Hingeschaut

«X Factor»: Ein Abgesang auf die Konkurrenz

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Die Talentsuche bei «X Factor» hat begonnen – und trällert dabei einen Abgesang auf die Konkurrenz.

Groß war die Skepsis, als RTL im vergangenen Jahr ankündigte, die britische Erfolgsshow «The X Factor» als eine weitere Castingshow für Gesangstalente in Deutschland zu etablieren. Zu viele Castingshows waren auf Massenhysterie und Tränendrüse getrimmt, zu groß war immer wieder der Ärger über Selbst- und Fremddarstellung der Shows und den Vorwurf asozialer Vorführung. Dennoch: Die Lizenzierung des im Königreich auf bisher stolze acht Staffeln bringenden Quotenrenners hat sich rentiert und war allen Unkenrufen zum Trotz ein Erfolg sowohl bei Kritikern als auch beim Publikum, denn mit 20.000 Bewerbungen und steigender Quote hat sich die Show für VOX ausgezeichnet. Eine zweite Staffel wurde deshalb bereits vor dem Ende der ersten Staffel beschlossen – mit neuer Jurybesetzung und bewährtem Castingsystem flimmerten nun bereits drei Folgen der zweiten Ausgabe über den Äther.

Wieder mit dabei und dank angenehmer Eloquenz, Zurückhaltung und Professionalität unersetzlich für die Jury ist Trompeter Till Brönner. Aus der ersten Staffel rettete sich auch Popikone Sarah Connor als weibliches Pendant in die Jurorenreihen. Angenehm lässig und deutlich differenzierter als Genrekollege Paul Würdig alias Sido annodazumal bei «Popstars» komplettiert Rapper Mirko Bogojević alias Das Bo das Dreiergespann in Perfektion. Die einzelnen Juroren sind erneut nicht nur Staffage für einen Großmeister à la Bohlen, sondern so integer, ihre eigenen Präferenzen und Meinungen kundzutun – auch gegen den Geschmack der anderen. Das gefällt, ist doch die Konkurrenz bei ProSieben und RTL auffallend trashorientiert, destruktiv und auf den schnellen Erfolg in der Masse aus. «X Factor» präsentiert sich hier deutlich humaner, setzt auf konstruktive Kritik und ist dem billigen Witz abgeneigt – so werden schräge Kandidaten im Schnelldurchlauf gezeigt, aber nicht als dröhnende Gagmaschinerie verbraten.

Doch es ist nicht alles rot, was glänzt: Die Boulevardifizierung des Formats ist nicht zu übersehen, denn noch stärker als bereits in der ersten Staffel setzt die Show auf Schicksal, Schock und schonungslose Offenbarung vor dem Publikum. Von «Popstars»- oder «DSDS»-Zuständen mit Cartoon-Einspielern, Endlosschleifen mit peinlichen Momenten und einer nervtötenden Freakshow ist man zum Glück noch weit entfernt, dennoch fällt die triviale Emotionalisierung negativ ins Auge. Was «X Factor» allerdings auszeichnet, ist der fulminante Fokus auf echte Talente, auf außergewöhnliche Auftritte und interessante Persönlichkeiten. Mit einem zusätzlichen Hauch Glamour hebt sich das Format damit wohltuend von anderen Castingshows ab; das Endergebnis ist dank unterschiedlicher Leistungsklassen und der Möglichkeit, auch gemeinsam als Band, Chor oder Duo anzutreten, unverfälscht und hat nicht den sonst typischen Nachgeschmack von Massenkompatibilität.

So konnten die ersten Folgen der zweiten Staffel von «X Factor» durchaus begeistern: Die Harmonie in der Jury stimmt, die Stimmung des Publikums stimmt und die gezeigten Sängerinnen und Sänger sind echte Talente, bei deren Gesangseinlagen man hier und da wirkliche «X Factor»-Momente ohne Fremdscham genießen darf. Als Moderator und Betreuer der Kandidaten verrichtet wie schon in der ersten Staffel Jochen Schropp einen guten Job abseits jedes Schreyel-Imitats – und wie in einer guten Castingshow fällt jede einzelne Sendung mit der Qualität der Gecasteten und nicht mit der Anzahl potentieller Lacher. Somit steht der Name der Show auch in der zweiten Staffel noch immer für ein buntes und abwechslungsreiches Programm und hat sich nicht nur zu einer echten Alternative zur Konkurrenz entwickelt – «X Factor» ist die Konkurrenz und der Maßstab für alle anderen Castingshows und trällert einen Abgesang auf die Konkurrenz. Hoffentlich bleibt das so.

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