Serien-Update

«Terra Nova»

von
Steven Spielbergs Dino-Serie kommt nach Deutschland. ProSieben zeigt die erste Staffel ab Montag immer um 20.15 Uhr. Unser US-Korrespondent Christian Wischofsky hat alle Folgen schon gesehen - sein Urteil über das neue Projekt...

Wir ziehen ein Fazit und erklären, warum man besser nicht auf ein Fernsehspektakel der ersten Güteklasse warten sollte.

«Heroes» machte vor, wie schnell eine Serie von einem Kritikererfolg in seiner ersten Staffel zu einem Hassobjekt für seine Zuschauer zwei Jahre später wird. «Lost» führte weiter, wie Autoren sich es mit ihren Fans im Serienfinale verscherzen können. «Terra Nova» hat in den letzten drei Monaten nun vorgemacht, warum man besser nichts von einer viel gehypten Serie erwarten sollte, und wie schnell eine Enttäuschung einsetzen kann, wenn man nach Logik sucht, jedoch keine findet. Die Science-Fiction-Serie mit Dinosauriern wurde seit ihrer Ankündigung 2009 lang erwartet und aufgrund von Produktionsschwierigkeiten im verregneten Australien immer wieder verschoben. Als dann auch noch die Rede war, dass «Terra Nova» mehr als nur tolle CGI liefern wird, waren die Ansprüche der zukünftigen Fans natürlich hoch. Die Erwartungen wurden allesamt niedergestreckt, als der klischeebeladene, vorhersehbare und storyarme Pilotfilm ausgestrahlt wurde. Die restlichen Erwartungen für den weiteren Verlauf der zwölfteiligen Staffel wurden alle getötet, nachdem der ausführende Produzent Nummer eins (von elf) Brannon Braga viel lieber von seinen früheren Serien kopierte, als mit «Terra Nova» etwas Einzigartiges zu bieten.

Elf ausführende Produzenten in den Credits jeder Episode. Und man könnte meinen, dass jeder einzelne etwas über die Serie zu sagen hatte, und dass jeder von ihnen seine eigenen Ideen mit einbrachte. Das Ergebnis ist das zurzeit aktuellste Beispiel, wie eine TV-Serie in den Ruin getrieben werden kann. Es beginnt alles mit einer 17-minütigen Darstellung des Jahres 2149, und wie die fünfköpfige Familie Shannon gerade dabei ist, durch ein Zeitportal 85 Millionen Jahre in die Vergangenheit zu reisen. Die Erde steht kurz vor ihrem ökologischen Zusammenbruch, und für die Menschheit gibt es nur einen Ausweg aus den sicheren Tod der Zukunft: die weit entfernte Vergangenheit in Pangäa, als die Dinosaurier den Planeten regierten, und an Homo Sapiens noch nicht zu denken war. In dieser Vergangenheit, eine alternative Zeitlinie für die Menschheit, erfährt die Menschheit in der Kolonie Terra Nova unter der Leitung von Commander Nathaniel Taylor (Stephen Lang) einen Neuanfang. Und mal abgesehen von den unzähligen, meist hungrigen Dinosauriern, sowie die Sixers, eine Gruppe von Outlaws, die sich vor Jahren von Terra Nova abwendeten und ihr eigenes Ding im Baumdickicht treiben, lässt es sich in der Vergangenheit auch gut leben. „Willkommen im Paradies“, wie es einer der Charaktere so eloquent formulierte.

«Terra Nova» wäre allerdings keine TV-Serie, wenn es nicht allerhand Probleme für die Kolonisten gibt. Kurzerhand gibt es nicht nur Dinosaurier, sondern verschiedene Viren und anderweitige Probleme zu bekämpfen, die das Leben in Terra Nova gefährden. Vermische all das mit einem Verschwörungsplot, Verrat und Familienklischees, und fertig ist das neue «Lost», welches viel zu sehr versucht, die Familie Shannon ins Licht des Geschehens zu bringen, als sich auf die logistische und politische Seite der Kolonie und der Serie selbst zu konzentrieren. Statt eines komplizierten und durchentwickelten «Terra Nova» bekamen die Zuschauer müde und ausgelutschte 90er-Jahre-Stereotypen aus Bragas «Star Trek»-Serien, sowie allerhand vorhersehbare Geschichten und Wendungen. Und wenn das noch nicht genug ist, kann der erfahrene Kinogänger auch gleich die inoffiziellen Zitate aus der Filmgeschichte mitzählen, die «Terra Nova» liefert – in diesem Fall jedoch stark aussehend nach Diebstahl. In keiner einzigen Episode schafften es die Autoren auch nur ansatzweise originell und ehrlich zu sein. Jede einzelne Story wurde gefüllt mit altbekanntem Kram, welcher besonders in einer Zeit nach «Lost» keinen Zuschauer mehr von ihren Hockern hauen kann.

Das ist allerdings noch nicht das Schlimmste. Vielmehr ist es den Autoren zu verdanken, dass «Terra Nova» als totgetrampeltes Pfad gesehen werden kann. Zu viele Geheimnisse zwischen den Charakteren zerstören den Aufbau der großen Geschichte; zu viele Logiklöcher ruinieren den Spaß vor allem in der zweiten Staffelhälfte. Die Handlungen der Charaktere bleiben lächerlich, ihre Motive bleiben auch nach wiederholten Drehungen ungeklärt, Auswirkungen für die Kolonisten und ihre Taten gibt es nicht. Die Charaktere werden in die Story gepflanzt und bewegen sich von Punkt A nach Punkt B, ohne auch nur einen Hauch von Entwicklung zu erfahren – damit machen die Autoren den schwersten Fehler, den man im Fernsehen nur machen kann. So lange es keine Entwicklung gibt, können die Zuschauer sich nicht mit den Charakteren identifizieren. Wenn die Zuschauer keinen der Charaktere liebgewinnen können, wird es ihnen egal sein, wenn einer von ihnen in Gefahr gerät und um sein Leben kämpfen muss. Wenn die Zuschauer sich nicht scheren, wer überlebt und wer stirbt, kann es schnell passieren, dass Gelächter aufkommt, wenn einer der Charaktere von einem Bösewichten verprügelt wird.

All die kreativen Probleme haben auch zur Folge, dass die Darsteller recht eintönig und manchmal auch lustlos daherkommen. Jason O'Mara ist viel zu sehr der (Action-)Held der Stunde in einer Handvoll Episoden, um als Vater oder Ehemann zu scheinen; seine Serienfamilie bekommt selten Möglichkeiten geschenkt, um ebenfalls als Charaktere zu glänzen (stattdessen bekommen vor allem die beiden größeren Kinder generische Teenagerstorys spendiert, welche «Terra Nova» als «Eine himmlische Familie» feat. Dinosaurier aussehen lässt); und es fehlt an Charakterzügen bei allen anderen Personen. Natürlich können die Schauspieler mit solch einem unterentwickelten Material nicht zeigen, was sie drauf haben. Nicht einmal Stephen Lang, dessen Commander Taylor hin und wieder zwischen gut- und bösartig hin- und hertanzt, und zeitweise viel zu sehr an seinen «Avatar»-Charakter erinnert. Wenn die Autoren es noch nicht einmal hinbekommen, zwei verschiedene Charaktere aus zwei verschiedenen Produktionen, verkörpert vom selben Darsteller, klar zu trennen, wie ergeht es dann dem Rest des Casts?

Nach all dem Warten und den Erwartungen an «Terra Nova» enttäuscht die Serie auf ganzer Linie. In allen Episoden und Geschichten. «Terra Nova» ist eine mutlose Serie mit einem teuren Preisetikett, welche nur in der Lage war, ihr vieles Geld zu verschwenden. Sollte FOX sich entscheiden, der Serie eine zweite Chance zu geben – genauso wie Taylor seine Kolonie eine zweite Chance auf Leben gibt – dann sollten auch die Produzenten ein zweites Mal über ihren von Grund auf interessant klingenden Plot nachdenken. «Terra Nova» besitzt eine Welt voller Wunder und endlosen Möglichkeiten. Und die Produzenten kommen mit konventioneller Familienware daher?



Man kann von den episodischen Storylines in der ersten Staffelhälfte halten, was man will. In erster Linie dienten sie dazu, die Serienwelt und ihre Gefahren näher zu beleuchten. Dass die ersten Episoden allerdings so generisch daherkommen, kann man durchaus Produzent Brannon Braga zuschreiben: Zu sehr fokussierte er auf den Plot der Episode, als die Charaktere zu entwickeln. Zu sehr konzentrierten die Autoren sich auf die nächste Attacke der Dinosaurier oder der Sixers, um auch einen Hauch von seriellem Storytelling anzugreifen. Es wird eine halbe Staffel benötigt, um die mathematischen Symbole und Formeln auf den Felsen der Tabuzone zu erklären, und es bräuchte schon mehr als eine komplette Staffel, um den Sinn der Sixer-Aktivitäten mit dem Komplott aus der Zukunft zu verbinden. Selbst nach dem Staffelfinale ist einfach nicht klar, ob die Sixers die erste Einheit der später auftauchenden Phoenix Group ist, oder ob Hope Plaza in der Zukunft einen größeren Plan hatte, um Taylor zu stürzen. Vor allem wenn Sixer-Führerin Mira (Christine Adams) mit Taylor über die Pläne von Hope Plaza redet, kommt den Zuschauern einfach nicht in den Sinn, inwiefern die Sixers mit in den Komplott involviert sind.

Statt die Motivation der Charaktere zu beleuchten, konzentrieren die Episoden sich lieber auf Gedächtnisverluste und notgeile Dinosauriervögel, die in Terra Nova ihren Brutplatz sehen und die Menschen deshalb attackieren. Statt frühzeitig zu theoretisieren, ob Taylor mit seinen vielen Geheimnissen und Lügen als Antagonist betrachtet werden kann, gibt es einen Kometen, der die Kolonie den Strom raubt. Statt zu zeigen, dass Terra Nova als Beginn einer neuen Zivilisation betrachtet werden kann, gibt es Technologieabhängigkeit bis zum Abwinken – bis zu dem Zeitpunkt, wenn selbst Tochter Maddy (Naomi Scott) nichts mehr mit ihrem Leben anfangen kann, als ihr futuristisches Tablet den Geist aufgibt. Die Gesetzeslage in Terra Nova wird zwar in einer Episode angesprochen, doch die Autoren machten daraus ein „Law & Order: Terra Nova“, als darauf einzugehen, wie Taylor sich in der Rolle als Richter und Henker sieht. Mal abgesehen von all den Problemen, die von den Sixers und von Hope Plaza kommen, wirkt die Kolonie, als ließe es sich sehr leicht leben – ohne Gesetze, ohne klare Linie, ohne Irgendwas.

Am Ende liefert «Terra Nova» mit Taylors Sohn Lucas (Ashley Zukerman) den wohl am schlimmsten geschriebenen Antagonisten der TV-Geschichte. Seine Motivation ist ganz besonders unverständlich: Entweder er will seinen Vater stürzen, weil dieser seine Mutter nicht retten konnte, oder er versteht, was es mit der Welt in der Vergangenheit auf sich hat und benutzt die Ressourcen, um sich mit Geld zu bereichern. Die Autoren tanzen gerne einmal hin und her, wenn es um Lucas geht, und hören auch dann nicht auf, wenn er zu comichaft als verrücktes Genie gezeichnet wird, der den Untergang von Terra Nova riskiert, nur um seinen Vater eins auszuwischen. Oder reich zu werden. Dass die Autoren Lucas und seine Gefahren auch noch viel zu ernst nehmen, ist ein weiteres Problem von «Terra Nova»: Es gibt nur eine Handvoll Szenen, welche die Serie ein wenig auflockern und Humor beisteuern. Ob es dabei Zufall ist, dass die sechsjährige Zoe (Alana Mansour) in all diesem Szenen mit involviert ist, kann jeder für sich selbst beantworten. Fakt ist allerdings, dass «Terra Nova» Ernst und Spaß jeweils an zwei verschiedenen Fronten zeigt, die innerhalb des Storytellings selten etwas miteinander zu tun haben.

Die erste Staffel von «Terra Nova» endet genauso wie der Pilotfilm. Familie Shannon blickt in den nächtlichen Himmel, die Kolonie ist restauriert, die Stimmung ist heiter. Gewissermaßen schließt sich der Kreis am Ende der Staffel, was durchaus positiv zu betrachten ist. Selbst mit der Entdeckung des Bugs eines Schiffs aus dem 19. Jahrhundert, welches suggeriert, dass Terra Nova schon vor seiner Existenz von der Menschheit besucht wurde (und die Serie plötzlich in ein mysterisches «Lost»-Gefilde gesteckt wird) kann man die erste Staffel als abgeschlossen betrachten, sollte FOX sich gegen eine Verlängerung entscheiden. Allerdings war auch schon der Pilotfilm eine katastrophale Angelegenheit in Sachen Storytelling – etwas, was das Serienfinale mit seinen Logiklöchern wiederholte. Sollte es also eine zweite Staffel geben, wäre FOX gut beraten, den Autorenstab komplett auszutauschen, und einen anderen Ansatz an die Serie auszuprobieren. Anderweitig wird «Terra Nova» auch im nächsten Jahr eine teure Angelegenheit, die sich keine Freunde machen kann.

Dieser Artikel erschien bei Quotenmeter.de erstmals im Dezember 2011, nach dem Ende der ersten Staffel in Amerika.

Kurz-URL: qmde.de/53919
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