Die Kritiker

«Sarah Kohr: Stiller Tod»

von

Sarah Kohr blutet. Ihr Körper ist lädiert. Sie sitzt auf einer Straße irgendwo mitten im Hamburg. In ihren Händen hält sie eine seltsame Kartusche. Polizisten und sogar Soldaten sichern das Gelände ab. Wenn sie nicht handelt, werden viele Menschen sterben. Sarah Kohr steht auf und klettert in ein Panzerfahrzeug. Dies ist für Giftgaseinsätze konstruiert worden und es ist absolut dicht – für den Fall, dass sich die Kartusche öffnet.

Stab

DF / Reihe / Thriller
EA: 27.9.2021, 20.15 Uhr (ZDF)
DARSTELLER: Lisa Maria Potthoff, Kai Wiesinger, Herbert Knaup, Aleksandar Jovanovic, Hans-Uwe Bauer, Jonas Anders, Corinna Kirchhoff, Stephanie Eidt, Natalia Rudziewicz, Ulrike C. Tscharre,
DREHBUCH: Timo Berndt
REGIE: Christian Theede
KAMERA: Tobias Schmidt
AUSSTATTUNG: Thomas Neudorfer
SCHNITT: Martin Rahner
MUSIK: Boris Bojadzhiev
REDAKTION: Daniel Blum
PRODUKTIONSFIRMA: die film GmbH (Sophia Aldenhoven, Uli Aselmann)
Der sechste Fall der Sarah Kohr macht keine Gefangenen. Simpel ist die Geschichte. Schnell wird klar, wer hier gegen wen ins Felde zieht. Viel Zeit für komplizierte Charakterzeichnungen wird nicht aufgebracht. Dafür setzt die Inszenierung auf ein für einen deutschen TV-Krimi fast schon irritierendes Tempo und beginnt mit dem Ende. Sarah Kohr hält also eine Giftgas-Kartusche in ihren Armen. Sarin ist der Kampfstoff, der in Hamburg freigesetzt werden sollte. Von wem? Warum? Das sind die Fragen, die im Raume stehen. Die Geschichte springt zwölf Stunden zurück. Irgendwo vor den Toren Hamburgs werden in einer unscheinbaren Halle Giftgas-Granaten vernichtet. Männer mit Maschinengewehren sichern die Tore. Dennoch wirkt das Gelände eher unspektakulär. Und selbst die Sicherheitsmaßnahmen wirken übersichtlich, bedenkt man, womit die Mitarbeiter hier hantieren. Mehr noch als das: Relativ problemlos kann Sebastian Kölling, der Assistent von Dr. Diestel, dem Chef der staatlichen Einrichtung, seiner neuen Freundin Aida seinen Arbeitsplatz präsentieren. Sein Arbeitsplatz, das ist ein hermetisch abgeschlossenes Zelt, in dem Dr. Diestel und er Granaten aus Syrien auseinander nehmen und die chemischen Kampfstoffe trennen. Eine Arbeit, die, wie Sebastian erklärt, zwar gefährlich klingt, so gefährlich aber gar nicht ist, wenn man sich nur an die Sicherheitsvorkehrungen hält. Sicherheitsvorkehrungen, die es mit der Besucherkontrolle allerdings offenbar nicht ganz so ernst nehmen, denn mitten im Zelt kann Aida eine Waffe ziehen und niemand anderen als Dr. Diestel entführen. Inklusive der letzten mit Sarin gefüllten Kartusche.

Aida heißt in Wirklichkeit Juliane und ist ihrem syrischen Ehemann in den Krieg in seine alte Heimat gefolgt. Dort ist er umgekommen. Juliane ist daraufhin nach Deutschland zurückgekehrt. Keine Frage für Staatsanwalt Mehringer, Sarah Kohrs Chef, dass Juliane den Krieg ihres Ehemannes nun in deutsche Straßen tragen will. Das Problem: Eine Stadt wie Hamburg lässt sich nicht evakuieren und eine Warnung würde Panik auslösen. Also muss Sarah Kohr diskret ermitteln. Egal, welche Regeln sie dafür brechen muss, Mehringer steht hinter ihr. Allerdings hat Sarah ein Problem: Thomas Weißhaupt, ein in die Jahre gekommener Polizeikommissar, für den feststeht, dass eine Islamistin einen großen Anschlag plant und der jeden Hinweis darauf, dass der Diebstahl und die Entführung ganz andere Hintergründe haben könnten, geflissentlich vom Tisch wischt. Und tatsächlich gibt es eine überraschende Querverbindung zwischen dem Sarin und der Stadt Hamburg. Sebastian Kölling wiederholt gegenüber Sarah Kohr die Erklärung, dass die Arbeit in dem Zentrum eigentlich gar nicht so gefährlich ist, wie man meinen mag. Die Stoffe nämlich, die zusammen den tödlichen Kampfstoff ergeben und die Granaten, die sie transportieren, zu einer schrecklichen Massentötungswaffe machen, sind normalerweise in der Kartusche sauber voneinander getrennt. Wenn man bei der Vernichtung der Waffen diese Stoffe ebenso sauber voneinander trennt – sind sie, zumindest für die Fachleute, harmlos. Allerdings gibt es ein Verfahren, das diese Trennung in der Granate unnötig macht und die einzige Firma, die dieses Verfahren beherrscht, sitzt in Hamburg.

Ob das alles chemisch so funktioniert, wie es in diesem ZDF-Thriller beschrieben wird, oder ob Chemikerinnen und Chemiker am Ende dieses Actionkrachers Tränen der Verzweiflung weinen werden: Es spielt keine Rolle, denn das Drehbuch von Timo Berndt ist viel zu sehr auf Tempo getrimmt als das großartig Zeit bliebe, die alten Chemiebücher aus Klasse 9 aus einer Bananenkiste im Keller zu kramen und nachzulesen, ob das alles so funktionieren kann wie hier behauptet. Es ist egal, denn Sarah Kohr hat ja auch keine Zeit, um sich mit solchen Fragen auseinandersetzen zu können. Sie muss sich beeilen, wenn wir, die Zuschauer wissen ja: In wenigen Stunden wird sie mit einer Giftgaskartusche in ihren Armen auf einer Straße sitzen. Die Frage lautet also: Wie ist sie dorthin gekommen – und nicht: Ist das jetzt aus dem Blickwinkel der Naturwissenschaften heraus betrachtet alles korrekt?

Dass die Geschichte am Ende tatsächlich zu fesseln versteht, überrascht allerdings schon etwas, denn nach dem rasanten, in dreckigen, grünstichigen Farben inszenierten Prolog, der inszenatorisch Kinoniveau erreicht, erscheint der Überfall der Aida auf das Giftgas-Labor seltsam – amateurhaft. Nicht nur die Art, wie Aida alias Juliane vorgeht – sie kann kaum ihre Waffe ruhig in Händen halten: Nein, da ist vor allem die Frage, wie sie auf dieses Gelände kommt, denn auch wenn sich Sebastian vor seiner neuen Freundin vielleicht wichtig machen will: Er nimmt sie nicht an die Hand und spaziert einfach durchs Eingangstor. Mehrfach wird darauf hingewiesen, dass es vorab einen Identitätscheck gegeben habe, welcher keine Verdachtsmomente rgab. Seltsam, dass die ermittelnde Staatsanwaltschaft keine fünf Minuten braucht, um die wahre Identität der Terroristin zu ermitteln.

Das alles wirkt zunächst einmal ziemlich konstruiert. Doch, der Spoiler darf sein: Vielleicht wusste ja jemand ganz genau, wer da in Wahrheit das Gelände betritt und wollte, dass genau das passiert, was passiert ist. So dauert es nicht lange, bis eine weitere Partei auf den Plan tritt, die offenbar Geheimnisse zu bewahren gedenkt, die, sollten sie an die Öffentlichkeit gelangen, sehr unangenehm für sie werden könnten.

Deutschlands Actionheld Nummer 1 ist eine Frau. Die Hälfte der Spielzeit über im Bruce-Willis-Gedächtnis-Feinripp gewandet, prügelt sich Lisa Maria Potthoff von Schauplatz zu Schauplatz. Eine allzu große Komplexität lässt sich der Story wirklich nicht attestieren, wie bereits an vorangegangener Stelle erwähnt. Relativ schnell ist klar, wer in diesem Thriller aus welchem Grund welche Süppchen kocht. Aber das alles spielt keine Rolle, denn Lisa Maria Potthoff rockt die Handlung. Mal hängt Lisa Maria Potthoff an der Fassade eines Mietshauses (und es ist wirklich die Darstellerin und kein Stunddouble, dass dort hängt). Ein anderes Mal prügelt sie sich mit einem finster dreinblickenden Söldner im besten Krav Maga-Stil. Sarah Kohr erlebt ihr «24» und wenn sie versagt, werden die Konsequenzen kaum abschätzbar sein.

Nun ist dies immer noch eine ZDF-Produktion. Das Budget ist demnach übersichtlich, allzu viele Schauwerte bietet sie nicht. Regisseur Christian Theede umgeht dieses „Problem“, indem er stets nah an den Hauptfiguren und hier insbesondere an der Hauptdarstellerin bleibt. In bester B-Filmmanier richtet er sein Fokus so auf Sarah Kohr, dass die Umgebung, in der sie agiert, kaum mehr als eine schwammige Kulisse im Hintergrund darstellt. Und Lisa Maria Potthoff stellt diese Sarah Kohr als eine Frau da, die immer wieder aufsteht. Ein wahrer Actionheld definiert sich nicht dadurch, dass er (oder sie) besonders gut mit der Wumme umgehen kann und einem John Wick gleich Legionen böser Buben dem Bestatter zuführt. Die wahre Actionmeisterschaft besteht im Aufstehen. Sarah Kohr blutet, sie wird angeschossen, mit fortlaufender Spielzeit sieht ihr Gesicht mehr und mehr aus wie eine Zusammenfassung aller «Rocky»-Filme. Dennoch rennt sie immer weiter und gibt niemals auf.

«Sarah Kohr: Stiller Tod» kennt keinen Stillstand, lässt es (in seinem bescheidenen Rahmen) ordentlich krachen und präsentiert eine Hauptdarstellerin in Bestform. Mehr kann man von einem Thriller dieser Art nicht verlangen.

Am Montag, den 27. September 2021, um 20.15 Uhr im ZDF

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