Die Kino-Kritiker

«Flora & Ulysses»

von

Alle Superheldenposen. Dargestellt von einem Eichhörnchen. Dazu ein zehnjähriges Mädchen mit Hang zum freundlichen Zynismus: Fertig ist die Disney-Streamingpremiere. Da kann doch eigentlich nicht viel schiefgehen, oder?

Stab

REGIE: Lena Khan
DREHBUCH: Brad Copeland
PRODUCER: Gil Netter
MUSIK: Jake Monaco
KAMERA: Andrew Dunn
SCHNITT: Jamie Gross
EFFEKT-SUPERVISOR: William Barkus
DARSTELLER: Matilda Lawler, Alyson Hannigan, Ben Schwartz, Benjamin Evan Ainsworth, Danny Pudi, Kate Micucci, John Kassir
Die zehnjährige Flora lebt bei ihrer Mutter, seit ihr Vater ausgezogen ist. Eigentlich haben George und Phyllis, ihre Eltern, eine Bilderbuchehe geführt. Doch irgendwann hat sich ein Bruch in ihrer Beziehung aufgetan. Während Phyllis als Autorin von schwülstigen Liebesromanen kleine Erfolge feiert, ist George, ein Comiczeichner, nie über den Status eines Talents hinausgekommen. Irgendwo auf ihrem gemeinsamen Weg ist George aus dem gemeinsamen Tritt geraten. Was bedauerlich ist, denn eigentlich liebt er Phyllis und Phyllis liebt George. Warum also die Trennung? Und wie soll eine Zehnjährige mit solch einer Situation klarkommen? Außer mit Zynismus?

Während die Situation ihre Mutter in eine Schaffenskrise stürzt, was zu langen, fruchtlosen Stunden vor der Schreibmaschine führt, rettet Flora eines Tages ein Eichhörnchen aus dem Amok fahrenden Roboter-Staubsauger ihrer Nachbarin. Der verschluckt das kleine Tier einfach und als Flora es aus dem Beutel zieht, atmet es nicht mehr. Kurzentschlossen setzt Flora ihre Lippen auf den Mund des Nagetierchens, pumpt Luft in seine Lungen und, oh Wunder, das Tier öffnet seine Augen. Flora ist begeistert und verpasst ihm kurzerhand den Namen des Roboters, einem Gartenhelfer der Marke – Ulysses. Heimlich nimmt Flora Ulysses mit in ihr Zimmer, um das Tier wieder zu Kräften kommen zu lassen. Jedoch beginnt sich Ulysses seltsam zu benehmen. Ganz so als würde das Eichhörnchen Flora verstehen. Bei einem heimlichen, nächtlichen Ausflug durchs Haus entdeckt Ulysses schließlich Phyllis' Schreibmaschine. Diese Schreibmaschine hat sie sich gekauft, um ihrer Schaffenskrise zu entkommen. Ihre neue Geschichte soll in den 1920er Jahren spielen, also versucht sie die Atmosphäre dieser Zeit zu spüren, indem sie ihre Story auf einer Maschine aus der Zeit schreibt. Was schon dadurch zu einem Problem wird, da der Buchstabe J klemmt. Ulysses entdeckt die Funktion der Tasten dieses seltsamen Gerätes – und nimmt auf diesem Weg Kontakt zu Flora auf. Die sofort erkennt, dass Ulysses einfach ein Superheld sein muss.

Superhelden, weiß sie aus Comics, sind oft ganz normale Personen, die ihre Kräfte nur durch einen Zufall oder einen Unfall erlangt haben. Ulysses wurde von einem Roboter-Staubsauger verschluckt, war für einen Moment tot und wurde von Flora ins Leben zurückgeholt. Keine Frage, dieses Ereignis hat ihn verändert. Dass Ulysses ein Eichhörnchen ist... Geschenkt. Schließlich kann Ulysses mit seiner menschlichen Umwelt kommunizieren. Was sie ihrem Vater mitteilt, der wahrscheinlich der einzige Mensch ist, der ihr Glauben schenken wird. Das Dumme ist nur, dass es beim gemeinsamen Essen in einem Diner zu einem Zwischenfall kommt, der das halbe Restaurant verwüstet und den schlimmsten Albtraum erweckt, den ein wildes Eichhörnchen erwecken kann: Den städtischen Tierfänger!

Kinderbuchverfilmung
«Flora & Ulysses» basiert auf dem gleichnamigen Kinderbuch der amerikanischen Autorin Kate DiCamillo, die bereits die Vorlage zu dem Animationsfilm «Despereaux – Der kleine Mäuseheld» verfasst hat, welcher 2009 in den Kinos lief. Ihre Vorlage zu «Flora & Ulysses», die mit allerlei Comiczeichnungen garniert ist, ist 2014 unter dem Titel «Flora und Ulysses - Die fabelhaften Abenteuer» auch in Deutschland erschienen.

Ursprünglich sollte die Disney-Produktion bereits 2020 in den Stream gehen, durch die Corona-Pandemie verzögerte sich die Fertigstellung des Filmes jedoch um rund ein Jahr. Erstaunlich sind die Effekte für eine Disney-Produktion, die nur für den hauseigenen Streaming-Dienst angefertigt worden ist. Ulysses wirkt in einer Weise echt, dass es fast unheimlich ist ihm zuzuschauen. Jedes Naserümpfen ist auf den Punkt animiert, jede Schwanzbewegung wirkt bis aufs kleinste Haar realer als die Wirklichkeit. Dabei belässt es die Regie nicht bei tricktechnischer Perfektion, tatsächlich funktioniert Ulysses als vollkommen autark handelnde Persönlichkeit. Obwohl er nicht sprechen kann, wirkt er nie stumm. Jede Gefühlsregung ist auf den Punkt inszeniert. Auch Matilda Lawler in der Rolle der zehnjährigen Flora ist ein Glücksfall. Zwar mag man bedauern, dass Flora Zynismus nur behauptet und Disney doch recht handzahm ihre Sicht auf die Welt darstellt – da wäre mit Sicherheit mehr drin gewesen:

Aber Matilda Lawlers Flora ist schon auf ihre Weise schräg und damit die perfekte Ergänzung zum Eichhörnchen, das langsam seine besonderen Kräfte entdeckt – da Superhelden eben ihre Kräfte nie alle auf einmal erkennen. Auch Ulysses muss sich erst langsam daran gewöhnen, nicht mehr im Baum nur nach Nüssen Ausschau zu halten, sondern plötzlich einzigartig zu sein. Dass Floras Vater als Comiczeichner von Ulysses begeistert ist, ist ebenso ein unausweichliches Faktum wie Phyllis' Probleme mit dem kleinen Pelzträger – wie auch die Tatsache wenig überrascht, dass sich Vater und Mutter wieder näherkommen. Dies ist ein Disneyfilm und keine düstere Netflix-Produktion. Mit dem stressbedingt erblindeten kleinen Klugscheißer William, dem Neffen der Nachbarin, der aus Gründen, die sich erst nach und nach ergeben, den Sommer bei seiner Tante verbringt, bietet die Geschichte sogar etwas Tiefgang, denn William wird nicht nur in Floras Abenteuer mit Ulysses verwickelt, er bietet zum Ende der Story hin auch etwas überraschenden Tiefgang, den man so nicht erwartet und der es kräftig menscheln lässt.

Wie es sich für eine Superheldenstory gehört, tritt mit dem örtlichen Tierfänger ein wohlfeiler Antagonist der Helden auf den Plan, der glaubt, Ulysses sei eine Gefahr für die Allgemeinheit, weshalb er die Jagd auf das Eichhörnchen einleitet.



Dass der Film offenbar nicht bis zum Ende durchgearbeitet worden ist, zeigt die Animation eines zweiten Tieres, das aus dem Computer stammt: Herrn Karl. Herr Karl ist eine psychotische Katze, die ihre Nachbarschaft terrorisiert. Herr Karl wirkt unfertig. So wirken seine Haare nie wirklich echt, sondern etwas „matschig“. Vergleicht man die atemberaubende Animation von Ulysses mit der von Herrn Karl, liegen dazwischen mindestens zwei Monate Rechenleistung. Dies ist allerdings auch der einzige Kritipunkt an einem Film, der das ist, was er sein will: Familienunterhaltung. Sein Humor ist weitestgehend harmlos, aber treffsicher. Die Identifikation mit den handelnden Figuren fällt leicht und Ulysses ist grandios. Natürlich geht die Story nicht sonderlich tief, natürlich ist das alles auf seine Art und Weise auch vorhersehbar. Doch als Gute-Laune-Film funktioniert «Flora & Ulysses» tadellos. Womit die Eingangsfrage beantwortet wäre: Hier ist nicht schiefgegangen.

«Flora & Ulysses» ist bei Disney+ streambar.

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