Der deutsche Serienmarkt steckt in der Krise. Sagt man. Der US-Markt hingegen boomt. Sagt man. Ist dem wirklich so? Macht der Erfolg von Sitcoms wie «Two and a Half Men» oder Dramaserien wie «Grey‘s Anatomy» schon ein ganzes Image aus? Und darf man Flops wie «Dr. Molly und Karl», «Klinik am Alex» und «Lasko» vor große Erfolge wie «Danni Lowinski» stellen, nur um das angeschlagene deutsche Serienimage nicht zu verbessern? Eine Analyse.
Was ist das Problem des deutschen Serienmarktes? Wo liegen die Defizite in Sachen Vermarktung, Etablierung und Ansehen? Und was kann man den Machern wie auch Produzenten mit auf den Weg geben, damit diese in Zukunft vielleicht weniger Flops zu verbuchen haben?
Nach ausführlicher Bestandsaufnahme der aktuellen Lage und einem Rückblick auf deren Entwicklung, ist es nun an der Zeit für den Versuch, eine Analyse zu tätigen. Die Frage, warum deutsche Serienware in Sachen Marktanteil konsequent hinter der internationalen Konkurrenz zurück bleibt, beschäftigt die Medienwelt schon lange. Ausschließlich an der Qualität kann es nicht liegen. Immerhin zeigt beispielsweise Sat.1 seit einiger Zeit, dass man mit eindrucksvollen Storyplots und einem namhaften Ensemble durchaus Quote machen kann. Der Weg dorthin jedoch war steinig. Denn während sich mit «Der letzte Bulle» (Foto) und «Danni Lowinski» zwei Formate etablieren konnten, blieben viele andere auf dem Weg zu diesem Teilerfolg auf der Strecke. Teilweise nicht mal vollständig ausgestrahlt. Bei US-Material fällt die Bilanz weniger katastrophal aus. Kaum vorzeitige Absetzungen, viele US-Serienstrecken konnten sich im Programm Stammplätze ergattern und verhelfen sogar dem Problemsender zumindest in der Primetime zu weitestgehend ansehnlichen Quoten. Um so etwas wie eine Lösung des Image-Defizits anzustreben, ist es vonnöten, die unterschiedlichen Arten der Flops auf verschiedene Weise zu beleuchten.
Blickt man auf die 1:1-Plagiate internationaler Formate und die entsprechenden Misserfolge selbiger, so liegt die Begründung für wenig Quote klar auf der Hand: Wer das Original haben kann, der gibt sich nur selten mit einer Kopie zufrieden. Kommt hinzu, dass die mehr oder weniger gefälschten Pendants noch nicht einmal halbwegs an die Qualität der großen Vorbilder heranreichen, erscheint eine Bauchlandung rückblickend vorprogrammiert. Auch, wenn sich gewisse Storys durchaus für eine Adaption anbieten, so scheint es, als ließe sich das Publikum schon aus Prinzip nicht (mehr) auf die deutsche Fassung ein. Vor allem, wenn man sich Ausrutscher wie «Alles außer Sex», «R.I.S.» oder «Das iTeam» zurück ins Gedächtnis ruft, so wird deutlich: Schafft man es mit der deutschen Fassung nicht an den Witz, das Tempo und die Ausdrucksstärke der Originale heran und verpasst so, den Lifestyle und das Feeling der Vorbilder zu verrmitteln, so wird sich über kurz oder lang nicht der Hype einstellen, den die Vorlage einst auslöste. Und solche, die es schafften, bleiben trotz Kritikerlob und Fanbase ein Geheimtipp, wie am Beispiel «Stromberg» zu sehen ist.
Während quotentechnische Desaster von Adaptionen aus oben genannten Gründen naheliegen, ist die Ergründung für das fehlende Prestige in der deutschen Serienlandschaft schon weniger konkret auszumachen. Sie ist das Ergebnis verschiedener Faktoren. Von den von US-Traditionen abweichenden Herangehensweisen der Serienschöpfer, ein neues Format zu kreieren, über die Einbettung in aktuelle Serienslots bis hin zu solch trivialen Dingen wie der Trailergestaltung: Auf all diesen Ebenen machen die US-Serien vor, wie man sich über die Jahre ein Image aufbaut, das sich auch in für ihre Verhältnisse weniger erfolgreichen Phasen behaupten kann. Und die deutschen, wie man sich Chancen verbaut.
Es beginnt bereits bei der Entstehung. In Deutschland zeichnet sich meist ein einziger Autor für die Gestaltung einer neuen Serie verantwortlich. Somit gilt automatisch der Anspruch, die Endfassung der einzelnen Folgen und der Serie selbst sei zugleich künstlerisches Gesamtwerk des Schreibers. Doch gleichzeitig bleibt eine Überprüfung auf Massentauglichkeit, geschweige denn auf kreative Feinheiten aus. Dies bedeutet im Klartext: Entweder das Format zieht auf voller Länge, oder es scheitert an seinen, von einem einzelnen Autor, geschaffenen Eigenheiten. Während man in den USA auf ein mehrköpfiges Autorenteam setzt, das sich anhand ihrer Stärken und Schwächen optimal ergänzen kann, ist man in Deutschland auf den Serienschöpfer als eierlegende Wollmilchsau angewiesen.
Vielfältige Charakterzeichnung, der Entwurf eines eindrucksvollen Plots, oder auch die Banalität des Dialogentwurfs: Beherrscht ein Autor nicht sämtliche Stationen der Serienentwicklung zu gleichen Anteilen, so mag sich final vielleicht ein Gesamtkunstwerk des Verfassers ergeben, doch eine Garantie für qualitativ hochwertiges Fernsehen ist das noch lange nicht. Doch so erstklassig auch die von einem Autorenteam geschaffenen Serien sind, so sind es auch die Preise, die ein solches verschlingt, was uns zu der Ergründung führt, weswegen man hierzulande meist auf einen alleinigen Serienschöpfer baut. Einfach ausgedrückt ist die Verpflichtung eines Einzelnen billiger als die mehrerer. Da der Erfolg einer Serie – vor allem bei Neustarts – vorab jedoch nicht abzusehen ist, sind zum einen die Anforderungen an die einzufahrende Quote höher, gleichzeitig fällt ein Misserfolg damit umso stärker ins Gewicht. Ein Risiko sondergleichen, denn einmal einen Flop gelandet, zieht dieser zumeist weitere Kreise als gedacht. So hat oftmals nicht nur die Serie selbst mit der Ignoranz der Zuschauer zu kämpfen. Auch Autorenteam, Studio und Sender erhalten einen ordentlichen Image-Knacks. Doch meistens – und darauf kommt es an – müssen sich die Macher nicht mit dieser Thematik auseinandersetzen. Denn US-Ware zieht.
Somit scheinen mit dem fehlenden Mut und dem einhergehend fehlenden Budget in Deutschland zwei Faktoren für das miese deutsche Serienimage gefunden. Würde man die Entschlossenheit beweisen und für ein neues Serienprojekt auf US-Traditionen zurückgreifen, könnte sich diese in Form einer hochwertigen Serie auszahlen. Als Beispiel für ein Format, das anteilig in Deutschland und nach US-Vorbild hergestellt wurde, erwies sich die ZDF-Co-Produktion «Borgia» als derart erfolgreich, dass für Anfang 2013 die Ausstrahlung einer zweiten Staffel angekündigt wurde. Getreu dem Motto, „Wer nicht wagt, der nicht gewinnt!“, wagte es das Zweite Deutsche Fernsehen das Experiment, zusammen mit dem ORF, Canal+ und weiteren europäischen Sendern, eine Kooperation einzugehen – und gewann. Sowohl Quote als auch die Titelseiten der hiesigen Boulevardblätter. Denn auch in puncto Vermarktung entschied man sich dafür, der historischen Mischung aus Sex und Gewalt mehr zuzugestehen als bloße Werbetrailer. Womit wir bei einem weiteren Faktor wären, der hierzulande viel zu oft im Argen liegt: die Vermarktung.
In den USA sind die Upfronts zu jeder neuen TV-Saison ein heiß ersehntes Fest für TV-Freunde und Medieninsider. Derart groß aufgezogen wird in Deutschland allenfalls der Wechsel von Show-Titan Thomas Gottschalk zum Privatsender RTL. Neuen Serien wird jedoch nur selten eine derartige Aufmerksamkeit geschenkt. Doch einmal über den großen Teich geflogen, offenbaren sich einem Marketingstrategien, die auf hiesige Formate bezogen größtenteils lächerlich wirken würden. Eine Maschinerie, die zu gleichen Anteilen aus PR-Aktionen in Form von Plakaten, eigens produzierten Reportagen und TV-Spots besteht. Horrende Massen an Merchandising, die den Serien vor, während und nach der Ausstrahlung zu ihrem Hype verhelfen oder dabei, in den Köpfen der Serien-Konsumenten zu bestehen. Und nicht zu vergessen die Verpflichtung von Weltstars, die sich die Produktionsstudios gut und gern einiges kosten lassen. Auch diese verhelfen der Serie – oftmals beiläufig – zu einem höheren Bekanntheitsgrad, denn nur selten wird in den Trailern explizit ein Star beworben.
Alles was neuen Formaten in Deutschland vergönnt ist, sind Werbetrailer. Selten eine größere Werbekampagne. So wird es schwer, die Massen auf Serien wie «Klinik am Alex» oder «Dr. Molly und Karl» aufmerksam zu machen. Es bekommt schlichtweg keiner mit. Wenn nun noch nicht einmal bekannte Gesichter für die Serie gewonnen werden konnten, ist es schwierig, einen ansprechenden Einschaltgrund zu finden und der Aspekt der falschen Vermarktung ist als ein weiterer Flop-Faktor gefunden.
Doch was lässt sich nun nach vielfältiger Beleuchtung dieses Themas – das in seiner Komplexität unmöglich in einem vierteiligen Special gänzlich aufgearbeitet werden kann – für ein Fazit ziehen? Weiterhin haben Serienschöpfer aus den USA und Großbritannien die Nase vorn, was die Vielfältigkeit, das Image und die Relevanz von Serienformaten in Deutschland angeht. Auch in Zukunft wird es wahrscheinlich anteilig mehr US-Serienslots geben, denn deutsche Serienabende. Dennoch gibt es Vorbilder, die zeigen, dass man auch hierzulande einiges richtig machen kann. «Stromberg» zeigte, dass man in Sachen Merchandising und Selbst-Vermarktung von TV-Stars viel Fingerspitzengefühl bewiesen hat. In «Der letzte Bulle» traute man sich mit Henning Baum, eine ganz eigenständige Geschichte zu entwickeln, die nirgends abgekupfert scheint und hochwertig produziert dennoch mehr und mehr Fans für sich gewinnen kann.
Die mittlerweile beendete Dramedy «Doctor’s Diary» stammte vom erfolgreichen Autor Bora Dagtekin, der es in diesem Jahr sogar mit seiner Filmversion von «Türkisch für Anfänger» ins Kino schaffte. Spritzige Dialoge, bekannte Gesichter und große Werbeaktionen zeigten ihre Wirkung und verhalfen RTL zu einem erfolgreichen Serienmittwoch. Sogar ins Ausland schaffte es ein deutsches Serienformat bereits: Ende 2011 wurde das Sendekonzept von «Danni Lowinski» in die USA verkauft.
Vielleicht stehen der deutschen Serie ja so doch noch rosige Zeiten bevor – denn so ganz hat sie ihr negatives Image nicht verdient.
Lesen Sie auch die ersten drei Teile des Serien-Specials:
Image ist alles! Wie steht es um deutsche Serien?
US-Serien sind kein Allheilmittel
Die deutsche Serie ist wieder da – oder doch nicht?