Die Kino-Kritiker

«The Tourist»

von
Fast vier Jahre nach dem Oscar für «Das Leben der Anderen» meldet sich Florian Henckel von Donnersmarck mit seinem Hollywooddebüt im Kino zurück. Trotz Beteiligung einer hochkarätigen Besetzung hat sich das Warten jedoch nicht wirklich gelohnt.

Florian Henckel von Donnersmarck standen spätestens nach der Oscarverleihung im Jahr 2007 viele Türen offen. Als sein ohnehin schon hochgelobtes und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnetes Kinodebüt «Das Leben der Anderen» (2006) zusätzlich noch den begehrtesten Preis der Industrie in der Kategorie „Bester fremdsprachiger Film“ gewann, wurde auch der Rest der internationalen Filmwelt auf den deutschen Regisseur aufmerksam. Dass für den gebürtigen Kölner als zukünftige Arbeitsstätte nur Hollywood in Frage kam, verstand sich von selbst. So wollte es von Donnersmarck seinen Kollegen Oliver Hirschbiegel («Das Experiment», «Der Untergang») und Robert Schwentke («Tattoo») gleichtun, die auch erst in jüngerer Vergangenheit den Sprung in die amerikanische Traumfabrik wagten. Während Schwentke mit «Flightplan» (2005), «Die Frau des Zeitreisenden» (2009) und «R.E.D.» (2010) gleich drei ansehnliche Erfolge in Amerika feiern konnte, scheint Hirschbiegels Hollywoodkarriere nach der kolossal gefloppten «Körperfresser»-Neuverfilmung «Invasion» (2007) schon wieder vorzeitig beendet zu sein. Besieht man sich nun von Donnersmarcks US-Debüt «The Tourist», ein Remake des französischen Thrillers «Anthony Zimmer» (2005), droht er sich wohl eher letzterem anzuschließen. Nach zahlreichen Verzögerungen und Umbesetzungen vor und hinter der Kamera (von Donnersmarck selbst kurzzeitig mit eingeschlossen) ist sein erster Film seit fast fünf Jahren lediglich ein langatmiges und sinnentleertes Stück Kino geworden, das sich jedoch durch gut aufgelegte Darsteller und einige witzige Dialoge noch ins halbwegs unterhaltsame Mittelmaß retten kann.

Dreh- und Angelpunkt von «The Tourist» ist der wegen Steuerschulden in Millionenhöhe von Scotland Yard gesuchte Alexander Pearce, der sich, um untertauchen zu können, einer umfassenden Gesichtsoperation unterzogen hat. Niemand weiß, wie er nun aussieht. Nicht einmal seine einstige Freundin Elise (Angelina Jolie), die alles daran setzt, Alexander nach langer Zeit wiederzusehen. Eines Tages fordert er sie in einem Brief dazu auf, sich während einer Zugreise nach Venedig nach einem Mann seiner Statur umzusehen und seine Verfolger so glauben zu machen, es handele sich tatsächlich um ihn. Dabei soll jedoch in erster Linie nicht die Polizei auf eine falsche Fährte gelockt werden, geht die eigentliche Bedrohung für Pearce doch vom skrupellosen Gangster Reginald Shaw (Steven Berkoff) aus, den er vor einiger Zeit um mehrere Milliarden Dollar erleichtert hat. Im besagten Zug macht Elise schließlich dem unscheinbaren Amerikaner Frank (Johnny Depp) schöne Augen, der sich prompt zur mysteriösen Fremden hingezogen fühlt. In Venedig angekommen, nimmt sie den fassungslosen Touristen dann gar mit in ihre Hotelsuite. Doch als Elise am nächsten Morgen plötzlich verschwunden ist und stattdessen zwei russische Killer Frank an den Kragen wollen, beginnt für ihn ein Kampf ums Überleben, in dem nur wenig so ist, wie es scheint.

Dabei ist sich «The Tourist» scheinbar selbst nicht genau darüber im Klaren, was er eigentlich sein will. Schon die Werbekampagne zum Film macht dies deutlich. Während der längere Trailer eine rasante Actionkomödie vermuten lässt, sind es vor allem die TV-Spots, die «The Tourist» als spannenden Agententhriller anpreisen. Diese Unentschlossenheit macht sich nun teilweise auch im eigentlichen Film negativ bemerkbar, gelingt es von Donnersmarck und seinem Team nicht so recht, die beiden Bereiche gekonnt miteinander zu einer homogenen Einheit zu verbinden. Der Schwerpunkt des Films liegt letztendlich doch recht eindeutig auf Humor und Situationskomik, wie auch seine drei Golden-Globe-Nominierungen (für die besten Hauptdarsteller und den besten Film) zeigen, bei denen er als Komödie geführt wird. Die amüsanten Szenen funktionieren auch tatsächlich recht gut und gehören zweifellos zu den überschaubaren Stärken des Films. Hätte «The Tourist» diesen noch mehr Platz eingeräumt und sich damit gänzlich auf einen lockeren Ton verlassen, um so beispielsweise als bewusst absurde Agentenparodie durchzugehen, wäre das Endergebnis sicher um einiges befriedigender ausgefallen. Zwischendurch möchte die Thrillerkomödie allerdings eine wohl größtenteils ernstgemeinte Geschichte erzählen, was jedoch angesichts deren Unoriginalität und Sinnlosigkeit nur scheitern kann und somit den Unterhaltungswert deutlich schmälert.

Um als reiner, anspruchsloser, aber kurzweiliger Unterhaltungsfilm durchzugehen, fehlt es «The Tourist» außerdem deutlich an Tempo, Spannung und Schauwerten. So bringt es von Donnersmarck nicht einmal fertig, eine so dankbare Kulisse wie das wunderschöne Venedig in angemessen ansprechende Bilder zu packen. Alles wirkt merkwürdig kalt und distanziert, nicht zuletzt wegen der immer wieder eingestreuten, recht einfallslosen Kamerafahrten aus der Vogelperspektive, die dem Charme der Stadt einfach nicht gerecht werden. Ohnehin erweist sich die Regie des vor wenigen Jahren noch so hoch gelobten deutschen Filmemachers als überaus konventionell und gewöhnlich, regelrecht langweilig. Ob dies auf eine respektvolle Zurückhaltung im neuen Arbeitsumfeld oder schlicht auf Unvermögen zurückzuführen ist, muss sich in von Donnersmarcks zukünftigen Arbeiten noch zeigen. Fakt ist, dass er bei «The Tourist» jegliche inszenatorischen Höhenflüge vermeidet, keinerlei eigene Handschrift erkennen lässt und somit auch gar nicht erst versucht, die eklatanten Schwächen der Story mit einer verspielten Regie elegant zu verschleiern. Vielmehr leistet er sich sogar ein paar kleine Ausrutscher nach unten. Zu nennen wäre hier zum Beispiel eine Flucht mit dem Motorboot durch die Kanäle Venedigs, die man unrasanter wohl kaum hätte in Szene setzen können. Dieses Gefühl verstärkt sich nur noch durch die an jener Stelle deutlich im Kontrast zur Bildsprache stehende dramatisch voranpreschende Filmmusik.

Und auch sonst gestaltet sich der Großteil des Films als überaus vorhersehbar, langatmig und ereignislos. Dabei fängt alles noch recht vielversprechend an. So gefällt die erste halbe Stunde durch halbwegs gelungen etablierte Haupthandlungsstränge und unterhaltsamen Dialogwitz, der sogar ein wenig Lust auf die noch folgenden 70 Minuten macht. Doch mit dem Anbruch ebendieser schleichen sich zunehmend mehr und mehr Längen ein, die sich vor allem im Mittelteil bemerkbar machen. Hin und wieder sollen sie mit albernen Pseudo-Wendungen kaschiert werden, die in ihrer Absurdität jedoch zuvor gezeigte Szenen nachträglich ihrer Logik und somit den ganzen Film seines Sinns berauben. Die Handlung verliert sich daher weitestgehend in der Belanglosigkeit und treibt die meiste Zeit nur öde und redundant vor sich hin. Auch die zentrale Bedrohung der Hauptfiguren bringt dabei vor allem aufgrund des unglaublich blassen Bösewichts keinen Pep in die Geschichte. Da wäre durchaus mehr drin gewesen. Immerhin waren mit Christopher McQuarrie («Die üblichen Verdächtigen») und Julian Fellowes («Gosford Park») neben von Donnersmarck noch zwei weitere Oscarpreisträger am Verfassen des Drehbuchs beteiligt.

Über die gesamte Länge des Films stellt sich dann doch allzu oft die Frage, wo bei der ganzen unspektakulären Fadheit denn eigentlich das 100 Mio. Dollar schwere Produktionsbudget abgeblieben ist. Besieht man sich die Besetzungsliste, liegt die Vermutung nahe, dass ein nicht unerheblicher Teil davon, in den Taschen der Darsteller gelandet ist. In einigen Fällen hat sich diese Investition aber durchaus gelohnt, sind es doch die Schauspieler, die den Zuschauer bei der Stange halten und dem Film trotz aller Unzulänglichkeiten doch noch einen gewissen Charme verleihen. Allen voran der wie immer grandiose, wenn hier auch deutlich unterforderte Johnny Depp («Sleepy Hollow», «Fluch der Karibik») sowie der oftmals unterschätzte Paul Bettany («Master & Commander», «The Da Vinci Code - Sakrileg»). Während Depp den etwas einfältigen Touristen zwar routiniert, aber dennoch überaus sympathisch und amüsant gibt, kann Bettany als unausstehlicher, von Misserfolgen im Fall Pearce geplagter Scotland-Yard-Mann vollends überzeugen. Trotz ihrer simpel gestrickten Figuren macht es einfach Spaß ihren leichtfüßigen Darstellungen beizuwohnen, die auch für einen Großteil der Lacher des Films verantwortlich sind. So keimt durch den hauptsächlich über sie vermittelten Witz zwischendurch auch immer mal wieder Kurzweil auf. Mitunter gerät bei ihren Auftritten sogar fast die Tatsache in Vergessenheit, dass man sich gerade in einem ansonsten allenfalls mittelprächtigen Machwerk befindet. In Erinnerung gerufen wird dies aber nur allzu deutlich durch die meisten Auftritte Angelina Jolies, die in ähnlichen Rollen schon gefühlte hundertmal zu sehen war und so in Verbindung mit ihren in «The Tourist» eingebrachten zwei Gesichtsausdrücken nicht nur Langeweile verbreitet, sondern auf Dauer schon fast anstrengend ist. Darüber hinaus stimmt die Chemie zwischen ihr und Depp nicht wirklich, was wiederum die Entwicklung der Beziehung ihrer Figuren, ein für das Gelingen der Handlung essentielles Element, kaum nachvollziehbar macht.

Somit überwiegen bei «The Tourist» im Großen und Ganzen zweifellos die Mängel, welche die Thrillerkomödie unterm Strich zu einem weitestgehend belanglosen, öden und daher vor allem aufgrund der namhaften Beteiligung äußerst enttäuschenden Werk machen. Um noch den größtmöglichen Unterhaltungswert aus Florian Henckel von Donnersmarcks Hollywooddebüt zu ziehen, empfiehlt es sich nach den ersten 30 Minuten ein kurzes Nickerchen einzulegen, um pünktlich zum Finale wieder aufzuwachen und einige der besten Gags sowie die haarsträubende, aber irgendwie befürchtete Auflösung mit abzugreifen. Eine noch weitaus bessere Variante wäre jedoch sicherlich, «The Tourist» gänzlich links liegen zu lassen und das Geld stattdessen für einen Venedigurlaub zu sparen, in der Hoffnung, dabei nicht Angelina Jolie über den Weg zu laufen. Denn wer weiß schon, wohin das am Ende führen würde.

«The Tourist» ist seit dem 16. Dezember in vielen deutschen Kinos zu sehen.

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