In den USA startet in Kürze die vierte Staffel der vielleicht zur Zeit besten TV-Serie «Breaking Bad». Ein Rückblick.
Von den Zuschauern geliebt, von den Kritikern als „beste Serie im TV“ bezeichnet, für den kleinen Kabelsender AMC definierend. Und doch steht «Breaking Bad» auch dreieinhalb Jahre nach seiner Premiere im Schatten von «Mad Men» – in den Gunsten der Preisvergeber und auch bei den Zuschauerzahlen. Doch das sollte das Autorenteam rund um Vince Gilligan nicht stören, befinden sie sich immerhin auf einem derzeitigen Höhepunkt mit ihrer Serie. «Breaking Bad» entwickelte sich in seinen drei Staffeln und 33 Episoden von einem dramatischen Familiendrama zu einem rücksichtslosen Thriller, der nicht davor Halt macht, schockierende Momente in seiner Ausgiebigkeit zu zeigen, und ist nun an einem Punkt angekommen, an dem sich das Team hinter der Produktion entscheiden muss, welcher Weg nun einzuschlagen ist: Wird Walter White sich nun vollständig der kriminellen Welt hingeben und das Leben seiner Familie und seines jungen Partners aufs Spiel setzen, oder hat Gilligan endlich einen finalen Punkt für seine Hauptcharaktere gefunden und arbeitet langsam auf diesen zu?
Die im zurückliegenden Jahr ausgestrahlte dritte Staffel hatte einige Probleme in ihrem Erzählfluss und zerstörte teilweise den außergewöhnlichen Eindruck der Serie, welchen die Zuschauer während der ersten beiden Staffeln gewannen. Aus dem kalkulierbaren Walter wurde ein unkalkulierbarer Meth-Koch und Krimineller, der nicht vor Mord zurückschreckt; aus dem eher zurückhaltenden Jesse wurde ein Drogensüchtiger, der in jeder Sekunde seiner Arbeit die Gefahr sieht, nicht nur Walter als Partner zu verlieren, sondern auch den Boden unter seinen Füßen; aus Walters geradlinigem Familienleben wurde ein Hin und Her zwischen ihm und seiner Ex-Frau Skyler, die selbst nicht so recht weiß, auf welcher Seite sie stehen soll; und der anfänglich interessante Plot des DEA-Agenten Hank, welcher sich auf den Fersen des sogenannten Heisenberg befindet, kam in der Mitte der Staffel zu einem völligen Stillstand und schob «Breaking Bad» dadurch in eine andere Richtung, welche den Ton der am nächsten Sonntag startenden vierten Staffel angeben könnte.
„Ich bin der Bösewicht“, ist die Antwort von Jesse auf Walters Frage, wer er nach Janes Tod in Staffel zwei und seinem darauffolgenden Reha-Besuch ist. Dieses Zitat ist gleichzeitig auch das Thema der kompletten dritten Staffel, in welcher nicht nur Walter und Jesse ihre Sicht auf die Dinge der Welt verändern müssen. Mit einer doppelköpfigen Bedrohung aus Mexiko auf seinen Fersen und einem neuen Geschäftspartner sieht Walter sich plötzlich inmitten verschiedener Konflikte, welchen er nicht so einfach den Rücken zukehren kann. In Staffel drei wurde aus dem ehemaligen Chemielehrer mit Krebs ein eiskalter Drogenkönig, der für seine neue Karriere vor nichts Halt macht. Das Geschäft des schnellen Geldes ist einfach zu lukrativ für die beiden Serienhelden – wobei das Wort „Helden“ in diesem Fall mit strenger Vorsicht benutzt werden sollte. Helden sind Walter und Jesse definitiv keine. Das haben sie in Staffel zwei bewiesen und ihre eigene Definition von „Bösewicht“ haben sie im Verlauf der dritten Staffel gefunden. Innerhalb von zwei Jahren «Breaking Bad» hat sich das notdürftige Geschäft des Drogendeals auf Grund von Geldmangel zu einer lukrativen Karriere verwandelt und Walter und Jesse sind sicherlich Mann genug, nicht mitten auf der Zielgeraden einfach aufzuhören. Auch wenn es bedeutet, dass geladene Waffen, die ATF im Hintergrund, und die wütenden Partner ständig eine Gefahr für Walter und Jesse darstellen.
Während einige der Drehbücher während der dritten Staffel recht transparent waren, und einen Einblick in die Arbeit der Autoren gaben (man konnte regelrecht den Geschmack der gezwungenen Kunst und Übertreibung mehrerer Szenen auf der Zunge schmecken), bewiesen die beiden Hauptdarsteller, dass sie durchaus mehr Darstellerpreise verdient haben, als sie jetzt bekommen. «Sex and the City» wurden jahrelang die Golden Globes hinterher geschmissen, warum sollte dies dann nicht auch für Bryan Cranston und Aaron Paul möglich sein? Vielleicht einfach deswegen, weil die Preisgeber «Breaking Bad» immer noch nicht gefunden, und nur vom Hörensagen den Tipp bekommen haben, Cranston dreimal in Folge den Emmy als besten Darsteller zu geben. Ein Anfang wurde mit den lobenden Tönen der dritten Staffel gemacht: Cranston wurde zum ersten Mal für einen Globe nominiert und Paul bekam zum ersten Mal den Emmy. Sollte das Kritikerlob während der vierten Staffel die Grenzen noch einmal übersteigen, dürfen die «Mad Men»-Macher sich sicher sein, zumindest bei den nächsten Awardshows eine mächtige Konkurrenz aus den eigenen Reihen zu bekommen. Ob «Breaking Bad» wirklich die zur Zeit beste Serie im TV ist? Diese Frage ist objektiv betrachtet nicht ohne subjektive Meinungen zu beantworten. Aber sicher ist, dass die Serie nach drei Jahren an mehr Faszination gewonnen hat, als nach der kurzen ersten Staffel. Und es ist nur zu hoffen, dass die Autoren genügend Zeit haben, ihre Geschichte zufriedenstellend zu beenden – am Besten in vier oder fünf Jahren.
Man kann viel Gutes über Gilligans Taktik, seine Hauptcharaktere langsam zu Bösewichten verkommen zu lassen, sagen, aber wenn es um die mexikanischen Zwillinge geht, hat auch er etwas neben das Ziel gehauen und einen merkwürdigen Mix aus langsam erzählten Thriller und Auftragskiller-Action geliefert. Die Zwillinge bekommen in der Staffelpremiere „No Mas“ eine Einführungsszene, welche die beiden in eine surreale Richtung steckt und bekommen im Verlauf einer halben Staffel überhaupt keine Charaktermomente geschenkt. Sie wurde in die Serie geschrieben, um den Tod von Tuco zu rächen und ihnen wurde eine Verbindung mit Gus unterstellt – alles schön und gut, allerdings passen die Momente überhaupt nicht zusammen und ihre Szenen wirken vom Rest der Staffel entfremdet. Die sturen und wortkargen Zwillinge waren ein großes Mysterium während der ersten Staffelhälfte, doch war es dieses Mysterium, welches das störende Element der Staffel zeigte: Die Autoren sind gut darin, die Geschichte so langsam zu erzählen, dass die Zuschauer dann völlig geschockt sind, wenn eine ihnen neue Entwicklung direkt ins Gesicht springt, doch im Falle der Zwillinge kommt man nicht darüber hinweg sich zu fragen, ob deren Einführung nicht der einzige Grund für die grundverändernde, spannende, tödliche, skrupellose, atemberaubende Parkplatz-Schießerei in der Episode „One Minute“ war.
Auch wenn es um die familiäre Storyline ging haben die Autoren nicht unbedingt Fingerspitzengefühl bewiesen. Die Geschichte rund um Skyler wurde weitgehend reduziert, und sie wurde zu einer Ex-Frau, welche von Walters Aktivitäten weiß und nebenher mit ihrem Boss schläft, nur um in der zweiten Staffelhälfte sich als Geldwäscherin zu behaupten, welche die finanziellen Aspekte von Walters Drogengeschäften kontrolliert. Auch wenn es danach aussieht, als würde sie auch zu einer kriminellen Person verkommen, was im Hinblick des großen Ganzen der Serie interessant klingt, geht damit leider ein Element der Familiengeschichte komplett verloren: Skylers und Walters Sohn Walt junior ist nur noch ein Schatten seiner selbst, außerhalb aller erzählten Geschichten, befreit von jeglicher Charakterentwicklung. Die Drogendeals, ihre involvierten Charaktere, und die daraus resultierenden Gefahren sind einfach viel zu interessant, als Walters ursprünglichen Grund für den Einstieg ins Drogengeschäft weiter zu analysieren.
Die kleineren, bei dieser enormen Qualität an WTF-Momenten leicht übersehbaren Löcher im Storyaufbau sind jedoch schnell vergessen, wenn man sich als Zuschauer tiefer in die Gedankenwelt von Walter und Jesse versetzt hat. Beide wissen, dass sie mit jeder Episode mehr dem Bösentum verfallen und für Tode verantwortlich sind. Und beide zeigen es auch, dass sie sich gewissermaßen nicht mehr darum kümmern, solange es nicht um ihre Drogenkarriere geht. Besonders Walter schreckt nicht mehr zurück, die Feinde, die sein und Jesses Leben, sowie deren Situation im Geschäft bedrohen, kaltblütig zu ermorden. In Staffel eins tötete Walter Krazy 8, weil er keine andere Wahl hatte. In Staffel zwei ließ er Jane an ihrem Erbrochenen ersticken, um Jesse zu retten. Im Finale der dritten Staffel sieht Walter nur einen Ausweg, um Gus von sich fernzuhalten und zusammen mit Jesse sein Drogenschäft weiter auszubauen: Menschenleben müssen beendet werden, um das Wohl des Einzelnen zu beschützen. Und der kaltblütige Mord am Ende der Episode „Half Measures“ war da nicht der einzige WTF-Moment, um genau diesen Anstand zu zeigen.
«Breaking Bad» hat seine Unschuld mit der dritten Staffel definitiv verloren. Vorbei sind die Momente, die Serie unter dem Genre der schwarzen Comedy zu betrachten. Vorbei ist das Klischee von langsam erzählten Szenen, die nichts zur Story beitragen. In 33 Episoden hat «Breaking Bad» eine rasante Entwicklung hingelegt, und all das ohne die unheimliche Magie der Situation in langen und (im positiven Sinne) qualvollen Szenen einzufangen. Da hält die Kamera für gefühlte zehn Minuten auf Walters Gesicht, während er eine Rede nach dem Flugzeugabsturz hält; da wird sich darauf konzentriert, mit jeder wortlosen Szene die Ecken und Kanten der Charaktere zu zeigen; und da wird suggeriert, dass sich alle Charaktere in ihrer eigenen Leere befinden, wenn eine Totale der Stadt Albuquerque, wenn auch nur als etablierende Szene, gezeigt wird. Die vierte Staffel wird bald zeigen, in welche Richtung «Breaking Bad» sich ultimativ entwickeln wird, und ob das Jazzspiel des Vince Gilligans – die Entwicklung der Geschichte und der Charaktere in der Staffel, während er die Staffel schreibt – sich am Ende auszahlen wird. Eins sollte jedoch klar sein: In den nächsten Wochen wird wieder über «Breaking Bad» gesprochen und es werden Gründe gesucht, warum das Format das Beste ist, das keiner schaut.