Debatte

Vergaloppiert sich ProSieben mit Joyn?

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Der Streamingdienst der ProSiebenSat.1-Gruppe versucht mit Reality-Shows zu punkten. Dieses Unterfangen scheint allerdings nicht von Erfolg gekrönt zu sein.

Obwohl die ProSiebenSat.1-Gruppe mit Maxdome einen der ersten Streamingdienste besessen hat, war der Ausflug in das Geschäftsfeld wohl eher nicht von Erfolg gekrönt. Auch heutzutage gehört die Streamingplattform aus Unterföhring, die inzwischen als Joyn vermarktet wird, eher zu den abgehängten Diensten. Bei den Quartalsberichten der Mediengruppe schweigt ProSiebenSat.1 zu den unterschiedlichen Nutzerzahlen, auch Fragen nach Umsätzen werden nicht beantwortet. Wenn RTL in drei Wochen die jüngste Nutzerzählung seines Streamingdienstes bei der Quartalsmitteilung verbreitet, wird man bei ProSiebenSat.1 einen Tag später wohl weiterhin zu allen möglichen Zahlen schweigen.

Die erfolgreichsten Programme von Joyn sind jüngst noch werktäglich laufende «Promi Big Brother», die Florida-TV-Eigenproduktion «Wer stiehlt mir die Show?» und die Lizenzshow «The Voice of Germany». Ebenfalls abgerufen wird «Die Spreewaldklinik», einen kleinen Erfolg hat «Good Luck Guys» mit 0,18 Millionen Abrufen pro Woche. Aber lohnt sich die Produktion im Ausland für eine Fernsehshow? Die Zahl der Abrufe mag zwar den 17. Platz der privaten Anbieter zwischen dem 7. und 13. Oktober 2024 bedeuten, allerdings ist die Statistik auch sehr zum Wohle der Privatsender zurechtgebogen. Es fehlen nicht nur die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender, sondern auch die Bezahldienste Amazon, Netflix und Disney+ sowie die kostenlosen Dienste YouTube und Pluto TV.

Fritz Meinecke und sein Team haben mit «7 s. Wild» einen wirklichen Erfolg erschaffen. Die erste Folge erreichte innerhalb von acht Tagen 1,7 Millionen Abrufe – und zwar im Vorfeld beim kostenfreien Dienst Freevee zugänglich. Doch in Unterföhring scheitert diese Plattform-Strategie: «Good Luck Guys» ist derzeit nicht nur bei Joyn zu finden. In der Nacht von Donnerstag auf Freitag ist aktuell die zweite Staffel im linearen Fernsehen bei ProSieben zu sehen, doch die Zuschauerzahlen sind ein schlechter Witz: Vor einer Woche schalteten 70.000 und 60.000 Menschen die zwei Episoden ein, die man zwischen 01.35 und 03.00 Uhr versendete.

Eine Verbindung zwischen den linearen Fernsehsendern und der ProSiebenSat.1-Tochter Studio71, der Digital-Media- und Entertainment-Company, scheint nicht zu funktionieren. Cross-Promo bei YouTubern, die unter Vertrag stehen, findet man nicht wirklich. Aber Gronkh hat 10,6 Millionen Follower, Trymacs kommt auf 10,2 Millionen. Rewinside zählt 10,1 Millionen Follower, Jonas verbucht schon 9,0 Millionen. Weitere zahlreiche YouTuber lassen sich von der ProSiebenSat.1-Tochter managen, doch unterm Strich kommen deren Inhalte weder ins Fernsehen noch sie zu den ProSiebenSat.1-Inhalten. Wenn es doch mal passiert – wie im Fall von «Papaplatte» während der Schatzsuche von Joko und Klaas – wirkt die Umsetzung sehr hölzern, sofern die Zusammenarbeit überhaupt geplant war.

Inzwischen haben sich auch die Show-Zwillinge Dennis und Benni Wolter vom ARD/ZDF-Jugendkanal funk losgesagt und sind zum ProSieben-Streamingdienst Joyn gewandert. Teile der produzierten Shows sind auch im linearen Programm zu sehen. Am Dienstag erreichte eine neue Ausgabe der Sendung um 05.00 Uhr immerhin 0,1 Millionen Fernsehzuschauer und einen Marktanteil von 2,3 Prozent in der Zielgruppe. Warum sollten die Fans der Wolters zu dieser Uhrzeit auch Fernsehen schauen? Ohnehin fehlt ProSieben am gesamten Tag vor 17.00 Uhr eine vernünftige Zahl an Zuschauern. Würde es ProSieben-Chef Hannes Hiller so schmerzen, dass man die kurzen Ausgaben auch im Vorfeld von «taff» ausstrahlt? Scheinbar erachtet man in Unterföhring den nahtlosen Übergang zwischen «The Big Bang Theory» und dem Boulevardmagazin als sinnvolle Verzahnungen.

Ende Juni startete das Show «Dirty Words» mit DJane Giulia Siegel, Make-Up-Artistin Arielle Rippegather, Model Linda Nobat und Sängerin Edith Stehfest bei Joyn, das nur wenige Wochen später am schwach laufendenden Montagabend von sixx abgeladen wurde. Die frühere ProSieben-Sendung «Das große Promi-Büßen» wurde als neues Original angekündigt, wird allerdings am selben Tag der Joyn-Premiere zwischen 22.55 Uhr und 01.15 Uhr in der Nacht ausgestrahlt. Die Sendung «The Race» lief am Samstagvorabend zwischen wahllosen Sitcom-Wiederholungen und die fiktionale Eigenproduktion «Der Upir» wurde – wie die finale «Jerks»-Staffel – nicht etwa mit anderen Comedy-Serien wie «Young Sheldon» ausgestrahlt, sondern kam Mittwochnacht. Im Sommer lief die Show «Comedy Battle» in der Nacht zum Donnerstag um 01.20 Uhr, die Reichweiten waren natürlich schlecht. Jetzt ist auch klar geworden, dass «KEKs» ab 13. November auf «Der Upir» folgt.

In den vergangenen Jahren hat die ProSiebenSat.1-Gruppe vernünftige Quartalszahlen vorgelegt. Selbst mit zahlreichen Wiederholungen im Sommer stimmten die Geschäftsberichte. Allerdings sinkt die Zahl der linearen Fernsehzuschauer weiter. Wenn in knapp drei Wochen die neuen Ergebnisse von Juli, August und September eintreffen, muss sich Bert Habets den Analysten stellen. Die Aktie ist jedenfalls von ihren Hochzeiten vor knapp zehn Jahren weit entfernt.

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