Interview

‚«Ich bin dein Mensch» kommt wieder nach Hause‘

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Durch die Kino-Auswertung der SWR-Produktion bekam der Maria-Schrader-Film einen Deutschen Filmpreis und vertritt Deutschland bei den Oscars. Warum dieser exklusiv bei ARD zu sehen ist, verrät Dr. Manfred Hattendorf. Außerdem steht «Das Haus» im Mittelpunkt, der Spielfilm ist eine Dystopie und läuft ebenfalls im Ersten.

Hallo Herr Christian Granderath (NDR), guten Tag Herr Dr. Manfred Hattendorf (SWR). Vielen Dank für Ihre Zeit. Am 22. Dezember 2021 strahlt Das Erste um 20.15 Uhr den mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichneten Streifen «Ich bin dein Mensch» aus. Warum zeigen Sie den Film gerade zur Weihnachtszeit?
Dr. Manfred Hattendorf (SWR): Im Vergleich mit anderen Zukunftsgeschichten ist «Ich bin dein Mensch» mit einer gewissen Leichtigkeit und Komik erzählt. Diese romantische Near Future-Komödie passt – wie auch die historische ARD-Miniserie «Ein Hauch von Amerika» - wunderbar in die Zeit der Festtage, wo man auch die Zeit hat, sich in der ARD Mediathek das eine oder andere fiktionale Highlight anzuschauen. Außerdem ist es uns ein Anliegen, diesen hoch dekorierten Film noch in diesem Jahr dem Publikum in der ARD zu zeigen.

Der Spielfilm handelt von einer Frau, dargestellt von Maren Eggert, und einem humanoiden Roboter (Dan Stevens). Was ist der Twist an diesem Stoff?
Dr. Manfred Hattendorf (SWR): Alma Felser ist Wissenschaftlerin und sie will eigentlich nur eines: in Ruhe ihren Forschungen nachgehen. Auf keinen Fall will sie von einem liebestollen Roboter dabei gestört werden. In unserem Fall verliebt sich die Hauptfigur in eine Maschine, und das macht die Geschichte thematisch so spannend. In anderen RomComs wird am Ende erzählt, dass die beiden Hauptfiguren nur miteinander glücklich sein können. So einfach macht es uns «Ich bin dein Mensch» nicht: Die zentrale Frage, ob ein Roboter ein guter Liebes- und Lebenspartner für unsere Hauptfigur sein könnte, wirft Alma letztlich auf ihr eigenes Menschsein zurück und auf die Frage: Was brauchen wir, um glücklich zu sein?

Für die Produktion haben Sie Maria Schrader gewinnen können, die auch für Netflix «Unorthodox» drehte. Passt auch «Ich bin dein Mensch» zum amerikanischen Streamingdienst?
Dr. Manfred Hattendorf (SWR): Bei «Ich bin dein Mensch» handelt es sich um eine hundertprozentige Auftragsproduktion des SWR. Wir haben in dem Film auch Potential für eine Kinoauswertung gesehen und diese Kinokarriere des Films unterstützt. Nun kommt «Ich bin dein Mensch» wieder zu uns nach Hause ins öffentlich-rechtliche Fernsehen. Wir sind sehr froh darüber, dem Publikum eine attraktive und spannende Alternative zu den Produktionen von Netflix und Co. anbieten zu können.

Netflix kauft gerne deutsche Stoffe, die vom Publikum gern verzehrt werden. Können Sie mit den Lizenzgebühren von Filmen und Serien die Produktionen eigentlich refinanzieren?
Christian Granderath (NDR): Bei einem Kinofilm wie «Das Haus» und High-End-Serien, die zusammen mit der ARD und mit Unterstützung der Filmförderungen entstehen, wird von den Produzent*innen in der Regel ein Eigenanteil verlangt. Dafür behält die Produktionsfirma dann ggf. Lizenzrechte zurück. Davon profitieren nach einer bestimmten Lizenzzeit möglicherweise auch Streamingdienste. Die Lizenzgebühr geht dann an die Produktionsfirma, nicht an den Auftraggeber.

Dr. Manfred Hattendorf (SWR): «Ich bin dein Mensch» allerdings wird nicht bei Netflix erscheinen, da die Auswertungsrechte für den Film allein beim SWR liegen. Auch bei der NDR, RBB und ARTE-Koproduktion «Das Haus» ist derzeit keine Auswertung durch eine Streamingplattform in Deutschland geplant.

«Ich bin dein Mensch» haben nur etwas mehr als 100.000 Menschen gesehen. Wäre der Spielfilm erfolgreicher gewesen, wenn nicht die Corona-Pandemie gewütet hätte?
Dr. Manfred Hattendorf (SWR): Die Corona-Situation verhindert aktuell leider volle Kinos. «Ich bin dein Mensch» steht mit fast 120.000 Zuschauer*innen aktuell auf Platz drei der deutschen Arthouse-Charts und auf Platz sieben der Arthouse-Charts, wenn man internationale Filme hinzuzählt. Es ist sehr bedauerlich, dass auch andere Publikumsmagneten wie Oscargewinner «Nomadland» (ab 31.12. bei Disney+) dieses Jahr weit hinter den gewöhnlich zu erwartenden Zahlen zurückgeblieben sind.

Zahlreiche Kinoproduktionen sind in Zusammenarbeit mit den öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern entstanden. Finanziert der Gebührenzahler die Fülle an deutschen Produktionen?
Dr. Manfred Hattendorf (SWR): Die Wir freuen uns, dass wir ein herausragendes Angebot an nationalen und internationalen Serien und Fernsehfilmen in unserer ARD Mediathek zeigen können. Dazu zählen z.B. neben dem ARD Mediatheks-Schwerpunkt zum Thema Near Future mit Filmen wie «Zero», «Das Haus» oder «Ich bin dein Mensch» auch High-End-Serien und Mehrteiler wie «Das Geheimnis des Totenwaldes», «,Die Toten von Marnow», «Oktoberfest 1900», «Ein Hauch von Amerika», «Unsere wunderbaren Jahre» oder auch «Kranitz», die in der ARD Mediathek viele Millionen Menschen über sehr lange Zeiträume erreichen.

In «Das Haus» am 15. Dezember um 20.15 Uhr geben die Menschen ihre individuelle Verantwortung ab. Ein düsteres Szenario?
Christian Granderath (NDR): Das stimmt, aber Zukunftspessimismus war keine Vorgabe für die Autor*innen, Zukunftsoptimismus aber auch nicht. Eine Dystopie wie «Das Haus» ist als Alptraum natürlich immer nur eine Möglichkeit, von der Zukunft zu erzählen. Es hat dabei auch komische Aspekte, wenn ein kritischer Journalist, der es gewohnt sein sollte, Wahrheiten zu hinterfragen, in seinem Privatleben einer K.I. die Verantwortung für sein Leben weitgehend überträgt: Gesunde Ernährung, stimulierte Sexualität, die richtige Duschtemperatur sind ja nur der Anfang. Der nächste Schritt ist dann die Auswahl der richtigen Freund*innen, bis hin zu Sanktionen gegen Menschen, die nicht zu ihm passen.

Obwohl wir von einem fiktiven Szenario sprechen, vertrauen die Menschen immer mehr auf Algorithmen in Sachen Nachrichten, Musik und Filme/Serien. Haben wir diesen gespenstischen Punkt schon überschritten?
Christian Granderath (NDR): Wir haben das ja z.B. im US-Wahlkampf, beim Brexit oder bei der derzeitigen Radikalisierung in unserer Gesellschaft beobachtet. Es ist gefährlich, wenn Menschen nur noch in ihren eigenen Filterblasen unterwegs sind: Algorithmen schlagen uns ja nicht nur etwas vor, sondern sie auch filtern raus, was uns nicht interessieren muss. Darin liegt eine Gefahr. Eine weitere ist, dass wir oft nicht wissen, nach welchen Mustern intelligente Maschinen für uns Entscheidungen treffen, wenn z.B. bei einer Software für Einstellungs-Verfahren nach bestimmten Kriterien Bewerber*innen aussortiert werden.

Natürlich gibt es auch zahlreiche Entwicklungen, bei denen Algorithmen Komfort und Lebensqualität ermöglichen und uns das Leben erleichtern. Fahrpläne, die mit Hilfe von K.I. gestaltet werden, oder der Kühlschrank, der selbstständig das Bier im Supermarkt bestellt, wenn es alle ist. Mit der Datensammelei sind aber auch gravierende Gefahren verbunden - wenn die K.I. weiß, was ich will, bevor ich es selber weiß. Der Mensch und sein Ich scheinen komplett kalkulier- und auslesbar, das ist ökonomisch hochinteressant und politisch gefährlich. In den falschen Händen wird das zum Gift für unser Leben und Zusammenleben, wie wir es kennen.

«Das Haus» punktet mit tollen Aufnahmen, die aber meist recht dunkel gehalten sind. Soll somit die angespannte Stimmung eingefangen werden?
Christian Granderath (NDR): Die Kameramänner Stefan Ciupek und Matthias Bolliger haben zusammen mit Regisseur Rick Ostermann entschieden, dass in dieser unheimlichen Geschichte auch das Haus einen eigenen Charakter haben sollte. Wunderschön gelegen und verlockend, aber auch dunkel, manipulativ und mächtig, es isoliert und irritiert unseren von Tobias Moretti wunderbar gespielten Protagonisten mehr und mehr. Außerdem spielt die Geschichte auf einer unbewohnten Insel, Johann Hellström und seine Frau sind ganz allein und es gibt dort nachts kein Licht.

Der Spielfilm ist im Jahr 2029 angesiedelt und ist eine Dystopie. Müssen die Menschen also von den Maschinen gerettet werden?
Christian Granderath (NDR): „Das Schicksal des Menschen ist der Mensch“ hat Berthold Brecht mal geschrieben, das ist nach wie vor richtig. Gesundes Misstrauen ist dafür wichtig. Ein Navigationssystem zeigt mir meistens den richtigen Weg, aber es ist nicht immer der kürzeste oder der schönste. Solange ich aber eine Wahl habe, ist das okay. Gefährlich wird es erst, wenn wir gar nicht mehr wissen, dass es noch Alternativen gibt.

Haben Sie eigentlich selbst smarte Geräte?
Christian Granderath (NDR): Ja.

Dr. Manfred Hattendorf (SWR): Natürlich.

Themenwechsel: Der Donnerstagabend erfreut sich mit seinen Krimis von unterschiedlichen Orten größter Beliebtheit. Sie erreichen zwischen fünf und neun Millionen Zuschauer. Wie konnte Das Erste in den vergangenen Jahren eine so starke Marke aufbauen?
Christian Granderath (NDR): Es sind für unsere Produktionen, die wir gemeinsam mit der ARD Degeto umsetzen, sogar mehr als 10 Millionen Zuschauer*innen in der Spitze, die wir in diesem Jahr mit unserer Reihe «Nord bei Nordwest» erreicht haben. Am Donnerstag laufen Krimis, die sehr stark in den Regionen und Landschaften verwurzelt sind - wie bei unseren Formaten «Nord bei Nordwest», dem «Usedom-Krimi» oder dem «Flensburg-Krimi». Sie leben aber natürlich auch von unseren starken Protagonist*innen wie Hinnerk Schönemann, Katrin Sass, Eugene Boateng und Katharina Schlothauer.

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