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Ein letztes Urteil: «Richterin Barbara Salesch» endet

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Am Freitag verhandelt Barbara Salesch ihren letzten TV-Fall und beendet nach mehr als zwölf Jahren eine Ära im Nachmittags-TV. Quotenmeter.de blickt zurück: auf die Einschaltquoten und auf die Anfangsmonate, als ein gewisser Maschendrahtzaun für ersten Wirbel sorgte.

„Maschendrahtzaun in the morning, Maschendrahtzaun late at night.“ Wahrscheinlich sind es die Liedverse zu genau diesem Fall, die den meisten Fernsehzuschauern im Gedächtnis geblieben sind. Zu diesem völlig relevanzlosen Streit um einen verwucherten Drahtzaun, den Stefan Raab im November 1999 nicht mit einem minder relevanzlosen Lied brillant persiflierte. Und der frisch gestarteten Sendung «Richterin Barbara Salesch» erste Schlagzeilen einbrachte.

Solche Schlagzeilen machte das Format auch viele Monate später – dann aber nicht mehr wegen des Maschendrahtzaun-Falls, sondern aufgrund der phänomenalen Einschaltquoten. Bis dahin war es aber ein weiter Weg: Um 18 Uhr startete Sat.1 am 27. September 1999 die Richtersendung mit „echten Fällen, echten Urteilen“ – in einem Schiedsgericht verhandelte Salesch damals mehr oder minder spektakuläre Privatangelegenheiten. Die Einschaltquoten bewegten sich aber stets auf niedrigem Niveau: In der ersten Woche sahen durchschnittlich neun Prozent der werberelevanten 14- bis 49-Jährigen zu, trotz der unverhofften Raab-PR wurden es in den kommenden Monaten nicht viele mehr. Zweistellige Marktanteile waren eine Seltenheit – aber statt das Format einzustellen, entschlossen sich Sat.1 und die Produktionsfirma filmpool zu einer ungewöhnlichen Maßnahme.

Man verlegte die Sendung auf den Nachmittags-Sendeplatz um 15 Uhr, verdoppelte die Sendezeit und setzte nun auf Laienschauspieler. Die Fälle basierten nur noch lose auf echten Begebenheiten und wurden nun nach Drehbuch gespielt, dramaturgisch durchgeplant. Ab Oktober 2000 versuchte sich «Richterin Barbara Salesch» auf diese Weise am Nachmittag – und der immense Erfolg ließ nicht lange auf sich warten. Im ersten Sendemonat kam Salesch um 15 Uhr bereits auf 11 Prozent Marktanteil beim werberelevanten Publikum, einen Monat später waren es schon 13 Prozent, im Dezember 14,3 Prozent. Im Januar 2001 erreichte man im Schnitt 17,1 Prozent Marktanteil bei den 14- bis 49-Jährigen, bevor im Februar erstmals die 20-Prozent-Marke fiel. Und es ging immer so weiter: Ab Mitte des Jahres schalteten «Richterin Barbara Salesch» rund 25 Prozent des werberelevanten Nachmittagspublikums ein.

Der Rekordmonat sollte aber noch folgen: Im März 2002 hatte die Sendung durchschnittlich 32 Prozent Marktanteil – Werte, die heute selbst Dauer-Marktführer RTL mit seinen hocherfolgreichen Nachmittags-Realitys nur äußerst selten erreicht. Natürlich blieb der neue Sat.1-Quotenhit nicht ohne Folgen: Mit «Richter Alexander Hold» installierte man um 16 Uhr eine weitere erfolgreiche Courtshow, RTL programmierte zeitweise sogar gleich drei ähnliche Formate dagegen. Das Richtergenre beherrschte viele Jahre den Nachmittag und war mit seinen gespielten Fällen quasi der Vorreiter der heutigen Scripted Realitys – nur dass diese nicht mehr im Gerichtssaal spielen.

Quotenqueen Salesch konnte viele weitere Jahre mit rund 20 Prozent Marktanteil beim werberelevanten Publikum rechnen, bevor es langsam abwärts ging. Aber selbst 2009 hatte man oft noch 15 Prozent bei den jüngeren Zuschauern – zu der Zeit, als RTL seine letzte Courtshow bereits lange eingestellt hatte. Und bis heute war «Richterin Barbara Salesch» noch beim Gesamtpublikum erfolgreich, bis zu zwei Millionen Menschen schalteten täglich ein. Am Freitag ist dies nun vorbei – dann endet die längste der täglichen Nachmittags-Gerichtsshows. Teils, weil Salesch es so will, teils wohl auch aufgrund der gesunkenen Quoten beim jungen Publikum.

Mit der Sendung verschwindet jedenfalls ein TV-Original, in dem Richterin Salesch auch als Person ein echtes Original war: eine glaubwürdige, hochsympathische und charakterstarke Frau, die mit ihrer auffälligen Präsenz ihren großen Teil dazu beitrug, dass solche Sendungen erfolgreich wurden. Dies aber freilich nicht ohne Gegenwind: Selbst Kollektivkritiker Henryk M. Broder ließ sich im „Spiegel“ zu einer Reportage über das TV-Phänomen hinreißen. Und ARD-Talker Reinhold Beckmann lud 2005 zum großen Gerichtsshow-Talk, Salesch und Hold inklusive.

Für niveaulose, überdramatisierte und an den Haaren herbeigezogene Geschichten wurden Salesch und Co. auch zurecht kritisiert – harmlos wirkt dagegen die Beschreibung der letzten Episode: Am Freitag verabschiedet sich die Kult-Richterin mit einem Fall, in dem sich zwei Jugendliche wegen Mobbings bei einer Mutprobe verantworten müssen. Gedreht wurden die finalen Fälle schon Anfang des Jahres, im Anschluss an die letzte Klappe hat Barbara Salesch ihren Richtertisch mit einer Säge zerlegt – wie es sich für ein echtes Original eben gehört.

Über 2300 Folgen und 17.000 Laienschauspieler zählt man am Ende. Und eine einzige Richterin, die irgendwie nicht mehr in diese Fernsehzeit passt. „An der Altersentscheidung kommt keiner vorbei“, sagt die 61-Jährige, die in ihrer TV-Zeit stets älter als die Zielgruppe war, für die sie sendete. Was bleibt, ist nicht nur ein Maschendrahtzaun, sondern mit Barbara Salesch auch ein Charakterkopf, der – im negativen und positiven Sinne – viele Jahre wie kein zweiter für den Privatsender-Nachmittag stand. Diesen Platz wird niemand einnehmen.

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