Hallo Herr Dr. Konrad. Sie stehen am Mittwoch, den 2. November, um 20.15 Uhr in dem neuen Format «Reine Kopfsache» vor der Kamera. Dort erläutern Sie, wie man sich gut Dinge merken kann. Es gibt diesbezüglich verschiedene Methoden?
Ja, genau. Als Gedächtnistrainer arbeite ich mit sogenannten Mnemotechniken, also Merktechniken. Die Routenmethode ist eine großartige Methode, um sich Dinge in der richtigen Reihenfolge einzuprägen. Andere Systeme wie das Major-System sind zusätzlich nötig, etwa um sich Ziffern einzuprägen. In unserer Forschung setzen wir dieselben Merktechniken ein und können zeigen, was dabei im Gehirn passiert und dass enorme Verbesserungen schon in wenigen Wochen möglich sind.
Ein beliebtes Hilfsmittel sind gerne auch Eselsbrücken. Aber können diese tatsächlich beim „Merken“ helfen?
Eselsbrücken sind eine Vorform von Gedächtnistechniken. Sie greifen Dinge auf, die schon in unserem Gedächtnis gespeichert sind. Oft sind sie lustig und im wahrsten Sinne des Wortes merkwürdig. Gedächtnistechniken arbeiten mit denselben Prinzipien, sind aber sehr viel strategischer und machen daher auch viel mehr möglich.
Bei der Fernsehserie «Sherlock» wurde immer von dem Gedankenpalast gesprochen. Ist das eine Methode, die wirklich effektiv ist?
Ja, absolut! Im Wesentlichen handelt es sich dabei um die gleiche Merktechnik, die ich vorhin als Routenmethode bezeichnet habe. Bei «Sherlock» ist es natürlich sehr bildhaft und zugespitzt. Im „echten Leben“ empfehle ich, z.B. die eigene Wohnung in einen Gedächtnispalast zu verwandeln. Sich dort also einen festen Weg vorzubereiten, an dem entlang dann über Merkbilder alles abgelegt werden kann, was man sicher im Kopf behalten will. Auch in meinem Buch „Mehr Platz im Gehirn“ spiele ich schon mit dem Titel auf diese Technik an und zeige, wie jede noch so kleine Wohnung zum Gedächtnispalast wird.
In der neuen VOX-Doku haben Sie Nora Tschirner geholfen. Wie sah dies aus?
Wir haben einige Tests vorab mit Nora Tschirner gemacht, um ihre Ausgangsleistung zu messen. Ich habe ihr dann verschiedene Möglichkeiten aufgezeigt, das Gedächtnis zu trainieren. Mit zwei Methoden, darunter der Gedächtnispalast, hat sie sich dann intensiver beschäftigt und sich damit beachtlichen Herausforderungen gestellt. Die weitere Zusammenarbeit war dann ähnlich wie mit meinen Coaching-Kunden: Ich durfte Frau Tschirner dabei gelegentlich begleiten, teils telefonisch, teils mit Kamerateam und konnte so noch einige zusätzliche Tipps geben.
Frau Tschirner ist Schauspielerin und muss deshalb auch Drehbücher auswendig lernen. Hat Sie überhaupt große Hilfe benötigt?
Frau Tschirner war tatsächlich bereits bei den Tests vorab auffällig gut. Sie kannte und verwendete bereits das ein oder andere aus dem Gebiet des Gedächtnistrainings. Aber die Herausforderung, um die es ging hat auch sie an ihre Grenzen gebracht. Der Gedächtnisanteil dabei wäre ohne Gedächtnistraining unmöglich gewesen.
Sie sind Gedächtnisweltmeister – haben Sie das Merken zum Beruf gemacht, weil Sie von den Weltrekorden angespornt waren?
Bei mir entstand das erste Interesse mit dem Ziel, mein Abi und später das Studium mit besseren Noten zu meistern. Auf der Suche nach Lerntechniken kam ich so auch zum Gedächtnissport. Der hat mir von Beginn an viel Spaß gemacht und bald stellte sich auch Erfolg ein. Parallel zum Studium war es daher ein großes Hobby und die Gelegenheit hier Weltrekorde aufzustellen ein großer Ansporn.
Zum Beruf und zu meiner Berufung wurde es dann zum einen durch das wissenschaftliche Interesse: Warum und wie kann ein erwachsener Mensch lernen, sein Gehirn anders einzusetzen und das Gedächtnis so erheblich zu verbessern? Und zum anderen durch meine Begeisterung: Bei mir hat es großartig funktioniert. Das sollten doch wirklich alle Menschen wissen, dass und wie das Gedächtnis verbessert werden kann!
Apropos Ansporn: Junge Menschen sind teilweise in der Schule bei Fächern wie Geschichte schlecht. Fehlt da auch die Motivation der Lehrer?
Motivation der Schüler, manchmal wohl auch der Lehrer. Ich denke, wir alle teilen die Erfahrung, dass Unterricht mit einer enthusiastischen und begeisternden Lehrkraft auch uns mehr interessiert hat und das Lernen leichter fiel. Fast immer fehlt es aber an Wissen und Fähigkeit, das eigene Gedächtnis richtig einzusetzen. Es ist wirklich schade, dass der größte Teil der Schülerinnen und Schüler immer noch keine Ahnung hat, dass insbesondere das Einprägen von Daten, aber auch das Lernen von Inhalten viel einfacher und mit viel mehr Spaß möglich wären.
Sie waren selbst nicht so toll auf dem ersten Bildungsweg. Wie viel sagt denn der Abschluss eines Menschen über seine Intelligenz aus?
Ich war nie richtig schlecht in der Schule, aber auch nicht extrem gut. Erst als ich ein Jahr vor dem Abitur Gedächtnistechniken entdeckt, gelernt und trainiert habe, hat sich das geändert.
Die Intelligenz korreliert mit schulischem und akademischem Erfolg. Kurz gesagt: Unter Professorinnen finden sich mehr mit hoher logischer Intelligenz, wie sie ein IQ-Test misst, als unter Hauptschulabgängerinnen. Aber es ist keine Vorhersage: Manche haben sich durch Fleiß, Interesse und vielleicht auch gute Lern- und Arbeitstechniken sehr viel erarbeitet, während andere mit vermeintlich höherer Intelligenz aus ihren Talenten nichts machen, oder nichts machen wollen.
Evolutionsschritte der Information sind bemerkenswert: Nach der Schrift, dem Buchdruck kam schließlich das mobile Internet. Ertrinken wir nicht in den zahlreichen Informationen?
Wir müssen weniger auswendig lernen, aber haben durch die Informationsflut zugleich eine höhere Anforderung an das Gedächtnis als je zuvor. Telefonnummern muss ich mir ebenso wenig merken, wie den Weg zur Veranstaltung. Das machen digitale Helfer. Aber was an Informationen auf uns einprasselt, über analoge wie digitale Medien, ist riesig viel und für die meisten Menschen mehr als je zuvor.
In meinem Buch und auch in Vorträgen, die ich für Unternehmen halten darf, geht es darum zuerst um die einfachen Gedächtnistechniken, die etwa beim Zahlen merken extreme Verbesserungen ermöglichen. Und dann darum, wie diese in die heutige Arbeitswelt mit ihren Anforderungen passen und zu übertragen sind.
Wie können wir eigentlich sicherstellen, dass die Informationen, die wir beispielsweise im Internet erhalten, verifiziert sind?
100 Prozent sicher können wir uns nie sein. Kritisches Denken hilft: Sind Quellen angegeben? Wenn ja, kann ich diese zum Beispiel über eine Suche wie Google Scholar (das ist eine andere Funktion als Google selbst) wiederfinden? Ist genannt, wie Daten erhoben wurden?
Ich finde es sehr wichtig, dass wir uns, unseren Kindern und Mitmenschen vermitteln, wie das geht.
Dass Telegram, YouTube oder Twitter sehr viel weniger vertrauenswürdig sind, als gut ausgebildete Journalisten oder Ergebnisse wissenschaftlicher Studien. Natürlich sollte man auch da ein kritisches Auge behalten. Aber im Gegensatz zum Onlinepropheten ist hier immer nachvollziehbar, wie gearbeitet wurde und es findet ein Peer-Review statt – also andere Forscherinnen und Forscher begutachten die Arbeit, bevor sie publiziert wird.
Wir müssen dringend daran arbeiten, das Vertrauen in die Wissenschaft zu stärken und dem faktenfernen, aber Lauten Geschrei in manchen Onlinemedien entgegentreten. Daher liegt mir Wissenschaftskommunikation auch so am Herzen und freue ich mich über so tolle Aktivitäten wie etwa von VOX, populärwissenschaftliche Dokumentationen zu produzieren und Wissenschaft zu erklären!
Kommen wir noch mal zurück zur Schule: In meiner Kindheit haben zahlreiche Lehrer ziemlich großes Halbwissen verzapft. Haben Lehrer deshalb heute mehr Druck und müssen Schüler mehr wissen?
Über das schon genannte zur Schule heraus: Ich finde Lehrer haben vor allem Unterstützung verdient! Sie haben eine so wichtige Rolle und verbringen viel Zeit mit den Schülern. Ich denke, dass auf sie - wie auf uns alle - durch Digitalisierung und gesellschaftliche Herausforderung der Druck zugenommen hat. Die meisten Lehrer wollen trotzdem das Beste geben, arbeiten viel und motiviert.
Natürlich kann auch ich mich an denen reiben, die sich nicht die Mühe machen wollen zu erfahren, wie man Lernen verbessern kann oder welche Rolle digitale Medien im Leben ihrer SchülerInnen spielen.
Am wichtigsten jedoch ist, dass wir das Lernen selbst wieder positiv belegen. Niemand hat jemals ausgelernt, Veränderung begleitet jedes Leben! Wenn es uns allen gelingt, junge Menschen mit Lust am Lernen, Lust an Fortschritt und guter Medienkompetenz zu gehen, werden die auch die Zukunft weiter positiv gestalten können.
Sie haben Recht! Danke für das Gespräch!
«Reine Kopfsache mit Nora Tschirner» ist am Mittwoch, den 2. November, um 20.15 Uhr bei VOX zu sehen. Hier finden Sie die Website von Oris Nikolai Konrad.
Schreibe den ersten Kommentar zum Artikel