmen, zwei Freunde, die immer nur am Rand stehen, aber stets übersehen werden oder zwei namenlose Typen, die einfach nur den lieben langen Abend lang auf einer Bank sitzen und Bierchen auf Bierchen genießen.
Man kennt all diese Figuren aus Vorbildern wie dem genannten «American Pie». Regisseur Belcl aber genügt es nicht, nur ein paar Gebrauchs-Charaktere zu erschaffen, mit denen er Spielzeit füllt, bevor er sie spektakulär als Splatterfutter von der Bildbühne fegt. Vielmehr gesteht er jeder seiner Hauptfiguren eine zweite Ebene zu, etwas menschliches, freundliches, trauriges. Er erschafft Charaktere, um die man sich als Publikum Sorgen machen kann. Daniels Unsicherheit etwa rührt daraus, dass er im Grunde ein Außenseiter ist. Ein lieber Kerl, dem wahrscheinlich niemand je etwas Böses angetan hat. Aber eben auch ein Typ, den man schnell übersieht. Ganz anders seine Freundin Andżelika, die durchaus Blicke auf sich zieht, die offen auf Menschen zugeht, die nie in ihre Leben „übersehen“ worden. Wenn Daniel ihr an diesem Abend einen Antrag machen möchte, dann spielt da eben nicht nur Liebe eine Rolle. Im Grunde wird er von der Angst getrieben, Andżelika irgendwann zu verlieren. Dżordan wiederum ist, das ist richtig, ein ziemlich oberflächlicher Typ. Aber er ist dabei auch kein über Kerl. Er ist vielmehr, wie er ist: Etwas simpel gestrickt, nie um einen dummen, zotigen Witz verlegen, aber bei alledem ein Kumpeltyp. Und damit ist er ganz anders als Anastasia, deren „Wir sind eines mit dem Universum“-Gerede man zwar lächerlich finden kann, die aber dadurch auch als Suchende dargestellt wird: Als Suchende nach einer Art von Zuneigung, die ihr Dżordan nicht geben kann?! Regisseur Belcl erschafft sicher keine Charaktere, die man mal eben in ein Shakespeare-Drama umbetten könnte.
Aber er ist eben schlau genug, den Figuren genügend Futter zu verleihen, das sie so, wie sie sind, auch in anderen Filmgenres würden „funktionieren“ lassen. Tatsächlich deutet, wie bereits erwähnt, im ersten Akt nichts darauf hin, dass diese Geschichte in einem Blutbad enden wird. Dieser erste Akt könnte auch in eine harmlose «American Pie»-Komödie führen, in der nach einigen Irrungen und Wirrungen am Ende für die meisten Charaktere ein Happy End stünde. Aber auch die Fortführung als eher dramatische Geschichte wäre durchaus möglich. Beziehungen zerbrechen, ein Jahr beginnt in Traurigkeit (oder als Neuanfang). Das alles ist ziemlich clever durchdacht und im Grunde ist es ein Moment, der dann die Richtung vorgibt. Anastasia schüttet versehentlich ein Getränk auf Filips Kamera. Die steht auf einem Tisch, er selbst ist gerade nicht anwesend. Schnell versucht Anastasia ihr Missgeschick zu verbergen. Sie reinigt die Kamera und bemerkt, als sie das Display säubert, dass sie auf dem letzten Foto zu sehen ist. Neugierig klickt sie sich durchs Filips Fotos und stellt fest, dass sie immer wieder im Fokus steht. Und immer sind es schöne Fotos. Keine wild eingefangenen Schnappschüsse, sondern Momentaufnahmen von höchster Sensibilität. Anastasia ist gerührt. Sie verwickelt Filip in ein Gespräch, sie kommen einander näher, ziehen sich in die (verbotene) erste Etage zurück. Im Büro von Mareks Vater entdeckt Anastasia eine Waffe. Auf der einen Seite Filip, sensibel, fast schüchtern. Auf der anderen Seite die Macht eines Stück Metalls. Sie küsst Filip, der stürzt sich auf sie, auf dem Schreibtisch kommt es zum Akt. Sie trägt noch immer die Waffe in der Hand. Ein Schuss löst sich. Der geht durch die geschlossene Tür und trifft den zufällig des Weges kommenden Marek in den Kopf.
Und so nimmt der Wahnsinn seinen Lauf.
Anastasia ist geschockt, während Filip einen vergleichsweise kühlen Kopf behält. Statt die Polizei zu rufen, versucht er die Leiche verschwinden zu lassen. Doch wohin? Die Leiche landet in einem Zimmer, das schon bald Spielort eines fröhlichen Dreiers wird - während der vermeintlich betrunkene Gastgeber neben dem Bett liegt. Und da es nun alles andere als einfach ist, so eine Leiche verschwinden zu lassen, wie man schon aus einem Klassiker wie Hitchcocks «Immer Ärger mit Harry» weiß, liegt bald auch schon Leiche Nummer 2 auf dem Boden.
«Meine Freunde sind alle tot» mag hier und da den einen oder anderen zotigen Witz nicht liegenlassen können, Geschmackssicherheit gehört nicht zu seinen ganz großen Stärken. Aber er baut sein Szenario clever auf, bietet einige tolle Hauptfiguren, ist teilweise derart schwarzhumorig, dass selbst britische Humorarbeiter durchaus ein anerkennendes Nicken gen Warschau schicken und – «Meine Freunde sind alle tot» hat Tempo. Ab dem zweiten Akt kennt der Film schlicht keinen Stillstand mehr. Mit dem Bleifuß auf dem Gaspedal jagt die Story durch die Szenerie, ohne auch nur ein einziges Mal auf die Bremse zu treten. Die Absurdität, mit der ein Dominostein nach dem anderen fällt und zum bekannten Ende führt, ist schlichtweg grandios. Sicher, man braucht ein gewisses Faible für Filme dieser Art, um ihn genießen zu können. Wer so etwas genießen kann, bekommt allerdings eine wahrhaft beeindruckende Schlachtplatte vorgesetzt.
«Wszyscy moi przyjaciele nie zyja» respektive «Meine Freunde sind alle tot» ist bei Netflix verfügbar.
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