Interview

Elmar Theveßen: ‚Viele Menschen folgen Trump, weil sie sich machtlos fühlen‘

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Im Interview gibt Theveßen, USA-Experte und Journalist, Einblicke in die Bedeutung einer möglichen Präsidentschaft von Kamala Harris, die Faszination für Donald Trump und die Rolle der Medien in einem der polarisierendsten Wahlkämpfe der Geschichte.

Herr Theveßen, Kamala Harris ist als erste weibliche Vizepräsidentin bereits in die Geschichte eingegangen. Sollte sie Präsidentin werden, was würde das für die politische Landschaft und das Frauenbild in den USA bedeuten?
Es wäre eine einmalige, historische Chance: Zu beweisen, dass eine Frau, in der sich auch das moderne, ethnisch vielfältige Amerika von heute widerspiegelt, die Präsidentschaft neu und anders definieren kann als all die - meist älteren - weißen Männer vor ihr. Ob das die politische Landschaft verändert, hoffentlich sogar verbessert, und wie es das Frauenbild beeinflusst, lässt sich nicht einschätzen, auch weil Kamala Harris klugerweise die Tatsache, dass sie eine Frau ist, im Wahlkampf – anders als Hillary Clinton - nicht zum großen Thema macht.

Donald Trump hat auch nach seiner ersten Amtszeit eine stark polarisierende Wirkung. Was macht seine Anziehungskraft auf einen Teil der US-Wählerschaft so unerschütterlich, trotz zahlreicher Skandale und rechtlicher Probleme?
Viele Menschen folgen Donald Trump, weil sie sich machtlos fühlen gegenüber einer Politik beider Parteien, die ihre Sorgen und Nöte zu wenig ernst genommen haben. Sie verspüren Unsicherheit, Zweifel und Angst. Genau diese Gefühle befeuert Trump massiv, in dem er das düstere Bild vom drohenden Untergang Amerikas malt. Vor diesem Hintergrund wirkt er mit seiner pompösen Allmachtsrhetorik für Menschen, die sich nach Stärke und Sicherheit sehnen, als Retter und Heilsbringer. Wer daran glaubt, kann sich kaum noch abwenden, weil er zugeben müsste, sich getäuscht zu haben. Für diese „Gläubigen“ sind Trumps kriminellen Machenschaften deshalb nur haltlose Vorwürfe des politischen Gegners.

Gibt es Republikaner, die die Partei wählen, weil Sie die Politik der Partei möchte – aber mit dem Kopf der Partei unzufrieden sind?
Es gibt wirklich auch viele, die über Trumps Charakterschwächen und über seine Lügen hinwegsehen, weil sie fest von seinen Ideen in der Wirtschafts-, Zuwanderungs- und Außenpolitik überzeugt sind. Bei unserer Reise durchs Land haben wir das immer wieder gehört, unter anderem von Ed McBroom, Milchfarmer und republikanischer Senator im Parlament von Michigan. Nach der letzten Wahl hatte er den Mut, mit einem Untersuchungsausschuss zu beweisen, dass es in seinem Bundesstaat – anders als von Trump behauptet - keinen Wahlbetrug gab. Trotzdem unterstützt McBroom jetzt wieder Trump, wie er mir sagte. Die Lügen, den Sturm aufs Capitol und Trumps teils menschenverachtende Rhetorik verharmlost er, obwohl er all das als frommer Christ eigentlich verurteilen müsste.

Der Ausgang dieser Wahl könnte große Auswirkungen auf die internationale Politik haben. Welche wesentlichen Unterschiede sehen Sie in der außenpolitischen Ausrichtung von Harris und Trump, und wie könnte das Europa betreffen?
Die wesentlichen Unterschiede liegen in der Wirtschafts- und Sicherheitspolitik. Trump und Harris würden beide von den Europäern mehr Engagement bei der eigenen Verteidigung verlangen. Aber während Harris die NATO und die amerikanische Truppenpräsenz in Europa für unverzichtbar hält, sät Trump Zweifel an der Beistandsverpflichtung. Er will, dass Europa seine konventionelle Verteidigung allein organisiert. Die US-Truppen würden größtenteils abgezogen und nur im Notfall gegen Bezahlung aushelfen. Trump ist bereit, für einen Friedensdeal mit Wladimir Putin die Krim und die ukrainischen Ostgebiete zu opfern, während Harris die territoriale Integrität der Ukraine mit allen Mitteln wiederherstellen will.

In der Wirtschaftspolitik will Trump Strafzölle bis zu 20 Prozent auf alle Waren aus aller Welt verhängen, bis zu 60 Prozent auf Waren aus China. Dieser neue Handelskrieg würde der deutschen Wirtschaft - nach einer Studie des IW - Schaden in Höhe von mehreren hundert Milliarden Euro zufügen. Harris würde zwar mit protektionistischen Maßnahmen in einigen Bereichen die US-Industrie schützen, aber gleichzeitig auf faire Handelsvereinbarungen mit der Europäischen Union setzen.

Die Frage nach der Wählermobilisierung ist entscheidend: Wie stehen die Chancen, dass Kamala Harris insbesondere junge Wähler und Minderheiten zur Wahlurne bringt, um gegen Trumps konservative Basis zu bestehen?
Derzeit liegt Kamala Harris in den meisten Umfragen bei jungen Wählern, bei Frauen, bei Schwarzen und bei Latinos weit vor Donald Trump. Da gibt es eine Begeisterung, wie wir sie zuletzt bei der Wahl von Barack Obama 2008 erlebt haben. Aber das amerikanische Wahlsystem macht es möglich, dass einige tausend Wähler in den sieben großen Swing States am Ende darüber entscheiden, wer ins Weiße Haus einzieht. Deshalb lassen die Umfragezahlen keine verlässliche Prognose zu. Festlegen würde ich mich allerdings in einem Punkt: In absoluten Zahlen wird Harris landesweit deutlich mehr Wählerstimmen bekommen als Trump. Trotzdem haben beide gleich gute Chancen, die Wahl am Ende für sich zu entscheiden.

Die US-Demokratie wurde in den letzten Jahren immer wieder auf die Probe gestellt, insbesondere nach den Vorwürfen des Wahlbetrugs 2020. Wie stabil sehen Sie die Demokratie im Land aktuell und welche Rolle spielen die Institutionen im kommenden Wahlkampf?
Die amerikanische Demokratie ist in großer Gefahr. Gewinnt Donald Trump, will er die Macht des Parlaments einschränken, die Justizbehörden als Waffen gegen seine politischen Gegner einsetzten, den kritischen Diskurs innerhalb des Regierungsapparats unterbinden und die USA in Richtung Autoritarismus lenken. Verliert Trump, könnte es zu chaotischen Verhältnissen in einigen Bundesstaaten kommen, in denen Trumpisten die jeweilige Wahlaufsicht dominieren. Wir müssten auch mit deutlich heftigeren, gewalttätigen Auseinandersetzungen rechnen als im Jahr 2021.

Selbst wenn Harris deutlich gewinnt und sich die Lage schnell stabilisiert, ist die Gefahr nicht gebannt. Das Vertrauen in das Wahlsystem, in die Parlamente und in die Gerichte ist so erschüttert, dass Amerika weiter unruhige Zeiten bevorstehen.

Welche Rolle werden soziale Medien und Desinformation bei dieser Wahl spielen, und wie bereitet sich Kamala Harris darauf vor, um Trumps starke digitale Präsenz und die Verbreitung von Fake News zu kontern?
In einem Land, in dem ganze Regionen zu Nachrichtenwüsten ohne lokale Medien geworden sind, sind die Menschen anfällig für Desinformation und Lügen. Einige der landesweiten Medien werfen journalistische Prinzipien über Bord und befeuern die politische Polarisierung. Beide Kandidaten nutzen Social Media für ihre Zwecke. Während Harris meist eher Opfer von Desinformation und Deep Fakes ist, ist Donald Trump nicht nur Opfer sondern vor allem Täter, indem er massiv Lügen verbreitet. Gleichzeitig tragen interessanterweise vor allem junge Leute mit ihren fröhlichen Posts zu Kamala Harris auf TikTok und anderen Plattformen dazu bei, die Begeisterungswelle um Harris´ Kandidatur zu vergrößern.

Harris gilt als erfahrene Politikerin, aber auch als eine, die nicht immer die Massen mitreißt. Wie schätzen Sie ihre Fähigkeit ein, sich gegen Trumps populistische Rhetorik und seinen medienwirksamen Stil zu behaupten?
Ich war überrascht, wie gut das Kamala Harris gelingt. Gerade in der Kommunikation nach außen hatte sie in den vergangenen Jahren immer wieder große Fehler gemacht. Das hat sich geändert, vor allem seit sie durch das Urteil des Obersten Gerichts zum Abtreibungsrecht im Jahr 2022 ein Thema hat, mit dem besonders glaubwürdig ist. Ihre Auftritte zum Thema Kulturkampf in Amerika in zahlreichen Bundesstaaten haben auf viele Menschen großen Eindruck gemacht, auch wenn sie längst nicht die populistischen Fähigkeiten Trumps hat. Aber bei der Fernsehdebatte hatte sie genau das richtige Werkzeug parat, um Trump im wahrsten Sinne des Wortes alt aussehen zu lassen: Mit Anspielungen auf seine Eitelkeit lockte sie ihn in die Falle. Trump verfiel in Schimpftiraden und redete lieber über sich als über die die wahlentscheidenden Sachthemen.

Eine zentrale Frage für viele Amerikaner ist die Wirtschaft. Was sind die Hauptunterschiede zwischen den wirtschaftlichen Agenden von Harris und Trump, und wie könnten diese die US-Wirtschaft in den nächsten Jahren beeinflussen?
Kamala Harris würde die Wirtschaftspolitik von Joe Biden fortsetzen und weiter ausbauen, insbesondere die Stärkung der Industriebasis, Starthilfen für mittelständische Betriebe, steuerliche Vorteile für Familien, Fördergelder für den Häuserkauf, Maßnahmen gegen Preistreiberei, auch im Gesundheitswesen. Ihr 82-seitiger Wirtschaftsplan sieht vor, dass die Ausgaben durch Steuererhöhungen für Großunternehmen und für Menschen mit einem Einkommen über 400 000 Dollar pro Jahr. Trump will Steuersenkungen, vor allem für Unternehmen, verspricht drastische Senkungen bei den Preisen für Häuser, Lebensmittel und Treibstoff. Er will die Öl- und Gas-Produktion noch weiter steigern, obwohl sie unter Biden/Harris schon auf Rekordhöhe liegt. Alles gegenfinanziert durch die schon erwähnten Strafzölle. Auch mit der Massendeportation von Millionen von Zuwanderern will er die hohen Preise und die Kriminalität bekämpfen. Experten sind überzeugt, dass Trump Pläne der amerikanischen Wirtschaft massiv schaden würden. Harris könnte ihre Pläne ohne eine klare Mehrheit im Kongress kaum umsetzen.

Die Polarisierung in den USA hat unter Trump deutlich zugenommen. Glauben Sie, dass Kamala Harris – ähnlich wie Angela Merkel in den ersten Jahren – in der Lage wäre, das gespaltene Land wieder zu vereinen, oder werden die Gräben unter ihrer Führung weiter bestehen?
Wenn Harris einen deutlichen Sieg erringt und sich die politische Lage schnell stabilisiert, hätte sie die Chance dazu. Aber diese Chance steht und fällt damit, dass ihre Politik die wirtschaftliche Situation im Land deutlich verbessert. Fehlen ihr die notwendigen Mehrheiten im Kongress und kann sie nicht liefern - auch und gerade für die Wähler von Donald Trump – wird Amerika, das 2026 seinen 250. Geburtstag feiern will, weiter in Richtung Autoritarismus driften.

Wie beurteilen Sie die Rolle der US-Medien in diesem Wahlkampf? Welche Herausforderungen sehen Sie für Journalisten, die über einen solch polarisierenden und emotional aufgeladenen Wahlkampf berichten?
Wie schon erwähnt trägt ein Teil der Medien zur Spaltung des Landes bei. Deshalb ist die Konzentration auf die journalistischen Grundprinzipien so wichtig, wie sie im deutschen Pressekodex gut beschrieben sind: „Die Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse.“ Das bedeutet aber auch, dass wir nicht unter den Teppich kehren dürfen, wenn Kandidaten im Wahlkampf lügen, wenn sie sich in menschenverachtender Form äußern und wenn sie Straftaten begangen haben. Wenn Politiker – egal ob Trump oder Harris - bei einer Rede neben rationalen Äußerungen vor allem Schimpftiraden und Lügen verbreiten, dann wäre es eine Verfälschung der Wirklichkeit, wenn wir für unsere Berichte nur die vernünftigen Aussagen berücksichtigen. Wenn das den Anhängern von Kandidaten nicht gefällt, mögen sie uns zwar beschimpfen, es ändert nichts daran, dass wir unseren demokratischen Auftrag erfüllen – nicht mehr und nicht weniger.

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