"Wer derart traumatische Erlebnisse hinter sich hat, sollte jedenfalls nicht bei Kerner oder in einem ähnlichen Sendeformat sitzen. Dort hat ein Verbrechensopfer nichts zu suchen. Der Anwalt sollte ihm sagen: Lass es bleiben!", sagt Reemtsma der "Zeit". Der hauptberufliche Literaturwissenschaftler war im Jahr 1996 Opfer eines spektakulären Entführungsfalls und wurde erst nach rund einem Monat gegen Zahlung eines Millionen-Lösegeldes freigelassen.
Reemtsma begründet seine Forderung nach Medien-Verzicht für Entführte so: "Es entsteht in diesen Gesprächen eine scheinbare Aufgeschlossenheit. Ich könnte mir vorstellen, dass man bei solchen Interviews vergisst, dass man im Fernsehen ist, und das Gefühl bekommt: Hier wird für mich etwas getan. Wird es aber nicht! Sondern das Opfer wird bloß ausgestellt. Todesangst und totale Hilflosigkeit sind keine Erlebnisse, über die man mit einem Moderator plaudern kann. Und tut man es doch, wird man das Studio verlassen und sich im tiefsten Inneren missbraucht fühlen. Davor muss der Anwalt das Opfer schützen." Er forderte Anwälte und Psychologen auf, ihren Mandanten in solchen Fällen zur Medienabstinenz zu raten.
In den vergangenen Monaten haben Entführungsfälle wie die von Stephanie aus Dresden oder Natascha Kampusch aus Wien große öffentliche Aufmerksamkeit hervorgerufen. Beide traten im Fernsehen auf und gaben umfangreiche Interviews.