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«Doctor Who – The Church on Ruby Road»: Besser geht es nicht!

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Der neue Doctor hat das Steuerpult der Tardis übernommen. Im vierten und letzten Special wird der britische Kultcharakter erstmals von Ncuti Gatwa verkörpert. Und der lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass er gedenkt, die Figur wieder rocken zu lassen.

The Church on Ruby Road

  • REGIE: Mark Tonderai
  • DREHBUCH und SHOWRUNNER: Russell T Davies
  • SKRIPTAUFSICHT: Scott Handcock
  • PRODUZENT: Chris May
  • MUSIK: Murray Gold
  • BESETZUNG: Ncuti Gatwa, Millie Gibson, Davina McCall, Bobby Bradley, Mary Maline, Anita Dobson, Hemi Yeroham, Michelle Greenidge, Angela Wynter
Okay, natürlich ist Ncuti Gatwa bereits im dritten Special erstmals aufgetreten. Oder besser gesagt, er ist David Tennants Doctor entsprungen. Sein Auftritt darf jedoch unter der Rubrik „Gaststar“ verbucht werden. Mit «The Church on Ruby Road» agiert er erstmals als Hauptdarsteller und nahezu jede Szene schreit danach, dass hier ein Schauspieler agiert, der kein Interesse daran hegt, im Schatten seiner Übervorgänger David Tennant und Peter Capaldi zu agieren, welche mit ihren Darstellungen Maßstäbe gesetzt haben. Dieser Schauspieler hat definitiv das Ziel, auf Augenhöhe zu agieren. Mit einer erstaunlichen Präsenz nimmt er die Szenerie vom ersten Auftritt an für sich ein, einem Auftritt – der eher im Stillen geschieht und einen Mann zeigt, der weint. Da steht der Doctor vor seiner Tardis, es ist die Heilige Nacht und da ist eine Kirche – eine Kirche in der Ruby Road, in der in dieser Nacht etwas Trauriges geschieht. Was genau?

Schnitt in die Gegenwart. Ruby Sunday ist eine junge Frau, die in einer TV-Sendung auftritt und eine Bitte vorträgt: Sie möchte endlich wissen, wer ihre Eltern sind. Als kleines Mädchen ist sie vor einer Kirche abgelegt werden. Oh, Ruby ist nicht verbittert. Sie wurde einer Pflegemutter übergeben, die sie später adoptiert hat. Sie liebt ihre Pflegemutter (und ihre Pflegeoma) aus tiefstem Herzen. Sie hat eine wunderbare, von Liebe geprägte Kindheit und Jugend erlebt. Dennoch klafft da diese eine Lücke. Sie verurteilt ihre Mutter für das, was sie getan hat, nicht. Sie wird ihre Gründe gehabt haben. Doch so gar nicht zu wissen, woher man stammt, das ist ein Zustand, der dann eben doch an ihr nagt.

Die Moderatorin macht ihr Hoffnungen, denn Ruby hat ihre DNA zur Analyse abgegeben. Da sollte sich doch zumindest eine Spur ergeben. Während des Interviews geschieht ein kleines Unglück. Scheinwerfer fallen um – und das wiederum führt den Doctor in die Geschichte ein. Ruby wird sein geraumer Zeit von kleineren und größeren Unglücken verfolgt. Da fällt ein Glas auf den Boden, eine Tüte mit Einkäufen reißt. Es sind Kleinigkeiten, die sich jedoch summieren. Kleinigkeiten, die von Goblins, welche durch die Wolken reisen, verursacht werden. Goblins, die übrigens auch kleine Kinder fressen und die ein ganz eigenes Gefühl für Zeit und Raum entwickelt haben. Ein Gefühl, in dem Zufälle, kleine Unglücke und ähnliches zum großen Finale (dem Bankett) führen. Einem Bankett, dessen Hauptspeise offenbar Lullubelle werden soll, ein Baby, das Rubys Mutter spontan über die Weihnachtsfeiertage als Pflegekind aufgenommen hat.

«Doctor Who» hat in 60 Jahren noch nie Angst vor schrägen Geschichten gehabt. Und die Geschichte der Goblins gehört zu den schrägsten Storys der letzten Jahren, denn ob das alles wirklich Sinn ergibt, was der Doctor auf seinem Weg, Lullubelle zu retten, erlebt, darüber sollte man lieber nicht nachdenken. Aber eine Geschichte über Goblins, die Weihnachtsmützen tragen, die auf einem alten, wolkenreitenden Segelschiff leben und offenbar eine gewisse Affinität für Musicals hegen, sollte man stets mit einem Augenzwinkern betrachten. Angekündigt wurde die Episode ursprünglich eh als ein Weihnachtsspecial (Disney+ scheint es eher kurzfristig als Special #4 den Tennant-Specials gleichgesetzt zu haben), und als solches funktioniert «The Church on Ruby Road» prächtig. Auch und gerade, weil sich die Geschichte, wenn es darauf ankommt, ernst nimmt. Oder besser gesagt, ihre Charaktere. So ist Ruby Sunday natürlich nicht einfach irgend eine Figur. Mit Ruby Sunday wird gleichzeitig eine neue Begleiterin des Doctors in die Welt des «Doctor Who» eingeführt. Und der Bruch mit den Whittacker-Jahren könnte krachender nicht ausfallen, denn Ruby – darf Spaß haben. Hier wird eine Figur mit einem Schalk im Nacken eingeführt.

Showrunner Russell T Davies mag Ruby eine dramatische Backstory verpasst haben, die aber liegt keinesfalls bleiern oder schwermütig über ihrem Charakter. Millie Gibson lautet der Name der gerade einmal beim Ausstrahlungstermin 19 Jahre alten Schauspielerin, die immerhin drei Jahre in der britischen Ewigkeits-Soap «Coronation Street» mitgewirkt und dort de facto ihre Schauspielausbildung erhalten hat. Ruby strahlt eine Leichtigkeit aus, die ihren Vorgängern und Vorgängerinnen irgendwann auf dem Weg, ihre Rollen möglichst tiefgründig und dramatisch gestalten zu müssen, abhanden gekommen ist. Seit dem Ausstieg von Jenna Coleman als des Doctors Begleiterin Clara Oswold 2015 hat keine ihrer Nachfolgerinnen beziehungsweise Nachfolgern auch nur ansatzweise eine Präsenz in ihre Darstellung eingebracht wie Millie Gibson in einer einzigen Episode! Spätestens, wenn sie mit ihrem Partner (und hier wird eine Partnerschaft auf Augenhöhe initiiert) Ncuti Gatwa auf dem Schiff der Goblins zu einem fetzigen Song die Stimme erhebt (ja, der Doctor singt, seine Begleiterin singt und es klingt verdammt gut!), sind die bleiernen Jahre vergessen. Mit den Tennant-Specials hat Alt- und Neu-Showrunner Russell T Davies in erster Linie Fan-Service geboten. Er hat viele Whovians, die die Serie zuletzt im besten Fall aus Gewohnheit, aber kaum noch aus Interesse verfolgt haben, einfach das gegeben, was sie wollten: David Tennant als Doctor. Damit hat er sie versöhnt. Kritiker, vor allem solche, die die Whittacker-Jahre tatsächlich mochten und nicht als Lebenszeitverschwendung betrachten, mögen monieren, dass er es sich schon ein bisschen sehr einfach gemacht hat. Er ist mit Tennants Rückkehr den sicheren, und zwar wirklich ganz sicheren Weg gegangen. Am Ende aber spricht der Erfolg für sich und die sehr guten Kritiken geben ihm Recht. Aber auch mit dem vierten Special gelingt es ihm, eine gewisse Unsicherheit unter den Fans zu beruhigen. Davies als auch Hauptdarsteller Gatwa werden in diversen Berichten mit den Worten zitiert, die kommende Staffel sei eine Art Reboot. Und tatsächlich trägt sie in den Produktionslisten die Bezeichnung „Season 1“. Das Weihnachtsspecial aber zeigt ganz klar auf, dass die Vergangenheit nicht ignoriert wird. Es ist eher davon auszugehen, dass Russell T Davies Neu-Zuschauern den Einstieg etwas einfacher zu gestalten gedenkt – mit einem neuen, jüngeren Hauptdarsteller und einer neuen, sehr jungen Hauptdarstellerin, die erst einmal ein wenig Raum und Zeit erhalten werden, um sich zu finden (auch wenn dies nach diesem Einstieg kaum noch nötig erscheint).

Bei aller Leichtigkeit, mit der die Episode den Neuen den Weg in die Zukunft eröffnet, vergisst Davies nicht, bereits einen Grundstein für kommende Ereignisse zu legen – durch die Geschichte der Ruby Sunday. Schon im Prolog beginnt ihre Geschichte – und der Doctor ist bereits in diesen Moment involviert: als Beobachter. Wie es dazu kommt, erklärt diese Episode. Aber dennoch bleiben einige (ach was, Dutzende) Fragen in Bezug auf diesen Moment offen. Was Davies damit erreicht hat? Auf jeden Fall schon einmal Massen an Spekulationen auf allen relevanten (englischsprachigen) Fan- und Serienseiten im Internet, die bereits kurz nach der Premiere am 25. Dezember darüber spekulierten, wer denn wohl die Mutter sein könnte, die wir nur schemenhaft zu sehen bekommen. Oder die die Frage stellten, warum der Doctor nicht die Chance nutzt, die Mutter zu verfolgen, nachdem sie das Kind vor die Tür gelegt hat. Warum er sie nicht stellt oder gar abhält – das ist klar: Wir erleben Ruby als einen glücklichen, zufriedenen Menschen, der geliebt wird und der die eigene Familie liebt. Familie ist mehr als nur eine genetische Abstammung. Ein Eingriff in die Geschehnisse könnte ihr Leben zum Negativen wenden (was wir zumindest in Ansätzen zu sehen bekommen, ohne zu viel spoilern zu wollen). Würde er jedoch ihre Mutter verfolgen – könnte er in der Gegenwart das Geheimnis ihrer Identität lüften. Was zwei Deutungs-Möglichkeiten zulässt. 1.) Russell T Davies hat dies beim Verfassen des Drehbuchs nicht bedacht; auch ein mit Preisen überhäufter Ausnahmeautor kann schließlich mal einen Fehler machen. Oder 2.), vermuten viele Fans, Davies weiß genau, was er hier macht, denn er führt im Prolog bereits das Ende des Ruby-Handlungsstranges ein, welcher in zwei, drei, vier Jahren anstehen dürfte. Inwieweit? Das ist die große Frage. Das Ende am Anfang einer neuen Ära?

Davies ist auf jeden Fall zurück und es ist offensichtlich, dass er Spaß auf seiner alten Spielwiese hat. Gerüchte über Gerüchte durchziehen momentan das Netz. Plant er möglicherweise ein Rip-Off mit dem achten Doctor, Paul McGann? McGann gilt unter Fans als ein hervorragender Darsteller, er hatte allerdings das Pech, im Spielfilm von 1996 die Hauptrolle gespielt zu haben. Für Nicht-Fans zur Erklärung: «Doctor Who» ist 1989 von der BBC abgesetzt worden. Warum? Es gibt 1000 Geschichten, die Wahrheit und Vermutungen durchmischen. Dass einige Eitelkeiten in den Chefetagen eine Rolle gespielt haben dürften (die Autoren und Redakteure lagen in den 1980er Jahren in einem Dauer-Clinch), gilt dabei als gesichert überliefert. Da die Serie aber auch in den USA sehr beliebt war und über ein großes Fandom verfügte, zeigten US-Produzenten Interesse an der Serie und fanden in BBC Worldwide einen Verbündeten. BBC Worldwide ist für Lizenzierung, Co-Produktionen und all die Dinge verantwortlich, die kommerzieller Natur sind, aber nicht zum originären Programmauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zählen. Daher ist BBC Worldwide als Ltd organisiert. Und da es bei BBC Worldwide in erster Linie darum geht, Geld zu verdienen, ging man dort gerne eine Partnerschaft mit den Universal Studios ein, die den Doctor reanimieren wollten. Statt die Lizenzen zu verhökern, was man hätte tun können, blieb die BBC als Co-Produzent im Boot und so entstand: «Doctor Who: Der Film». Glück für uns, die Zuschauer: Dieser Film ist kanonisch, denn Sylvester McCoy, Darsteller des siebten Doctors, absolviert in diesem Film seinen letzten Auftritt – um von Paul McGann ersetzt zu werden. McGanns Pech war jedoch, dass der Film die Erwartungen nicht erfüllen konnte und keine Serie aus ihm hervorging (der Neustart datiert auf das Jahr 2005 unter der Federführung von Russell T Davies). So hat McGann den Doctor nur einmal dargestellt, wenngleich seine Darstellung gemeinhin gelobt wird. In letzter Zeit soll es Treffen zwischen ihm und Davies gegeben haben. Bahnt sich da was an?



Und dann ist da David Bradley. Der ist bekannt als Hausmeister Argus Filch aus den «Harry Potter»-Filmen. 2013 stellte er in dem Spielfilm «Ein Abenteuer in Raum und Zeit», einem Dokupic über die Entstehungsgeschichte von «Doctor Who», William Hartnell dar, den Darsteller des ersten Doctors. 2017 spielte er dann tatsächlich den ersten Doctor im Finale der zehnten Staffel, in dem er seine seinerzeit aktuelle Inkarnation (Peter Capaldi) traf. Auch in Bezug auf Bradley wabbert die Gerüchteküche. Kehrt er in der ersten Staffel tatsächlich noch einmal an Bord der Tardis als Gaststar zurück – oder wartet da mehr? Eine Miniserie vielleicht? In Hörspielen, Comics und Romanen ist es seit Jahrzehnten vollkommen normal, dass immer neue Geschichten längst vergangener Doctoren erzählt und diese somit am Leben erhalten werden. Im TV galt bislang jedoch die eiserne Regel: Nur ein Doctor zu einer Zeit (Specials ausgenommen). Aber warum gilt diese Regel dort eigentlich? Mit «Torchwood» hat Russell T Davies gleich zu Beginn seiner ersten „Regentschaft“ ein eigenständiges Spin-off etabliert, das problemlos neben der Mutterserie funktionierte (aber leider mit der vierten Staffel scheiterte, als man mit US-Produzenten unbedingt größer und fetter werden wollte, dabei aber ein fahriges „Produkt“ ablieferte, das es allen Beteiligten recht machen wollte und auf diesem Weg kläglich scheiterte). Mit «The Sarah Jane Adventures» etablierte Davies außerdem eine höchst erfolgreiche Kinder- und Jugendserie im Universum von «Doctor Who», die ebenfalls parallel zur Mutterserie lief. Ihre Absetzung ist tragischer Natur: Hauptdarstellerin Elisabeth Sladen verstarb 2011 an einer Krebserkrankung, woraufhin die Produzenten den Entschluss fassten, keine Nachfolgerin zu bestimmen, sondern die Serie einzustellen. Sladen war 1981 übrigens bereits Hauptdarstellerin von «K-9 and Company», einem ersten Versuch, ein Spin-off zu «Doctor Who» zu etablieren (der allerdings nach der ersten Episoden auch schon wieder aufgegeben wurde).

Was nach diesen vier Specials auf jeden Fall gesagt werden kann: Es macht wieder Spaß, über die Zukunft von «Doctor Who» zu spekulieren. Davies ist es auf jeden Fall gelungen, das Interesse an der Serie über ihre einzelnen Episoden hinaus wieder anzufeuern. Und das nicht nur innerhalb von Hardcore-Fanzirkeln, sondern beispielsweise auch an dieser Stelle. Dieses Gefühl, sich zu freuen und mit Spannung die neuen Staffeln zu erwarten, dieses Gefühl ist während der Whittacker/Chibnall-Jahren weithin verloren gegangen. Davies hat dieses Gefühl auf jeden Fall bereits reanimiert.

«Doctor Who» ist exklusiv bei Disney+ zu sehen.

«Doctor Who» kehrt im Mai 2024 auf BBC One und BBC iPlayer für das Vereinigte Königreich und auf Disney+ für den Rest der Welt zurück.


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