Serientäter

«Archive 81»

von   |  4 Kommentare

Ein reicher New Yorker Geschäftsmann bittet ein Filmmuseum um einen Gefallen. Er möchte ein paar Videobänder restauriert bekommen, die bei einem Feuer beschädigt worden sind. Da er ein großzügiger Gönner des Hauses ist, wird ihm dieser Gefallen gerne getan. So unspektakulär beginnt ein wahrhaft dunkler Horrortrip!

Stab

DARSTELLER: Mamoudou Athie, Dina Shihabi, Evan Jonigkeit, Julia Chan, Ariana Neal, Matt McGorry, Martin Donovan
Showrunner: Rebecca Sonnenshine
EXECUTIVE PRODUCER: James Wan, Rebecca Thomas, Michael Clear, Paul Harris Boardman, Antoine Douaihy
KAMERA: Julie Kirkwood, Bobby Bukowski, Nathaniel Goodman
REGIE: Rebecca Thomas, Justin Benson & Aaron Moorhead, Haifaa Al Mansour

8 Episoden, Netflix
Dan Turner ist Restaurator im Dienste eines New Yorker Filmmuseums. Dan liebt seinen Job. Dinge zu entdecken, die lange als verschollen galten, gibt ihm ein Glücksgefühl. Der junge Mann ist aber auch ein Realist. Er weiß, dass sich die Arbeit, die er ausübt, nicht selbst finanzieren kann. Ohne großzügige Spender gäbe es das Museum nicht, für das er arbeitet. Daher erklärt er sich bereit, einem dieser Gönner, einem Milliardär namens Virgil Davenport, einen persönlichen Gefallen zu tun. Davenport befindet sich im Besitz der Videobänder, die eine junge Studentin 1993 in einem New Yorker Haus namens The Visser aufgenommen hat. Diese Studentin, Melody, wollte für ihre Promotionsarbeit die sehr unterschiedlichen Menschen in diesem Haus porträtieren. Das Visser war über Jahrzehnte hinweg ein Schmelztiegel, das ebenso ganz normale Menschen anzog wie Künstler oder Akademiker. Bei einem Feuer ist das Visser zerstört worden und offenbar ist auch Melody seinerzeit bei dem Feuer ums Leben gekommen. Melody, Tochter einer Dokumentarfilmerin, hat ihre Kamera nicht nur für Interviews eingeschaltet. Melody ist eigentlich ständig mit ihrer Videokamera durchs Haus gelaufen. Was Davenport mit den Videobändern vorhat, interessiert Dan nicht. Die Bänder wurden bei dem Feuer beschädigt, aber sie sind restaurierbar. Davenport zahlt Dan dafür viel Geld, das Museum wird profitieren, alle Seiten sind glücklich. Die einzige Bedingung: Dan soll in einer Villa irgendwo in Neu-England, jenseits der Hauptstraßen, an den Bändern arbeiten. Das ist zwar irritierend, aber Dan stellt keine Fragen. Er beginnt seine Arbeit und bald schon erscheint ihm Melody wie eine alte Bekannte, ja eine Freundin. Sie hat wirklich kaum einen Moment ihres Lebens im Visser ausgelassen. Bald schon wird Dan klar, dass Melody ihre Dissertation nur als Vorwand genutzt hat, um sich im Visser frei bewegen zu können. Tatsächlich ist sie als Baby von ihrer leiblichen Mutter ausgesetzt worden. Ohne Namen, ohne Hinweise auf ihre Herkunft. Nach dem Tod ihrer Adoptivmutter folgt sie mit ihrem Aufenthalt dem einzigen Hinweis, den sie auf ihre Herkunft hat. Und der führt ins Visser.

Es ist übrigens vollkommen korrekt, von Melodys Suche in der Gegenwart zu schreiben. «Archive 81» beginnt wie ein Found Footage-Spielfilm. Man erinnere sich an Filme wie das «Blair Witch Project». Vor 15, 20 Jahren waren diese Filme in und ließen die Kassen klingeln. Doch inzwischen ist das Genre de facto nicht mehr existent. Was die Inszenierung berücksichtigt. Die ersten Szenen, in denen Melody auftritt, werden konsequent auf der Perspektive der Filmenden erzählt. Sie führt die Kamera, wir, die Zuschauer, sehen nun Videoaufnahmen, die Jahrzehnte als verschollen galten. Found Footage eben. Doch dies dient nur zur Einführung. Bald schon wechselt der Inszenierungsstil und wir erleben Melodys Suche konventionell gefilmt und – als zweite Erzählebene des Filmes. Auf der einen Seite steht die Arbeit von Dan in der Gegenwart, auf der anderen Seite erzählt «Archive 81», was 1993 in diesem Gebäude in New York passiert ist - und das in chronologischer Reihenfolge der Geschehnisse.

Je weiter Dan mit seiner Arbeit voranschreitet, desto mehr verliert er die Distanz zu Melody. Dies ist kein Spielfilm. Diese Bänder erzählen die Geschichte eines Lebens in einem Zeitraum einiger Wochen in New York. Seine Faszination wird jäh in dem Moment unterbrochen, in dem am Ende eines gesichteten Bandes etwas Geisterhaftes versucht, aus der Welt der Bildzeilen in unsere Realität zu gelangen.



Showrunner James Wan hat mit 27 Jahren «Saw» inszeniert. Er ist der Erfinder von «Insidious». Und «Conjuring» geht auch auf sein Konto. Wan ist somit einer der mit Abstand einflussreichsten Horrorfilmer der letzten 15 Jahren. Dass er auch noch den wunderbaren «Aquaman» inszeniert hat, sei in diesem Zusammenhang nur am Rande erwähnt. Er kann aber auch Fernsehen. Das «MacGuyver»-Reboot hat er als Executive Producer zu verantworten. Allerdings gehen auf seine TV-Arbeiten auch zwei derbe Flops: «Swanp Thing» und «Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast». Mit «Archive 81» hat er nun als Produzent eine Horrorserie auf den Weg gebracht, die sich Zeit lässt. «Archive 81» bewegt sich eher in ruhigen Gewässern voran. Wird Dan anfangs als dominierende Hauptfigur eingeführt, entwickelt er sich irgendwann zur einer Nebenfigur und der Fokus richtete sich mehr und mehr auf Melody und ihre Suche: Eine Suche, die sie nur heimlich vollziehen kann, denn sie kann den Menschen im Haus nicht wirklich trauen. Etwas Seltsames geht in diesem Haus vor, einem Gebäude, das auf den Grundmauern einer Industriellenvilla erbaut wurde, das ebenfalls einem Feuer zum Opfer gefallen ist. Zufall?

Der Horror selbst wird sparsam, aber verdammt effektiv eingesetzt. Offenbar hat Melody durch ihre Arbeiten etwas erweckt, das nicht erweckt werden wollte. Oder ist Melody ebenfalls nur die zufällige Zeugin seltsamer Geschehnisse in einem Haus, das offenbar einige Geheimnisse vor der Welt versteckt? Obschon der Begriff „Zufall“ möglicherweise überhaupt nicht passen will, denn zwischen Melody und Dan gibt es eine überraschende Verbindung. Dans Vater war Psychiater (auch er starb bei einem Feuer!). Vor allem aber war er Melodys Therapeut. Irgendwann taucht Dans Vater in einem der Videos auf und das, was er in diesem Moment macht, gefällt seinem Sohn gar nicht.

Der sparsam eingesetzte Horror, die Momente, in denen etwas aus Melodys Welt offenbar in Dans Welt gelangen will, gehören mit Sicherheit zu den unheimlichsten Momenten, die das Horrorfernsehen in den letzten Jahren überhaupt hervorgebracht hat. Vor allem das Nicht-Wissen, um was es sich handeln mag, zerrt an den Nerven. Allerdings kann so etwas auch irgendwann langweilig werden. Dann nämlich, wenn der Grusel sich irgendwann selbst genügt, die Geschichte aber nicht mehr voranbringt. Diesen Fehler vermeidet «Archive 81» jedoch, denn im letzten Kapitel der Erzählung vollzieht die Story eine überraschende Wendung, die das Geschehen noch einmal aus einem ganz neuen Blickwinkel betrachten und die Story in eine unerwartete Richtung führt.

Fazit: «Archive 81» ist eine Gruselmär, die von hervorragenden Schauspielern, einer ordentlichen Portion Horror und nicht zuletzt einigen überraschenden Wendungen getragen wird. Die Serie wurde nach einer Staffel abgesetzt.

«Archiv 81» kann bei Netflix gestreamt werden.

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Es gibt 4 Kommentare zum Artikel
Torsten
29.04.2022 12:39 Uhr 1
Was heisst hier "getragen wird"? Getragen wurde würde es wohl besser beschreiben, da es keine zweite Staffel geben wird. Und das ist auch gut so. Was sich anfangs als eine rcht gute Idee und Plot anhört ist eine absolute Schlaftablette. Ich muss aber gestehen, das ich schon nach Episode 4 aufgegeben habe, da mir meine verlorene Lebenszeit keiner mehr zurück gibt. Die Serie ist dermaßen Zäh und Langweilig inszeniert, das man gegen den Schlaf ankämpfen muss. Hier passiert: Nix! Die Geschichte nimmt keinerlei Tempo auf, hat eine viel zu düstere Atmosphäre die hier so garnicht zu passt. Es wurde viel zu viel Potential aus einer guten Grundidee verschenk und da ist es kein Wunder, wenn die Serie auch jetzt abgesetzt wurde.
silvio.martin
29.04.2022 18:25 Uhr 2
@ Torsten Wahnsinn. ein wahrer Expete und Kenner spricht. Geschmäcker sind zwar verscheiden, aber Deine Wertung ist sowas von an den Haaren herbeigezogen. Super Athmosphäre, eine Geschichte, die sich langsam, und das ist die Idee des Ganzen, entwickelt und eben leider ein offenes Ende, da es keine Fortsetzung gibt.



Aber das ist das Problem heutzutage, wenn es nicht von Anfang an knallt, bummst und die Fetzen fliegen, dann ist es eben langweilig und ne Schlaftablette. Schade, wohin die Entwicklung seit geraumer Zeit geht.
Torsten
29.04.2022 19:46 Uhr 3
Naja, wäre meine Beurtelung so an den Haaren herbeigezogen, so würde siese "Super-Atmosphärische, eine Geschichte die sich langsam entwickelt aufbaut" wohl nicht gleich nach einer Staffel abgesetzt worde. Außerdem spiegelt meine Bewertung nicht nur meinen Geschmack wieder, wie man im Netz weiter noch lesen kann. Und... es muss auf keinen Fall gleich immer knallen und bumsen, Fetzenfliegen oder voll gepackt mit Action sein. Doch wenn es eben eine absolute Schlaftablette ist, dann reicht es nicht um gut, spannend und aufregend zu Unterhalten. Und das hat die Serie in keinster Weise. Und so denken eben viele, sonst wäre zumindest eine zweite Staffel gekommen. Denk mal drüber nach.
silvio.martin
30.04.2022 00:44 Uhr 4
Genau das was Du geschrieben hast, ist das was ich eben bemängele. Es muss immer etwas passieren, man hat einfach keine Gedulf für Geschichten, die sich eben entwickeln, aber dazu sind die meisten, wie auch Du, nicht bereit. Und nur, weil es schlechte Kritiken im Netz gibt, ist die Serie per se schlecht. Die Logik muss man verstehen. Und das Netflix keine 2. Staffel bestellt, sagt nichts über die Qualität aus, sondern es haben eben nicht genügend Leute lange genug geguckt und nur das zählt >:) heutzutage und nicht die Qualität einer Serie.
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