Warum brechen gerade an Weihnachten so oft alte Familienkonflikte wieder auf?
Weihnachten ist eine Zeit hoher Erwartungen. Man hofft auf Harmonie, Nähe und Wärme – oft Dinge, die in der Vergangenheit gefehlt haben. Das Fest wird dadurch emotional aufgeladen, und alte Wunden oder ungelöste Konflikte treten schneller zutage. Zudem verbringen Familien intensivere Zeit miteinander, was häufig alte Dynamiken reaktiviert. Dann kommt noch ein bisschen Alkohol dazu und Bähm, los geht es.
Was passiert psychologisch, wenn wir über die Feiertage in unser Elternhaus zurückkehren? Warum fühlen wir uns oft wieder wie Kinder?
Das Elternhaus ist der Ort, an dem unsere grundlegenden Muster geprägt wurden. Wenn wir dorthin zurückkehren, geraten wir unbewusst wieder in alte Rollen: z.B. Rebell, braves Mädchen, Vermittler. Unser „inneres Kind“ meldet sich – mit allen Gefühlen und Verletzungen aus der Kindheit. Diese emotionalen Muster wirken oft stärker als unsere erwachsene Persönlichkeit.
Wie beeinflusst unser „inneres Kind“ die Dynamik am Weihnachtsfest? Gibt es einen Weg, sich aus diesen Mustern zu befreien?
Das „innere Kind“ bringt alte Verletzungen und Sehnsüchte an die Oberfläche: etwa den Wunsch nach Anerkennung oder die Angst, nicht geliebt zu werden. Um sich aus diesen Mustern zu befreien, hilft es, sich bewusst zu machen, dass diese Gefühle aus der Vergangenheit stammen. Man kann sich selbst in solchen Momenten innerlich beruhigen, etwa durch Selbstgespräche wie: „Ich bin heute erwachsen und muss nicht mehr um Liebe kämpfen.“ Mentale Vorbereitung kann sehr hilfreich sein: Zum Beispiel vor dem Fest überlegen, welche Verhaltensweisen und Bemerkungen von Verwandten einen triggern können und sich dagegen wappnen, indem man sich beispielsweise eine schlagfertige und humorvolle Antwort zurechtlegt. Oder sich schlichtweg vornehmen, gar nicht zu reagieren.
Wie können wir die Arbeit mit dem „inneren Kind“ speziell für die Weihnachtszeit nutzen, um alte Verletzungen zu heilen und familiäre Konflikte zu vermeiden?
Die Weihnachtszeit ist besonders emotional und ruft häufig alte Sehnsüchte und Verletzungen hervor. Insofern kann man in dieser Zeit einen leichten Zugang zu seinem Inneren Kind finden. Man sollte im ersten Schritt verstehen, welche alten Verletzungen und unerfüllten Bedürfnisse das Innere Kind beschäftigen. Im zweiten Schritt sollte man diese alten Verletzungen liebevoll annehmen, denn nur, wenn man sich eingesteht: Ja, es war damals nicht immer einfach und deswegen habe ich bis heute eine große Angst vor Ablehnung, kann ich Selbstheilungsprozesse einleiten. - Hier kann man sich beispielsweise als Erwachsener klarmachen, dass es sich um völlig willkürliche Prägungen handelt, die vor allem etwas über die Überforderung der Eltern aussagen, aber nichts über den eigenen Wert.
Welche Rolle spielt das Urvertrauen in der Art, wie wir Weihnachten erleben, und wie können wir es stärken, um das Fest der Liebe tatsächlich als solches zu empfinden?
Urvertrauen ist die Basis für emotionale Stabilität. Wer ein stabiles Urvertrauen hat, ist weniger abhängig von äußerer Bestätigung und kann Weihnachten entspannter erleben. Es lässt sich stärken, indem man sich selbst liebevoll annimmt und dafür sorgt, dass eigene Bedürfnisse ernst genommen werden – auch an Weihnachten.
Warum fällt es Eltern und erwachsenen Kindern oft schwer, auf Augenhöhe zu kommunizieren, insbesondere während der Feiertage?
Eltern neigen dazu, ihre Kinder in der alten Rolle zu sehen, und erwachsene Kinder fühlen sich oft unbewusst wieder klein. Dazu kommen unterschiedliche Werte, Bedürfnisse und Erwartungen, die oft unausgesprochen bleiben. Der Schlüssel liegt darin, bewusst in die Erwachsenenrolle zu gehen und klare Kommunikation zu üben.
Wie können Familienmitglieder besser mit unterschiedlichen Erwartungen und Bedürfnissen umgehen, um den Weihnachtszoff zu vermeiden?
Transparenz ist entscheidend: Offene Gespräche über Erwartungen und Grenzen können Missverständnisse reduzieren. Jeder sollte überlegen, was ihm wirklich wichtig ist, und kompromissbereit sein. Ein gemeinsamer Plan kann helfen, Konflikte im Vorfeld zu entschärfen.
Gibt es eine Möglichkeit, „toxische“ Gespräche am Festtagstisch zu entschärfen? Haben Sie konkrete Strategien?
Wenn ein Gespräch toxisch wird, hilft es, Ruhe zu bewahren und nicht emotional zu reagieren. Sätze wie „Das ist ein interessantes Thema, aber vielleicht sprechen wir später darüber“ oder ein bewusster Themenwechsel können die Situation entschärfen. Auch Pausen, etwa ein Spaziergang, sind hilfreich.
Welche Rolle spielt der Selbstwert in diesen familiären Konflikten? Wie können wir ihn stärken, um besser mit schwierigen Situationen umzugehen?
Ein stabiler Selbstwert schützt davor, sich von Kritik oder Ablehnung zu sehr verletzen zu lassen. Um den Selbstwert zu stärken, hilft es, sich regelmäßig an die eigenen Qualitäten zu erinnern und sich nicht mit anderen zu vergleichen. Weihnachten kann eine gute Gelegenheit sein, die eigenen Grenzen klar zu kommunizieren, auch das stärkt den Selbstwert.
Welche einfachen Rituale oder Übungen empfehlen Sie, um die Feiertage zu einem positiven Erlebnis zu machen?
Dankbarkeitsübungen, etwa das bewusste Aufschreiben von schönen Momenten, helfen, sich auf das Positive zu fokussieren. Auch Selbstfürsorge ist immer eine feine Sache; ein schönes Bad, ein guter Film oder ein Spaziergang. Man sollte die Betonung auf Verbindung und Freude legen und weniger auf ein perfektes Essen und viele Geschenke. Damit möglichst wenig Stress entsteht, kann eine gemeinsame Vorbereitung, bei der jedes Familienmitglied bestimmte Aufgaben übernimmt, auch ein schönes Ritual sein. Und natürlich kann auch ein nettes Gesellschaftsspiel für gute Stimmung sorgen.
Wenn es trotzdem kracht: Wie können wir nach einem Streit am Weihnachtsabend wieder zueinander finden?
Nach einem Streit hilft es, zunächst die Emotionen zu beruhigen. Das gelingt am besten durch krasse Ablenkung, wie beispielsweise Liegestütze, Kopfrechnen oder eine kurze Ablenkung am Smartphone. Danach kann man offen und ohne Schuldzuweisungen das Gespräch suchen, etwa mit: „Mir tut es leid, dass es so gelaufen ist. Ich wünsche mir, dass wir einen schönen Abend haben.“ Vergebung und Kompromissbereitschaft sind hier entscheidend.
Wie verbringen Sie selbst Weihnachten, Frau Stahl? Haben Sie persönliche Rituale, um die Feiertage möglichst harmonisch zu gestalten?
Ich liebe es, wenn alles um mich herum schön ist, also eine aufgeräumte, gemütliche Wohnung, Weihnachtsdeko, Kerzen und Kaminfeuer. In unserer Familie wichteln wir, das nimmt den Geschenkstress heraus und bringt Spaß. Am Heiligabend essen wir immer Raclette, das ist unkompliziert und gesellig.
Vielen Dank und frohe Festtage!
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