Besser als Hitchcock? Der zweite Adaptionsversuch eines britischen Theaterstücks gibt sich modern - und scheitert auf ganzer Linie.
Will man sich als Filmemacher heutzutage dem Familienbild und den Moralvorstellungen vergangener Epochen widmen, bedarf es schon einer gehörigen Portion Kreativität, um dem angestaubten Sujet noch ausreichend Brisanz, Faszinationskraft und Relevanz abgewinnen zu können. Zahlreiche ambitionierte Projekte der letzten Jahre scheiterten in genau diesen Punkten und verloren sich in Belanglosigkeiten und allzu bemüht und deplatziert wirkenden Modernisierungsversuchen. Auch die unentschlossen zwischen Komödie und Drama hin und her pendelnde britische Produktion «Easy Virtue - Eine unmoralische Ehefrau» bildet da leider keine Ausnahme und kann nur dank ihrer guten Darstellerriege davor bewahrt werden, im völligen Desaster zu enden.
Angesiedelt im England der 1920er Jahre, erzählt der Film von dem von Spannungen beherrschten Leben der Aristokratenfamilie Whittaker. Der Vater (Colin Firth) ist noch immer vom Ersten Weltkrieg gezeichnet und versteckt sich seit seiner eher unfreiwilligen Rückkehr nach Hause teilnahmslos hinter Zynismus und Verschlossenheit. Die beiden einfältigen Töchter (Kimberley Nixon, Katherine Parkinson) sind erfolglos in Leben und Liebe. Und die verbitterte, auf überholte Moralvorstellungen pochende Mutter (Kristin Scott Thomas) versucht in diesem ganzen Trauerspiel, unter größten Anstrengungen das eigentlich längst verflogene Familienidyll aufrechtzuerhalten. Da passt es ihr auch so gar nicht, dass ihr einziger Sohn (Ben Barnes) bei seiner Rückkehr von einem Frankreichaufenthalt eine ihm frisch angetraute amerikanische Rennfahrerin (Jessica Biel) im Schlepptau dabei hat, die mit ihrer lockeren, offenen und toughen Art so gar nicht in das Bild der Familie Whittaker passen will.
Die altbackene Ausrichtung der Handlung kommt nicht von ungefähr, hat das Geschehen seinen Ursprung doch in einem inzwischen über 80 Jahre alten Theaterstück. Dieses wurde noch in den 1920er Jahren von niemand geringerem als dem jungen Alfred Hitchcock («Die Vögel», «Psycho») bereits für die große Leinwand adaptiert. Sein Stummfilm aus dem Jahre 1928 fand jedoch trotz der damals in der Gesellschaft noch topaktuellen Thematik wenig Anklang und wurde so zu einem finanziellen Misserfolg. Unter diesen Vorzeichen ist es sogar fast schon löblich, wenn nicht sogar mutig, sich dem alles andere als zeitlos aufbereiteten Stoff so viele Jahre später noch einmal zu widmen. Doch auch die Neuverfilmung des australischen Regisseurs Stephan Elliott («Priscilla - Königin der Wüste»), die in ihrem Produktionsland Großbritannien schon vor fast zwei Jahren eine Kinoauswertung erfuhr, war bisher von keinem übermäßigen Erfolg gekrönt.
Betrachtet man das vorliegende Resultat, ist dies jedoch auch nicht allzu verwunderlich. Dabei beginnt das Ganze noch recht vielversprechend. Ein ansprechend gestalteter Vorspann und die teils durch originelle visuelle Einfälle unterstützte Figureneinführung lassen auf einen charmanten und einfallsreichen Spaß hoffen. Doch schon nach wenigen Minuten offenbart «Easy Virtue» seinen wahren Charakter. Lächerlichkeiten und Dialogwitz von vorvorgestern stehen dabei an der Tagesordnung. Die oftmals ohnehin schon sehr überspitzt dargebotenen Szenen werden an vielen Stellen durch eine übertrieben alberne musikalische Untermalung noch weiter ins Absurde gezogen. Doch entsteht hinsichtlich des Soundtracks insgesamt noch ein eher ambivalenter Eindruck, sorgt er doch abseits der erwähnten Passagen hin und wieder mit auf alt getrimmten und jazzig interpretierten Versionen moderner Popsongs wie Tom Jones’ „Sexbomb“ für einige der ansonsten sehr rar gesäten Schmunzler. Vielmehr als ein netter Einfall am Rande ist aber auch das nicht.
Der Humor während des eigentlichen, sehr konstruierten Geschehens wirkt dagegen die meiste Zeit überaus aufgesetzt und sehr gewollt. Eine scheinbar intendierte Leichtfüßigkeit der Erzählung ist zu keinem Zeitpunkt wirklich spürbar. Der sehr mühsam angeschlagene, vermeintlich hippe Ton, welcher sich vor allem auch in teils anachronistischen Dialogzeilen niederschlägt, wirkt im Großen und Ganzen eher anstrengend als erheiternd. Und gerade mit seiner ganzen albernen Ausrichtung steht sich der Film vor allem in der zweiten Hälfte selbst im Weg, wenn er zwischendurch mehrfach versucht, einige tragische Noten in der Handlung unterzubringen. Denn ernst nehmen kann man «Easy Virtue» zu jenem Zeitpunkt schon beim besten Willen nicht mehr. Lediglich das Sinnieren des resignierten Familienvaters über die Sinnlosigkeit des Krieges lassen zwischenzeitlich kurz aufhorchen.
Wirklich tragisch erscheint einem am Ende aber eigentlich nur die Verschwendung schauspielerischen Potentials. Vor allem die talentierten Mimen Kristin Scott Thomas («Der Pferdeflüsterer») und Colin Firth («Bridget Jones») wissen trotz der hanebüchenen Story in ihren grundsätzlich komplex angelegten Charakteren wie immer sehr zu gefallen. So sind sie insgesamt so ziemlich die einzigen wirklichen Lichtblicke, die den Zuschauer über die nicht lange, aber durch die Unzulänglichkeiten des Drehbuchs doch außerordentlich langatmig erscheinende Laufzeit des Films bei der Stange halten. Bleibt nur zu hoffen, dass Colin Firth nach der Oscarnominierung für seine grandiose Leistung in «A Single Man» (2009) seine Rollen in Zukunft mit mehr Bedacht auswählt, als er es mit den beiden, diesem Drama unmittelbar vorangegangen Filmen getan hat. Denn neben seinem Auftritt in «Easy Virtue» kann er auch auf sein Mitwirken in der miserablen Literaturverfilmung «Das Bildnis des Dorian Gray» (übrigens ebenfalls mit Ben Barnes in der Hauptrolle) nicht gerade stolz sein. Auch wenn er selbst zweifellos noch das Beste an den ansonsten qualitativ sehr fragwürdigen Machwerken ist.
«Easy Virtue» ist und bleibt also ein belangloses Stück Kino, das selten ein Ziel vor Augen hat und daher vor allem auch nicht weiß, welchen Weg es nun einschlagen soll. Das Halten der Balance zwischen Komik und Tragik missglückt auf ganzer Linie, da das übermäßig alberne Geschehen die ernst gemeinten Momente schlichtweg überlagert. Nur für sich selbst genommen, zündet der Witz dann jedoch auch an den wenigsten Stellen. Zwar regt der eine oder andere leidlich charmante Einfall zumindest zum Schmunzeln an, doch überwiegt eindeutig ein negativer Eindruck. Unterm Strich bleibt ein zwar schön bebilderter, aber äußerst harmloser Film, dessen Kritik an den spießigen Ansichten und der konservativen Moral des Adels an anderer Stelle schon wesentlich treffender, bissiger und unterhaltsamer zum Ausdruck gebracht wurde. Ein Film, den man keineswegs gesehen haben muss.
«Easy Virtue» ist seit 24. Juni in vielen deutschen Kinos zu sehen.