Baden-Baden, ein Ort der Reichen und Schönen. Hier trifft man sich zu gepflegten fernsehen. Das Fernsehfilm-Festival Baden-Baden findet jedes Jahr Ende November, im Kurhaus in Baden-Baden statt. Es ist eine gemeinsame Veranstaltung der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste und des Senders 3sat. Erstmals fuhr das 3. Jahr des Studiengangs „Film- und Fernsehproduktion“ der Hochschule für Film- und Fernsehen „Konrad Wolf“ aus Potsdam dort hin. Sie nahmen mich mit.
Es ist schon erstaunlich wie sehr eine kleine Stadt, ein feines Festival und ein paar Filme das Herz eines einfachen Studenten erobern und so ganz für sich gewinnen können. Doch bevor es soweit war, musste einiges geschehen.
Als knallharter Marzahner ist es nicht leicht Baden-Baden und seine Atmosphäre zu mögen. Denn jeder scheint verrückt zu sein, verrückt reich.
In einem Schmuckhaus sitzen rund 200 Menschen, deren Altersdurchschnitt 50+ weit überschritten hatte – also absolut die Kernzielgruppe der Öffentlich Rechtlichen abbildet. Gebannt schauen alle auf einen großen Rückpro Fernsehen mit raus gequetschtem Stereoton. Wie Fernsehen – nur eben auf „Baden-Baden-Niveau“: gut Bürgerlich vor einer 200.000 Euro Glotze. Und wenn man, wie beim Fernsehen üblich, etwas mit seinem Nachbarn über den Film tuschelt – wird man schnell böse angekuckt. Verrückt. Das erinnert ans Kino, obwohl es doch gar keins ist. Es geht ja nicht mal das Licht während der Vorstellung aus!
Im Anschluss an die Vorführung wird über die Filme diskutiert. Und zwar auf einem verrückten Niveau. Denn jetzt wird eine Diskussion geführt, denen normaler Weise Kinofilme standhalten müssen. Das Schauspiel der fünf Juroren ist stets gleich: Merkwürdig oberflächlich und individuell wirkt der Diskurs über Motive, Anliegen, Verantwortung des Filmemachers…kurz um: Kunst. Oft wurden, der Kürze der Zeit geschuldet, die Fragen nach Zielgruppe, Sinusmilieus und Timeslots in Abhängigkeit vom Senderprofil nicht berücksichtigt. Punkte, die ganz natürlich im Interesse der verantwortlichen Redaktionen liegen. Mit solch einem Verständnis hätten es die Filme bei der Jury auch leichter haben können. Was viel mehr weh tat, waren die inhomogenen, subjektiven und manchmal rätselhaften Analysen. Stets drängte sich mir die Frage auf, ob die Jury nicht inkompetent ist. Nein – das ist sie nicht! Denn letztlich muss ich mir, verrückt wie es ist, eingestehen, dass die Jury wie das Publikum urteilt. Als Zuschauer befangen, stets subjektiv und nicht zu letzt als Mensch. Das funktioniert schon irgendwie – und wieso muss ich überhaupt immer Recht haben? Mut zur Meinung!
Kaum schöner kann diese Subjektivität sein, als die von einem Nico Hofmann («teamworx»). Mit roten Augen verteidigt er einen so ebenen von seinen Jury Kollegen verrissenen Film. Beeindruckend menschlich – wie Nico nach soviel Jahren von Fernsehfilmen gerührt ist. Das macht dann schon Spaß.
Was so richtig schade ist, dass Nico kaum wirklich Stellung bezogen hat. Das liegt wohl daran, dass er zukünftigen Produktionen, aus seinem Hause, kein Bein stellen will. Redakteure, die einen füttern, beißt man nicht. Verübeln kann ich es ihm nicht. So hatte ich nur den Eindruck, dass die Jury oftmals zahnlos blieb und die branchenüblichen Bussies verteilte.
Die Filme, die in Baden-Baden liefen, sollen die Besten des vergangenen Jahres sein. Ich war überrascht. Vielen Filmen gelang es selten, die Schablonen der Genres zu überwinden, um neu, frisch, und ein starkes Sendungsbewusstsein zu entwickeln. Wenn sie es wagen, die Grenzen des Genres zu durchbrechen und sich daran versuchen zu mischen, scheitert dies kläglich. Warum nur? Ist das, dass generelle Los des Fernsehens? Ist es formaler Fluch der über allem liegen muss, was verstanden werden will? Liegt es an mir? Bin ich zu jung? Vielleicht. Ja genau! Die Filme der Nachwuchsregisseure, die nicht in der Bewertung waren, waren mir einiges näher. Gerade die Filme der ehemaligen Kommilitonen Robert Thalheim und Sören Senn hatten es mir angetan. Die Ex-HFF-ler sprechen eine klassische, in sich mehr gefestigte, fast schon zu formale Fernsehsprache. Ganz anders als viele der eher experimentellen Projekte von arrivierten Regisseuren, in der formlosen Bedeutungslosigkeit untergehen und mich nicht erreichen. Oftmals, so muss ich zugestehen, war ich nicht Zielgruppe. Gute 30 Jahre zu jung. Geklatscht wurde immer, aus Respekt, selten aus Begeisterung.
Die einzigen „Bravo“ Rufe bekam ausgerechnet ein Schweizer Fernsehfilm. «Canzun Alpina». Ein mitreißender Film über Integration, Vorurteile und ein starker Appell an die bedingungslose Liebe. Bei solch guten Filmen verschwimmt die Grenze schnell mal zwischen Kino und Fernsehen. Das sagt auch der Regisseur von «Canzun Alpina» Sören Senn – er strebt nach Perfektion, egal für welche Abspielplattform. Ach ja, gewonnen hat der Film «Guten Tag, Herr Grothe». Schade, ausgerechnet diesen hab ich verpasst. Das passiert mir nächstes Jahr nicht wieder. Denn eins ist sicher, ich komme wieder. Das hat viele Gründe.
Im Gegensatz zur Deutschen „Wir-klopfen-uns-gegenseitig-auf-die-Schultern-Industrie“ ist Baden-Baden anders. Kleiner, feiner und charmanter. Hier kann Baden-Baden bei einem Produktionsstudenten punkten. Die fast schon als intim bezeichenbare Atmosphäre ermöglicht es, mit allen Anwesenden in Ruhe zu sprechen. Und das nicht auf einem genervten Level, wie man es von der Berlinale oder Cannes kennt – sondern ganz anders. Jeder begegnet sich auf Augenhöhe, hört zu und ist interessiert. Als wäre man Handverlesen für eine Woche in den goldenen Fernsehkäfig gesperrt. Schon geil.
Abends sitzt man in Ohrensesseln vorm Kamin plaudert mit dem Kodak-Boss, Nico Hofmann oder genießt die Gegenwart seiner Kommilitonen. Selbstverständlich bei einem zehn Euro Tee – schon verrückt. Da ist es kein Wunder, dass keiner zum Schlafen kommt.
Außerdem motiviert Baden-Baden. Bei der Qualität der gezeigten Filme stellt sich mir unweigerlich eine Frage. Kann ich das nicht auch besser? Oder ist es sooo über die Maßen schwer, gutes Fernsehen zu produzieren? Ob, das werden wir sehen. Jedenfalls motivieren mich alle Filme, die dort liefen, selbst das Heft in die Hand zu nehmen und mich zu versuchen. Mit den Menschen, die ich an der „Konrad Wolf“ in Potsdam hab kennen lernen dürfen, habe ich das Gefühl, besser sein zu können. Das macht mich stark, gibt mir Kraft und Vertrauen in eigene Fertigkeiten.
Leider ist das Kleinod Baden-Baden gefährdet. Aus meiner Sicht. Denn die Privaten Sender beschicken das Festival mit ihren Eigenproduktionen nicht. So droht es, als Abspielplattform der Öffentlich-Rechtlichen, an Relevanz und somit an Attraktivität zu verlieren. Das darf nicht geschehen. Es müssen Lösungen gefunden werden, die es ermöglichen die privaten Filme nicht zwingend bei 3sat auszustrahlen und ein jüngeres Publikum anzuziehen. Aber bei diesem Punkt prallen die Dickschädel aller Diskutanten aufeinander. So dass letztlich, außer Kopfweh und durchzechten Nächten, nur die Erkenntnis bleibt: Fernsehen kann ganz schön doof machen, muss aber nicht!
Nach so viel Fernsehen, ist auch irgendwann mal wieder gut mit der Beschaulichkeit Baden-Badens. Ich sehne mich nach dem Hundekothäufchen in Prenzelberg, um die ich elegant herumspringen muss und der jungen Starbucks Verkäuferin die mich mit ihrem spröden Charme darauf hinweist, dass extra Karamell dick machen würde. Baden-Baden zeigt mir, dass ich arm bin. Arm an Geld, aber zugleich so reich an Jugend, Kraft und Innovation – das tut gut. Ebenso wie die siebenstündige Rückfahrt im Bus neben diesem mehr als soliden und charmanten Blondschopf. Ein nahe zu perfekter Abschluss dieses Abstechers in die Welt der Reichen und Verrückten.
Danke - Wolfgang, Oli, René, Paul, Javelle, Alex, Jessica, Annika, Anne, Luisa und Tine für Baden-Baden. Nächstes Jahr wieder!
Max Hemmo