Interview

Viggo Mortensen: ‚Es war ein Glückstreffer‘

von   |  1 Kommentar

Der 62-Jährige verarbeitet mit seinem Regiedebüt «Falling» sein Leben. Im Gespräch mit Quotenmeter erläutert er auch die Geschichte von einer Ente.

Als heldenhafter Aragorn in den Verfilmungen der Fantasy-Trilogie «Der Herr der Ringe» ist er in die Annalen der Filmgeschichte gegangen. Seitdem hat sich Viggo Mortensen (62) mit ernsthafteren Dramen wie «Captain Fantastic», aber auch mit Tragikomödien wie «Green Book» weiterentwickelt. Der nächste konsequente Schritt für den US-Schauspieler konnte nur hinter die Kamera führen. Mit der tragischen Vater-Sohn-Geschichte «Falling» (seit 12. August im Kino) liefert er nun ein eindrucksvolles Regiedebüt ab, in dem er teilweise auf seine eigenen Familienerinnerungen zurückgegriffen hat. Wir trafen Viggo Mortensen zum Interview in Berlin.

Es heißt, Ihr Regiedebüt hätte autobiografische Züge. Wie weit stimmt der Film mit Ihrer eigenen Kindheitsgeschichte letztlich überein?
Ehrlich gesagt, ist das meiste erfunden. Alles was mit der Familie geschieht und worüber gesprochen wird, habe ich mir zuvor ausgedacht. Aber es gibt einige Kleinigkeiten wie die in Rückblenden erzählte Entenjagd am Anfang, die wahr sind. Die Dynamik, die in der Szene zwischen dem Ehemann und Ehefrau herrscht ist ähnlich wie die meiner Eltern. Letztlich ist aber auch das eine Fiktion.

Zum Abspann werden die Namen Charles und Walter genannt, denen Sie diesen Film widmen…
Ja, das sind die Namen meiner beiden Brüder, die sicherlich noch einige Parallelen mehr erkennen werden als ich hier erzählen kann. Ich war ja selbst erst vier als mein Vater mit mir zur Entenjagd ging. Das ist eine Erinnerung, die sich bei mit eingeprägt hat.

Das heißt, Sie haben damals als kleiner Junge wirklich eine Ente geschossen und wollten sie nicht mehr hergeben?
Na ja, es war ein Glückstreffer. Es war Winter, die Sonne ging gerade unter und mein Vater fragte: ‚Willst du es mal versuchen?‘ Klar wollte ich und schoss. Danach holte ich die tote Ente aus dem kalten Wasser, legte sie Zuhause in die Badewanne und nahm sie auch mit ins Bett. Ja, das ist alles so passiert, und ich nahm diese eigene Erinnerung, um Vater und Sohn aus verschiedenen Perspektiven in die Vergangenheit schauen zu lassen.

Vielleicht ist «Falling» mehr die Verarbeitung Ihrer eigenen Gefühlswelt, die sich aus Ihren Erinnerungen entwickelt hat?
In gewisser Weise schon, aber selbst eigene Erinnerungen wandeln sich im Laufe der Zeit. Das kann sehr vertrackt sein, denn wie ich mich heute an Dinge erinnere ist anders als noch vor fünf, zehn oder zwanzig Jahren. Jeder von uns verarbeitet Erinnerungen immer wieder von neuem. Erinnerungen sind daher nicht sehr zuverlässig. Anders sieht es mit Gefühlen aus.

Inwiefern?
Selbst wenn im nachhinein andere Fakten auf den Tisch kommen, die frühere Erinnerungen relativieren, bleibt das Gefühl von damals. Wie man sich an etwas erinnert, entscheidet darüber wie man sich verhält. Wir interpretieren Dinge, die wir erfahren haben, besonders in den ersten Lebensjahren. Das hat mich interessiert, das wollte ich aufdecken.

Sie haben auch das Drehbuch geschrieben. Was war überhaupt der Auslöser für die Geschichte eines Mannes, der versucht, mit seinem dementen und zugleich streitsüchtigen Vater Frieden zu finden?
Angefangen hat alles mit dem Tod meiner Mutter gleich nach ihrer Beerdigung. Ich fing an, alles niederzuschreiben, was mir eingefallen ist oder mir andere von ihr erzählten. Daraus bildete sich eine interessante Struktur aus den einzelnen Stationen ihrer Vergangenheit, Bilder entstanden, die man wie Puzzleteile zusammenlegen musste, um ein Bild von meiner Mutter, aber auch von unserer Familie zu erhalten.

Und wie wurde daraus dann der Konflikt zwischen Vater und Sohn?
Denkt man an die Mutter, denkt man automatisch an den Vater, weshalb der Ansatz für einen immer weiter in diese Richtung ging. Nichtsdestotrotz ist die Mutter auch Teil davon, denn in ihr liegt der Grund, warum ihr Mann und ihr Sohn verschiedener Meinung sind in dem, wie sie sich an sie erinnern und was sie für sie bedeutet hat.

Ihr Vater ist ebenfalls vor einigen Jahren gestorben…
Ja, 2017, und meine Mutter 2015.

Ist der von Lance Henriksen gespielte Vater im Film denn nun ein Abbild Ihres eigenen Vaters oder nicht?
Nein, er ist weit entfernt von dem wie mein Vater war, vor allem in seiner Gemeinheit, die er seinen Sohn spüren lässt. Dennoch gehörte mein Vater noch zu einer Generation, in der klare Vorgaben herrschten, wie ein Vater zu sein hat: Er ist derjenige, der das Sagen hat, die Entscheidungen trifft und eine gewisse Kontrolle ausübt. Das bestimmte zu jener Zeit auch die Familienstruktur: Die Mutter konnte zwar ihren Standpunkt haben, dennoch musste sie ihren Mann unterstützen und war für die Kinder verantwortlich.

Haben Sie Ihren Vater als streng erlebt?
Das Verhalten meines Vaters war ja nicht böswillig. Er glaubte, so sein zu müssen. Das entsprach der damaligen Normalität und er hätte nicht verstanden, warum er sich hätte anders verhalten sollen. Aber er war darin gewiss nicht so extrem wie es Lance spielt und schon gar kein Rassist oder homophob.

Ihre Eltern ließen sich irgendwann scheiden. Wie gut war danach Ihr Verhältnis zu Ihrem Vater?
Meine Brüder und ich lebten natürlich bei unserer Mutter und dadurch haben wir uns nicht mehr so oft gesehen. Aber wir haben uns gut mit ihm verstanden. Aber wie das so ist, wenn eine neue Generation heranwächst und ihren eigenen Weg sucht: Man muss von dem, was einem die Eltern vorgelebt haben, ein wenig ablehnen, um sich selbst zu finden. Das gab es auch bei uns.

Wie sind Sie auf den Titel «Falling» gekommen?
Ich verwendete den Titel zuerst für eine Kurzgeschichte, an der ich schrieb. Als ich das Drehbuch für meinen ersten Regiefilm schrieb, verwendete ich den gleichen Titel, bis mir vielleicht ein besserer einfallen würde. Aber mir fiel kein anderer ein, und je mehr ich mich mit «Falling» anfreundete, desto besser gefiel mir der Titel. Denn er trifft auf so viel zu, was im Film passiert.

Zum Beispiel?
Man kann physisch fallen, was dem alten Mann im Film auch passiert. Man kann in Ungnade fallen, was ganz eindeutig Thema des Films ist. Im Englischen heißt es auch ‚Falling in Love‘, also sich verlieben, was auch zur Geschichte gehört. Im Amerikanischen sagt man auch zum Herbst Fall, und damit geht ja auch immer etwas zu Ende, wenn die Blätter fallen. All diese Metaphern zu «Falling» haben mir gefallen und so blieb ich bei diesem Titel.

Danke.

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Es gibt 1 Kommentar zum Artikel
Stargamer
16.08.2021 14:20 Uhr 1
"Angefangen hat alles mit dem Tod meiner Mutter gleich nach ihrer Beerdigung."



Ehrlich, fällt einem beim Schreiben so was nicht auf? Denn ich gehe stark davon aus dass Herr Mortensen das eher nicht so gesagt haben wird...
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