Keine andere Schauspielerin wurde so oft für den Oscar vorgeschlagen wie Meryl Streep. Aber von den 21 Nominierungen gewann sie auch drei Mal. Anders sah es für Glenn Close aus, die am 25. April für die 93. Verleihung der Academy Awards vorgeschlagen wurde. Für ihre Rolle in dem Netflix-Familiendrama «Hillbilly Elegy» heimst die 74-Jährige ‚erst‘ ihre achte Nominierung ein, nur das sie bisher kein einziges Mal gewonnen hat. Das muss schon ziemlich frustrierend sein, in 38 Jahren immer wieder zu bangen und dann geht doch eine Konkurrentin mit der begehrten Trophäe nach Hause. Erst vor zwei Jahren hätte man darauf gewettet, dass Glenn Close endlich den Oscar für ihre subtile Darstellung in «Die Frau des Nobelpreisträgers» ergattern würde. Der Preis ging aber an Olivia Colman für ihre gewiss ebenso geniale Rolle als Königin in «The Favourite – Intrigen und Irrsinn».
2012 war Glenn Close für ihre Männerrolle in «Albert Nobbs» nominiert, ausgerechnet die zwei Jahre jüngere Meryl Streep schnappte ihr das Goldmännchen als «Die eiserne Lady» weg, obwohl sie ja schon zwei Zuhause hatte. Auch 1983 waren Streep und Close für Oscars nominiert. Streep gewann als ‚Beste Hauptdarstellerin‘ für «Sophies Entscheidung», Close verlor als ‚Beste Nebendarstellerin‘ für «Garp und wie er die Welt sah» gegen Jessica Lange für «Tootsie». In der gleichen Kategorie trat Glenn Close in diesem Jahr gegen Amanda Seyfried («Mank»), Marija Bakalowa («Borat 2»), erneut Olivia Colman («The Father») und Gewinnerin Yoon Yeo-jeong («Minari») an.
Raus aus dem Sumpf der Abgehängten
Im Süden Ohios wächst J.D. Vance (Owen Asztalos) zusammen mit seiner Schwester in ärmlichen Verhältnissen auf. Seine alleinerziehende Mutter Bev (Amy Adams) arbeitet als Krankenschwester und hat alle Mühe, die Familie durchzukriegen. Unterstützung bekommt sie immer wieder von ihrer eigenen Mutter, die von allen nur liebevoll Mamaw (Glenn Close) gerufen wird. Doch Bev gerät in einen Teufelskreislauf als sie damit anfängt, immer öfters Tabletten zu schlucken. Bald greift sie zu stärkeren Drogen und wird schließlich heroinsüchtig. Immer öfters gerät sie dadurch außer Kontrolle, sodass J.D. von seiner Oma (Glenn Close) geholt wird. Doch bei ihr herrscht ein strenges Regiment.
Anstatt ihren Enkel zu verwöhnen, zwingt sie ihn, sich an regeln zu halten und sich an der Schule an den Riemen zu reißen. Sie weiß, dass Bildung der einzige Weg für ihn ist, aus der Spirale der Armut herauszukommen. Jahre später hat J.D. (Gabriel Basso) tatsächlich die besten Chancen für eine Karriere als Manager. Doch die Vergangenheit holt ihn kurz vor einem wichtigen Bewerbungsgespräch wieder ein als seine Schwester Lindsay (Haley Bennett) anruft. Ihre gemeinsame Mutter wurde mit einer Überdosis Heroin ins Krankenhaus eingeliefert.
Die Schatten einer amerikanischen Erfolgsgeschichte
Glenn Close, die zum Ende der Achtzigerjahre als Femme Fatale in «Eine verhängnisvolle Affäre» und «Gefährliche Liebschaften» weltberühmt wurde, ist als schmucklose Großmutter aus einem einfachen Milieu fast nicht wiederzuerkennen. Ihr ansonsten adrettes Gesicht versteckt sie hinter dickem Make-up, Brille und Lockenfrisur, um der echten Mamaw auch im Aussehen möglichst nah zu kommen. Ja, «Hillbilly Elegy» basiert auf den autobiografischen Roman von J.D. Vance mit dem Untertitel „Die Geschichte meiner Familie und einer Gesellschaft in der Krise“. Tatsächlich hat Vance als Kapitalmanager den Aufstieg geschafft und als er 2016 sein Buch veröffentlichte, blieb ihm der Erfolg mit 700.000 Exemplaren allein in den USA auch in diesem Fall treu.
Eine typisch amerikanische Erfolgsgeschichte à la ‚vom Tellerwäscher zum Millionär‘ könnte man meinen. In gewisser Weise stimmt das auch, aber um Anerkennung und Applaus geht es nicht. Vielmehr funktioniert «Hillbilly Elegy» wie ein Rückblick, um auf jene Amerikaner einer diesem Fall weißen Unterschicht aufmerksam zu machen, die jegliche Hoffnung auf ein Leben ohne Armut verloren haben. Menschen ohne Bildungschancen und Gewalterfahrungen in der eigenen Familie, die meist in die gleiche Abwärtsspirale wie ihre Eltern und deren Eltern geraten. Viele dieser ‚Abgehängten‘ haben Donald Trump 2016 zum Sieger der US-Präsidentschaftswahlen verholfen, weil sie sich vom amerikanischen Establishment längst nicht mehr gesehen wurden.
Im tragischen Kosmos einer Familie
Als «Hillbilly Elegy» (Hillbilly heißt übersetzt abfällig so viel wie Hinterwäldler) als Buch veröffentlicht wurde, sahen viele darin einen Erklärungsversuch für die Sieg von Donald Trump. Auf einen solchen politischen Diskurs lässt sich Regisseur Ron Howard aber mit seiner Verfilmung nicht ein. Er konzentriert sich ausschließlich auf den Kosmos dieser einen Familie und arbeitet besonders die Charaktere stark heraus, womit natürlich auch die emotionale Verbundenheit zum Publikum gelingt.
Howard, der Kinoerfolge etwa mit «Apollo 13» und «Illuminati» feierte und zuletzt mit «Solo: A Star Wars Story» leider etwas baden ging, kann sich dabei voll und ganz auf seinen Cast verlassen. Nicht nur Glenn Close brilliert, sondern auch Amy Adams («Justice League») kann mit ihrer unberechenbaren Mutterrolle, die sich zwischen Liebe und Hass verliert, überzeugen. Mit körperlicher Schönheit glänzt auch sie hier nicht. Und auch die beiden Darsteller der Hauptfigur - Owen Asztalos als junger, Gabriel Basso als älterer J.D. Vance – machen ihre Sache gut. Dass Howard damit auf zwei Zeitebenen permanent hin- und herwechselt, ist anfangs irritierend, macht dann aber Sinn, um die Zweifel, die Unsicherheit, den Mut und die Zuversicht von Vance herauszuarbeiten.
Fazit: Ron Howard schafft es sein Publikum emotional immer wieder einzubinden. Neben der Tragik funkelt hin und wieder auch etwas Leichtigkeit hervor, womit er stets knapp an der Grenze zur Gefühlsduselei vorbeischrammt.
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01.06.2021 03:15 Uhr 1