Die Kritiker

«Tatort. Erbarmen. Zu spät.»: Dem Trip geht die Puste aus

von

Es ist Nacht, irgendwo im Umland von Frankfurt. Ein Mann behauptet, ein Polizist sei erschossen worden. Allerdings weiß er nicht, wo genau sich die Leiche dieses Polizisten befindet. Gibt es überhaupt eine Leiche?

Tatort. Erbarmen. Zu spät.

BESETZUNG: Margarita Broich, Wolfram Koch, Godehard Giese, Karsten Antonia Mielke, Uwe Rohde, Christoph Pütthoff, Niels Bormann, Sebastian Klein
BUCH und REGIE: Bastian Günther
KAMERA: Michael Kotschi
TON: Dirk Krecker
SZENENBILD: Károly Pákodzy
KOSTÜME: Marina Popkova-Sologub
MUSIK: Dallas Acid
«Tatort. Erbarmen. Zu spät» ist ein Trip durch die Nacht. Der Film kompensiert seine Handlung auf einen Zeitraum von etwa acht Stunden. Ein Polizist namens Laby ist in dieser Nacht verschwunden. Ein Mann namens Schilling behauptet, Zeuge seiner Ermordung zu sein. Doch weder ist dieser Schilling ein glaubwürdiger Zeuge noch kann das Verschwinden von Laby tatsächlich nachgewiesen werden.

Der von Bastian Günther geschriebene und inszenierte «Tatort» ist ein Film, der Aufmerksamkeit verlangt. Lange Zeit beispielsweise ist überhaupt nicht klar, wer dieser Schilling etwa ist. Wir, die Zuschauerschaft, hat gegenüber den Ermittlern zwar einen Wissensvorsprung: Im Prolog des Filmes begegnen sich dieser Schilling und der Polizist tatsächlich, was die Ermittler nicht wissen. Aber weshalb Schilling als unglaubwürdig gilt, weshalb ihm die Ermittler Misstrauen entgegenbringen, obschon er sich doch selbst bei der Polizei gemeldet hat – er bleibt lange im Dunkeln.
Die erste halbe Stunde des Filmes indes, der erste Akt, ist dieser bereits genannte Trip. Da ist der Wald. Und da sind eine Handvoll Menschen auf einer Suche. Ist in dieser Nacht ein Verbrechen geschehen und wenn ja, warum? Warum hat ein Polizist offenbar sterben müssen?

Die Langsamkeit der Inszenierung wird von einem sagenhaften Soundtrack unterlegt. Die amerikanische Band Dallas Acid hat diesen Soundtrack geschrieben. In einem Begleitheft zum Film nennt Regisseur Bastian Günther ihre Musik einen „spacigen Vintage-Sound. Sie arbeiten“, so der Regisseur weiter, „vorzugsweise mit alten Moog Synthesizern, Mellotron und Percussion Instrumenten, wie zum Beispiel einem großen Gong. Ihre Musik könnte direkt aus einem 70er-Jahre Science-Fiction-Film kommen, was auch nicht verwunderlich ist – sie sind inspiriert vom Krautrock der 70er, zum Beispiel von Bands wie Cluster, Popol Vuh, Tangerine Dream und anderen.“ Was im Prolog des Filmes anklingt, in dem Dallas Acid keine eigene Musik unter der Bilder gelegt hat, sondern einen Extrakt aus dem legendären Krautrock-Album „Solar Music“ der Hagener Band Grobschnitt verwendet. Dass Dallas Acid gar nicht die Komponisten dieses Stückes sind, dürfte tatsächlich nur wenigen Zuschauerinnen und Zuschauern auffallen, perfekt fügen sich die über 40 Jahre alten Klangfarben der Hagener Band in den Soundtrack von Dallas Acid ein, der so ungefähr jede musikalische «Tatort»-Vertonung der letzten Jahre öde erscheinen lässt. Nicht, dass ihre deutschen Kolleginnen und Kollegen schlechte Arbeit abliefern würden. Aber das, was für gewöhnlich an musikalischen Klangbildern einen «Tatort» musikalisch unterlegt, ist Regalware. Eine Musik, die klare Stimmungen erzeugen soll. Trauer, Spannung, Melancholie. Dallas Acid aber gehen weit darüber hinaus und bietet ein Klangerlebnis, wie es lange nicht mehr in einem «Tatort» zu hören gewesen ist. Vielleicht ist ihre Musik sogar einzigartig und lässt sich maximal mit dem Schimanski-Klassiker «Das Mädchen auf der Treppe» vergleichen, dessen Musik Tangerine Dream vor rund 40 Jahren erschaffen hat. Jene deutschen Elektronik-Pioniere, die Dallas Acid wiederum als ein Vorbild dienen.

Die Waffenfunde
Bei ihrer Suche entdecken die Ermittler rund um das Frankfurter Duo Brix und Janneke, dass Laby in einem kleinen, geerbten Landhaus im Wald Waffen versteckt und sich als Prepper betätigt hat. Was zu dem Mann, als der dieser Laby beschrieben wird, nicht passen will. Hat er das perfekte Doppelleben geführt? Als anständiger, unbescholtener Polizist bei Tag und Wutbürger, Waffenfetischist und Endzeitprepper bei Nacht? Ein Foto führt Brix auf die Spur eines Kollegen aus frühen Polizeitagen, mit dem er seinerzeit sogar locker befreundet gewesen ist. Dieser Kollege ist vor ein paar Jahren offenbar nicht ganz freiwillig in ein anderes Revier versetzt worden und zu seinem neuen Einsatzgebiet gehört auch dieser Wald.

Es ist bemerkenswert, wie Bastian Günther die Erwartungen bricht. Normalerweise würde man von einer Geschichte wie dieser, die in nur einer Nacht spielt und in dem Zeit einen nicht ganz unwichtigen Faktor darstellen, ein hohes Tempo erwarten. Bastian Günther aber hat sich dafür entschieden, die Geschichte zu entschleunigen und damit genau den entgegengesetzten Weg zu beschreiten. Was sehr schnell hätte scheitern können. Doch auch in diesem Zusammenhang sei noch einmal der Soundtrack unbedingt zu erwähnen, jener Klangteppich, der sich über die Szenerie legt und diese zusammenhält. Man könnte fast von einem Geniestreich sprechen.

Leider jedoch gerät die Handlung auf den letzten Metern vollkommen ins Rudern. Brix kommt der Auflösung nahe und dann – wird viel geredet und der Spannungsbogen gerät ins Schlingern. Auch, weil sich zeigt, dass Bastian Günther an einer wirklichen Auflösung der Geschichte nicht wirklich interessiert ist. Wobei dies falsch ist. Die Geschichte wird schon zu einem Ende gebracht, doch das geschieht auf einer fast metaphysischen Art und Weise, die dann leider die Erwartungen nicht bricht, um die Zuschauerschaft zu erstaunen, sondern die einen Bruch des Bruchs wegen darstellt. Es wäre ein fieser Spoiler, das Geschehen an dieser Stelle zu verraten, auch, da dieser «Tatort» über weite Strecken wirklich außergewöhnlich gut ist, ja in seinen besten Momenten fast als brillant bezeichnet werden könnte. Umso unverständlicher ist das Ende, in dem die Realität mit Umständen konfrontiert wird, die sich nicht mehr erklären und die als Kunst der Kunst willen den Spielfilm am Ende seltsam unfertig erscheinen lassen.

Was bleibt, ist die brillante Musik von Dallas Acid.

Am Sonntag, 10. September, 20.15 Uhr, Das Erste

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