Im Rahmen der 73. Berlinale haben Sie zur Diskussion „Familiengerechtes Drehen – Der konkrete Kongress!" eingeladen. Waren unter den Zuhörern auch Familienangehörige?
Eva Maria Sommersberg: Wir haben Fachpublikum aus den verschiedensten Gewerken und Verbänden der Filmbranche eingeladen, um möglichst unterschiedliche Sichtweisen in die Workshops und Panels mit einzubeziehen. Wir haben im Vorfeld die verschiedenen Gewerke nach ihren Erfahrungen und Bedürfnissen gefragt. Und wir haben allen angeboten: Bringt eure Kinder mit, wir organisieren die Betreuung! Und das haben dann auch ein paar Frauen gemacht. Ich fand das super, da wird man nochmal dran erinnert, für wen man das Ganze (u.a.) macht.
Stefanie Ren («A Thin Line») meinte, dass das familiengerechte Produzieren bereits beim Drehbuch verfassen beginne. Meint Sie die Unterstützung im häuslichen Umfeld?
Sommersberg: Ich denke Nein, es geht hier eigentlich gar nicht um das häusliche Umfeld, sondern darum, was für Arbeits-Strukturen geschaffen werden müssen, damit die Branche familiengerechter wird, damit Karriere und Kind vereinbar werden, um die Arbeitsbedingungen generell zu verbessern. Kinderbetreuung wie auch Kindererziehung ist nicht nur Privatsache, es ist auch eine Aufgabe, der wir uns als Gesellschaft stellen müssen.
Mara Luka: Dasselbe wurde auch im Abschlusspanel angesprochen - es geht auch darum die Drehbücher so früh zu beenden, dass die Produktion früh genug die Planung anfangen kann. Umso besser geplant wird umso weniger Zeit verliert man während des Drehs und umso leichter kann das Familienleben geplant werden. Meistens wird solange umgeschrieben, dass dann die Drehpläne und alles andere wieder darunter leiden. Genauso Locations etc - wenn es zu viele Wechsel gibt, werden die Tage länger usw.
Das Thema wurde bislang nur halbherzig in den Medien wahrgenommen. Noch stehen prominente Banalitäten im Filmbereich im Vordergrund, wie könnte man dieses Thema in den Mittelpunkt rücken?
Sommersberg: Indem sich die Menschen mit Gestaltungs-Macht für das Thema interessieren und einen öffentlichkeitswirksamen Fokus schaffen. Auf unserem Kongress haben Michael Lehmann von Studio Hamburg, Sophie Cocco von Sommerhaus Filmproduktion sowie Helge Albers von der MOIN Filmförderung und Veronika Grob vom MBB schon mal den Anfang gemacht: Doch wir brauchen mehr! Mehr Verantwortliche, die sich ihrer Verantwortung stellen. Und mehr Promis, sowieso.
Luka: Auch die Politiker*innen müssen unsere Branche und Bedürfnisse ernst nehmen. Je mehr Budgets gekürzt werden, umso schlechter werden unsere Arbeitsbedingungen und auch die Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Sie sind ebenso dafür verantwortlich, dass unsere Branche da immer noch am Anfang steht. Fühlen sich Männer und Frauen gleich verantwortlich für Pflege und Erziehung wird sich schnell etwas ändern. Dasselbe gilt für den Genderpaygap solange Frauen im angestellten Verhältnis als Risiko gesehen werden, verdienen sie weniger und bekommen weniger Jobs. Bei gleichen Gehältern und gleicher Verantwortung wird sich unsere Gesellschaft schnell auf Pflegebedürfnisse anpassen. Das ist vor allem Aufgabe der Männer, hier ihre Rolle als Väter einzufordern und auszufüllen.
Kann man den Medien und Lesern auch die Mitschuld an diesem Thema geben, da oftmals nur die flachen Überschriften geklickt werden?
Sommersberg: Das Thema ist ja komplexer als das – aber dieses Interview ist ein guter Schritt! Laßt uns in der Öffentlichkeit darüber reden, laßt uns darüber reden, auf Festivals, in der Kantine, am Set: Hey, ihr müsst auch eine 4-Tage-Woche einführen oder eine Stelle für Family Consulting schaffen und es als förderbaren Punkt aufnehmen! Laßt uns einen sozialen Drehpass einführen, an den die Vergabe von öffentlichen Geldern gebunden wird!
Muss es beim familiengerechten Drehen auch verschiedene Hierarchien geben? Die Hauptdarstellerin eines Filmes kann schlecht zu Hause bleiben, wenn das Kind erkältet ist?
Luka: Es geht nicht darum Hierarchien zu schaffen, sondern dass die verschiedenen Gewerke ihre Arbeitsweisen und Bedürfnisse untersuchen. Ein/e Beleuchter:in hat andere Bedürfnisse als eine Schauspieler:in, die eventuell nicht den ganzen Drehzeitraum am Set ist. In der Produktion, im Schnitt, im Kostümbild und Maske kann nochmal anders auf die Bedürfnisse von Pflege reagiert werden. Es gibt hier nicht die EINE Lösung für alle, daher ist es wichtig je nach Produktion/Team und Gewerk das Thema zu betrachten und Lösungen zu suchen die individuell aber allgemeingültig sind. Deswegen haben wir uns darauf konzentriert, verschiedene Modelle durchzustellen. Während bei dem Kostümdepartment eventuell auch Jobsharing funktionieren würde, wäre das für den/ die Hauptdarsteller*in schwierig. Familie darf auch nicht als Frauen-Thema gedacht werden. Männer haben hier dieselbe Verantwortung wie Frauen.
Sie sprachen von der mangelnden Arbeitszeitregelungen. Bei «Im Angesichts des Verbrechens» erschien vor zwölf Jahren das Gewerbeaufsichtsamt. Hat sich da bislang wenig geändert?
Luka: Seitdem gibt es natürlich Regeln und Tarifverträge. Aber nicht jede Produktion läuft über die Tarifverträge und/ oder hält sich an die Regeln der Produzentenallianz und Verdi - noch dazu gelten bestimmte Regeln bei Drehs im Ausland nicht. Dasselbe Dilemma haben Freiberufler, die keine Tarifverträge haben. Sie erhalten weder extra Gelder, wenn sich der Produktionszeitraum verlängert, noch für Überstunden oder werden mit Nachtzuschläge bezahlt. Da sie auch nicht extra vergütet werden und Produktionsbudgets oft knapp sind, werden gerade hier selten gerechte Arbeitszeiten eingehalten. Hier gilt immer noch am besten, man beschwer sich nicht, weil sonst der Job in Gefahr ist. Außerdem selbst bei 10-Stunden-Tagen ist es nicht möglich, die Kinder von der Kita abzuholen.
Denn wenn man Peich hat, schließt die Kita schon um 16 Uhr! Wenn selbst Hochschulen schon Kitas und Kindertagesstätten anbieten, müssen die Produktionsfirmen auch außerhalb der Studios nachziehen?
Sommersberg: Wenn es im speziellen Fall am sinnvollsten ist, dann sicher. Das hat Mara oben schon angesprochen, es gibt keine Universallösung für alle Probleme. Wichtig ist vor Allem, dass sich etwas im Mindset der Menschen ändert, bei allen Beteiligten einer Produktion und wir uns fragen: Wie wollen wir denn arbeiten? Und was können wir den anderen zumuten? Besser bezahlen wäre ein Anfang, vor allem Frauen! Der Gender Pay Gap liegt in der Filmbranche bei 35 Prozent.
Könnte die Produktion von Filmen und Serien, die nicht in der Heimat spielen, auch deshalb attraktiver gestaltet werden, wenn den Familien auch eins, zwei Tage für Urlaub nach den Dreharbeiten übrigbliebe?
Luka: Es geht ja nicht darum, sich auszubeuten und dann Urlaub zu machen, während ein Partner sich der Kinderbetreuung widmet, sondern darum, Familie und Arbeit nicht als Gegensätze zu betrachten. Viele Gewerke sehen monatelang ihre Familien nicht während der Dreharbeiten, da machen 2 Wochen Urlaub nicht den Entscheidenden Unterschied. Wichtiger wäre, dass man auch während der Dreharbeiten Phasen hat, in denen es zeitlich Möglich ist, den/die Partner:in Zuhause zu unterstützen, die Kinder zu sehen oder sich zu erholen. Heiße Drehphasen können über mehrere Monate gehen und jeder der Familie hat, weiss wie schwer es ist wenn ein Partner über einen längeren Zeitraum ausfällt bzw. man nicht Teil des Familienlebens sein kann.
Die meisten amerikanischen Serien werden in den Studios in Los Angeles oder Vancouver gedreht. Wäre eine Verdichtung auf wenige Produktionsorte ebenfalls hilfreich?
Sommersberg: Ja, die Amerikaner machen vieles besser und vieles auch grundlegend anders in der Produktion von Serien. Das läßt sich nicht so einfach auf Deutschland anwenden. Es wäre jedenfalls hilfreich, die Crew nicht aus den entlegensten Teilen der Republik zu holen, sondern bei der Verpflichtung von Filmschaffenden darauf zu achten, dass Projekte besonders bei Familien mit kleinen Kindern, oder anderen Care-Verpflichtungen in der Nähe des Wohnortes vergeben werden.
Luka: Wir haben es derzeit mit einem Fachkräftemangel zu tun, daher ist es wichtig nachhaltig zu überlegen, wo und wie wir Familie integrieren können und auch Kunst finanziert wird. Auf dem Kongress wurde deutlich: zu wenig Zeit und zu wenig Geld sind ausschlaggebend für die schlechten Bedingungen in unserer Branche.
Welche Ideen haben eigentlich die Produktionsfirmen inzwischen vorgelegt?
Sommersberg: Es gibt schon viele Ideen und wir sind gerade dabei, einen lösungsorientierten Maßnahmenkatalog aus den Protokollen des Kongresses zu erstellen. Aber die Frage ist doch: Wer ist denn jetzt am Zug? Wir haben das Problem benannt, Lösungsansätze erarbeitet: Jetzt heißt es umsetzen und handeln!
Vielen Dank für Ihre Zeit bei diesem schwierigen Thema!
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