Die Kritiker

«Sarah Kohr – Zement»: Krachender B-Thriller

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Sarah Kohr soll einen unschuldigen Mann erschossen haben. Allerdings kann sich Sarah Kohr an den Unfall, nach dem sie einen Mann, der nur helfen wollte, offenbar niedergestreckt hat, nicht erinnern. Da die Staatsanwaltschaft nur in eine Richtung ermittelt, ihre Schuld, nimmt sie ihr Schicksal selbst in die Hand.

Sarah Kohr - Zement

  • Regie: Katrin Schmidt
  • Buch: Timo Berndt
  • Kamera:S Simon Schmejkal
  • Musik: Boris Bojadzhiev
  • Schnitt: Martin Rahner
  • Besetzung: Lisa Maria Potthoff, Herbert Knaup, Corinna Kirchhoff, Annabelle Mandeng, Bastian Reiber, Benito Bause, Benno Fürmann
Gedächtnisschwund geht immer, scheint man sich auf dem Lerchenberg gesagt zu haben. Und nach zehn Jahren «Sarah Kohr» war es offenbar einfach einmal an der Zeit, auch die erfolgreiche TV-Ermittlerin einmal auf eine Spurenfährte zu locken, dessen Ende bereits bekannt ist. Sarah Kohr hat den Mann erschossen. Daran besteht eigentlich kein Zweifel. Wie aber ist es zu diesem Zwischenfall gekommen?

Sarah Kohr befand sich in einem Krankenwagen – aber nicht als Patientin. Sie hat einen schwer verletzten Nachbarn auf dem Weg ins Krankenhaus begleitet. Offenbar ist Folgendes passiert: Ihr Nachbar ist in dem Hafenviertel in der Nähe ihres Wohnortes gejoggt und dort offenbar in ein altes Becken gestürzt. Sarah, die ebenfalls dort regelmäßig joggt, hat ihn zufällig gefunden. Sie hat Erste Hilfe geleistet und ihn ins Krankenhaus begleitet. Auf einer Kreuzung ist es dann zu einem schweren Unfall gekommen. Ein Mann hat den Rettungswagen mit seinem SUV gerammt. Der Rettungswagen hat sich überschlagen, der SUV des Unfallfahrers nicht. Als dieser nun ausstieg um zu helfen – hat Sarah ihn erschossen. Vermutlich, so der ermittelnde Staatsanwalt, habe sie unter Schock gestanden und aus einem Reflex heraus gehandelt. Das aber ist keine Entschuldigung für ihr Handeln. Mit ihrer Ausbildung und den Dingen, die sie in ihrem Job erlebt hat, hätte sie anders reagieren müssen. Aus diesem Grund wird Sarah kaum mildernde Umstände erwarten dürfen, sie hat Mist gebaut.

Sarah Kohrs Problem: Die Sanitäter sind selbst verletzt worden und können das Geschehen nicht wirklich rekonstruieren, während ihr Nachbar im Koma liegt. Sarah kann nicht darauf warten, bis ihre Erinnerungen zurückkommen – wenn sie zurückkommen. Sie ist sich sicher, nicht joggen gewesen zu sein. Was, wenn ihr Nachbar keinen Unfall hatte und sie ihn nicht zufällig entdeckt hat? In diesem Fall hätte sie immer noch einen fürchterlichen Fehler begangen, aber da gibt es so einige vermeintliche Fakten, die ihr nicht schmecken.

Der getriebene Ermittler, der seine eigene Unschuld beweisen muss, ist ein beliebter Protagonist des aktionsbetonten Kriminalfilmes. Der Reiz dieses ZDF-Filmes liegt darin, dass Sarah Kohr möglicherweise in einem Fall ermittelt, der ohne ihr zufälliges Auftauchen nie als ein Kriminalfall erkannt worden wäre – und dass sie trotzdem am Ende als Frau dastehen könnte, die einen unschuldigen Mann getötet hat, der am falschen Tag am falschen Ort gewesen ist. Tatsächlich scheint ihr Nachbar in etwas verwickelt gewesen zu sein. Was? Das ist gar nicht leicht zu beantworten. Auf jeden Fall gibt es da jemanden, der es offenbar auf Unterlagen abgesehen hat, die eben dieser Nachbar gesammelt hat. Ihr Nachbar, Christian Zegel, hat einer Aktivistengruppe angehört, die die Erweiterung eines Zement-Werkes im ländlichen Speckgürtel von Hamburg verhindern will. Erstaunlich daran ist, dass Christian Zegel zuvor noch nie als Aktivist in Erscheinung trat. Er arbeitet in der Digitalindustrie, er scheint auch finanziell gut dazustehen, allzu viel Interesse an öko- oder friedensbewegten Themen kann man ihm nicht nachsagen. Was hat ihn bewegt? Eine wirkliche Antwort darauf kann ihr Charlotte auch nicht geben. Charlotte war in jungen Jahre Christians Freundin, dann ist er nach Hamburg gegangen. Ja, Christian stammt aus der Region, möglich, dass er einen „Anfall“ von Heimatverbundenheit erlebt hat, als er von der Erweiterung erfuhr. Dennoch war Charlotte überrascht, als er plötzlich vor ihrer Tür stand und ihr, der Sprecherin des Bürgerbündnisses, Hilfe anbot. Christian hat ihren Kampf professionalisiert, er hat ihnen einen anständigen Social-Media-Auftritt kreiert, vor allem aber hat er seine Technik eingebracht. Drohnen, Luftmesser. Und dann ist da der junge Arzt Tobias Hartmann, ein alter Freund von Christian, der sich just in diesen Tagen mit einer Landarztpraxis hier selbstständig gemacht hat – und der regelrecht verzweifelt nach Christian sucht, wie Sarah feststellt.

Der Titel «Zement» ist bereits ein Spoiler. Natürlich geht es um das Zementwerk. Und natürlich geht es nicht nur um eine Erweiterung, die den Dorfbewohnern nicht gefällt. Es braucht dementsprechend auch nicht viel Zeit, bis Sarah Kohr dem ersten bösen Buben gegenübersteht, der lieber die Fäuste als Argumente sprechen lässt. Es geht etwas rund ums Werk vor sich. Aber was?

Das Tempo des Filmes entsteht vor allem dadurch, dass Sarah nicht viel Zeit für ihre Ermittlungen hat, denn der ermittelnde Staatsanwalt Dr. Kiemen ist als harter Hund bekannt, mit dem man kooperieren sollte und der mit Oberstaatsanwalt Mehringer, Sarahs väterlichem Freund, der ihr immer wieder den Rücken freihält, nicht unbedingt freundschaftlich verbunden ist. Dass Sarah Kohr auch noch in einem Fall ermittelt, der keiner ist, macht die Sache nicht einfacher – denn was liegt gegen das Zementwerk vor? Nichts. Letztlich folgt Sarah Gefühlen und keinen handfesten Indizien.

Die Geschichte ist praktikabel. Einen Preis für Originalität wird sie nicht erhalten. Sie bewegt sich aber sehr sicher auf bekannten Wegen. Zügig führt die Handlung von A nach B nach C. Es gab im Rahmen der Reihe sicher bessere Filme bezüglich der Handlungsintensität, als B-Actionfilm funktioniert all das, was geschieht, jedoch bestens. Lisa Maria Potthoff darf derweil einmal mehr beweisen, dass sie derzeit die Nummer 1 hierzulande in Sachen Action ist. Sie rennt, sie prügelt sich, sie geht einmal mehr keinem Konflikt aus dem Weg. Mit Mitte 40 stellen sich noch lange keine Alterserscheinungen ein, mit dieser Kondition werden da noch ein paar Filme kommen. Erfolgreich genug sind sie.

Einzig störend ist in diesem Film der erhobene Zeigefinger. Warum sind die Bewohner der kleinen Ortschaft gegen den Ausbau des Zementwerkes? Dafür bietet Charlotte eine einfache Antwort: Für die Erweiterung muss das eigene Kraftwerk vergrößert werden, das führt zu einem Mehr an Umweltverschmutzung in der Nachbarschaft. Diese Begründung reicht an sich vollkommen aus, um die Story voranzutreiben, denn diese Begründung steht nicht im luftleeren Raum. Interessant auch, wie hier durchaus Weltbilder aufeinanderprallen. Während Charlotte von der Umweltschädlichkeit der Zementherstellung spricht und sich darüber ärgert, dass dies in der Öffentlichkeit keine Aufmerksamkeit erlange, erwidert Sarah Kohr relativ trocken, dass man Zement aber zum Bauen brauche. Daraus ergibt sich eine Gegensätzlichkeit von Ansichten, die so im Raume stehen bleibt. Das ist gut, denn Sarah agiert dadurch nie als Aktivistin: Eine «Tatort»-Ehrennadel würde sie mit dieser Einstellung kaum erhalten. Dennoch kann sich die Inszenierung nie ganz vom erhobenen Zeigefinger trennen und mehrfach muss sie darauf hinweisen, dass die Herstellung von Zement einige Nachteile mit sich bringt. Diese Momente wirken wie betreutes Schauen, ganz so, als ob ein einmaliger Hinweis (das Gespräch Charlotte / Sarah) nicht ausreichen würde. Hier wird nicht das gesellschaftlich-relevante Thema der Woche pädagogisch durchgekaut, wie dies so gerne im «Tatort» geschieht. Aber der Film hat solche Ansätze. Und diese Ansätze unterlaufen die wunderbare Schlusspointe diese Thrillers, die viel überraschender käme ohne den ökologisch-korrekten Fußabdruck, den die Handlung hinterlassen möchte. Eine Pointe, die einen ansonsten äußerst gelungenen Thriller würdig abschließt und die an dieser Stelle natürlich nicht verraten wird – denn trotz der Kritik besteht für diesen Film eine vorbehaltlose Guckempfehlung. Vor allem für all jene, denen in deutschen Kriminalfilmen für gewöhnlich zu viel geredet wird: Denn Sarah Kohr kann man nun wirklich keinen Hang zum ellenlangen Monolog vorwerfen.

Am Montag, 18. März 2024, 20.15 Uhr im ZDF

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