Die Frau, die Pablo Escobar in Angst und Schrecken versetzen konnte, ist zweifellos eine faszinierende Figur der kolumbianischen Drogenkartellgeschichte. Es ist daher nur verständlich, dass Netflix – der Streamer, der immerhin unter anderem mit «Narcos» groß geworden ist – mit der Serie «Griselda» nun versucht hat, ihr eine angemessene Hommage zu widmen. Mit Sofia Vergara als Hauptdarstellerin schien das Format von Anfang an ein ziemlich vielversprechender Eintrag unter den Neustarts des neuen Serienjahres 2024 zu werden. Schließlich ist sie schon lange bekannt für ihre charismatischen Darstellungen – ein paar Jahre nach «Modern Family» also ein Wechsel ins psychologischere, erzählerisch dichtere Fach?
Leider kann «Griselda» jedoch all diese Erwartungen nicht nachhaltig erfüllen – und das obwohl Sofia Vergara in ihrer Rolle als Griselda Blanco ziemlich brillant auftritt. Sie verkörpert die skrupellose Drogenbaronin, die gleichzeitig als nimmermüde Familienpatriarchin und rachsüchtige geschundene Ehefrau vorgestellt wird, mit bleibender Überzeugungskraft und Intensität und verleiht dieser Figur damit eine nicht unbeachtliche Tiefe, die man in «Narcos» länger vermisst hat. Ihre Präsenz auf dem Bildschirm ist beeindruckend und trägt entscheidend dazu bei, dass die Serie trotz ihrer erzählerischen Mängel zumindest in gewissen Elementen gefallen kann.
Leider ist Vergaras herausragende Leistung jedoch das einzige Highlight in einem ansonsten enttäuschenden Format. Das Drehbuch fällt trotz der spannenden Grundsituation und der mitreißenden Epoche der 70er Jahre in Miami sehr uninspiriert aus, während die Handlung – obwohl auf wahren Ereignissen beruhend – ziemlich gezwungen wirkt. Denn anstatt sich auf die komplexen Charaktere und die faszinierende Geschichte von Griselda Blanco zu konzentrieren, verliert sich die Serie allzu schnell in klischeehaften Dialogen und oberflächlichen Handlungsbögen, die der psychologischen Vielschichtigkeit der Hauptfigur nicht gerecht werden. Denn Vergaras Griselda klappert im Prinzip nur dieselben Handlungsversätze ab, die man schon von Walter White kennt: Kontakte mit Dealern knüpfen, trotzdem eine gute Mutter sein und dabei immer weiter in die Unterwelt hineingezogen werden. Das ist schon lange zum Standard in Gaunerserien geworden.
Gleichzeitig verlässt sich das Format viel zu stark auf eine voyeuristische Darstellung von Gewalt und Drogenkonsum: Obwohl es unvermeidlich ist, dass eine Serie über das Leben einer Drogenbaronin so einige Gewaltszenen enthält, scheint «Griselda» diese oftmals unnötig zu sensationalisieren und zu glorifizieren. Der exzessive Einsatz von Gewalt und der Fokus auf schimmernde Koksnasen im Discolicht von Florida lenken ganz unnötigerweise von der eigentlichen Geschichte ab und tragen wenig zum Verständnis der Figuren oder ihrer Motivationen bei.
Leider wirken auch die Nebencharaktere in der Serie oft flach und eindimensional – von Griseldas Schwester, bei der sie nach der Flucht aus Kolumbien zunächst unterkommt, bis hin zu ihren Kontaktpersonen in der Unterwelt von Miami. Anstatt eine vielschichtige Darstellung der Menschen um Griselda herum zu liefern, werden sie oft auf stereotype Archetypen reduziert. Dies macht es dem Zuschauer ziemlich schwer, sich langfristig mit den Charakteren zu identifizieren oder mit ihnen mitzufühlen. Trotz der beeindruckenden Performance von Sofia Vergara kann «Griselda» ihr Potenzial deshalb leider nicht ausschöpfen – und wird zur ersten großen Netflix-Enttäuschung 2024.
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