„Willkommen auf Spielebene zwei. Um die dritte Spielebene zu erreichen, musst du dich durch Spielebene zwei durchkämpfen.“ – So dünn können die für die „Handlung“ relevanten Dialogzeilen mancher Videospiele sein. Die Story von «Resident Evil: Retribution» ist nicht unweit von diesem „Szenerie betreten – Kämpfen – Kommentarlos neue Szenerie betreten“-Schema entfernt. Und würde Regisseur Paul W. S. Anderson das Optimum aus seiner fünften Zombie-Metzel-Action rausholen, so hätte er «Resident Evil: Retribution» völlig auf dieses Niveau heruntergestutzt. Stattdessen hangelt er sich zwischen den Kampfhighlights dieses ungewöhnlichen Ideenmischmaschs von Pseudoinhalt zu Pseudoinhalt. Während manchen Actionfilmen mehr Inhalt gut tun würde, ist «Resident Evil: Retribution» die Ausnahme von dieser Regel. „Noch weniger ist mehr“, hätte die Devise lauten müssen.
Noch während die Studiologos eingeblendet werden, ertönen schon die ersten Schüsse. Es folgt eine Sequenz, in der sich Actionregisseur Paul W. S. Anderson in der prachtvollen Ästhetik der zügellosen Zerstörung sonnt. Rückwärts und in Superzeitlupe zeigt er eine Massenschießerei auf einem Frachtschiff. Mittendrin: Seine Ehefrau Milla Jovovich in der Rolle der in hautenges Leder gehüllten Zombiekillerin Alice. Die Minuten vergehen, die erstaunlichen 3D-Effekte werden ausgiebig vom Publikum begutachtet, und dann entschließt sich der Regisseur, die Ballerei erneut zu zeigen. Nun in normalem Tempo und vorwärts. Ein Sinn wohnt diesem inszenatorischen Spiel nicht inne. Aber es sieht cool aus. Und streckt den Film auf nahezu zwei Stunden.
Szenenwechsel. Ein sonniger Morgen in einer US-amerikanischen Vorstadt. Alice wacht mit rotblondem Haar in ihrem kuscheligen Bett auf, macht für Mann und Kind Frühstück und wird plötzlich hilflose Zeugin einer Zombieattacke. Ein derart klassisches Szenario gab es in der «Resident Evil»-Filmreihe zuvor nicht zu sehen. Szenenwechsel: Alice wacht nahezu nackt und frierend auf dem sterilen, gleißendem Boden einer futuristischen Zelle auf, wird von schrillen Geräuschen gequält, die ihre Überwacherin einspielt. Irgendwie muss sie aus diesem Raum fliehen, doch wie?
Dies sind nur die ersten drei Sequenzen, beziehungsweise vier, wenn man den Frachter zweimal zählen mag, die der für stylische Kampfchoreographien stehende, erzählerisch nie sonderlich behände agierende Regisseur, Autor und Produzent auf sein Publikum loslässt. Im weiteren Verlauf folgen unter anderem Messerkämpfe und eine wilde Verfolgungsjagd durch das nächtliche Moskau. Statt sich wie beim von ihm geschriebenen, nicht aber inszenierten, postapokalyptischen Pseudowestern «Resident Evil: Extinction» einen Stil herauszupicken, der den gesamten Film prägt, rennt Anderson dieses Mal einem hyperaktiven Kind gleich durch den Action- und Zombiefilm-Süßwarenladen und nascht von jeder Köstlichkeit ein klein wenig.
Dass Anderson sich partout nicht festlegen will, welche Kampfkunst, welches Setting und welchen visuellen Stil er in die DNA seines Films eincodieren möchte, ist keineswegs ein Schwachpunkt. Die «Resident Evil»-Filme standen noch nie für anspruchsvolle Unterhaltung und genauso wenig für eine konsistente Behandlung ihres Konzepts. Sie legten zwar auch niemals derart großen Wert auf stilistische Abwechslung wie «Mission: Impossible», dennoch gehört eben diese Variation zur Identität dieses Kinofranchises. Dass beim nunmehr fünften Teil nicht weiter auf eine klare Gangrichtung bestanden wird, sondern der Überraschungseffekt den nach stylischen Kampfszenen suchenden Kinogänger überzeugen soll, ist da für sich genommen recht erfrischend. Zudem rückt die Videospielverfilmung so ein Stück näher an die Gamingwelt, wo auf das verregnete Großstadtlevel durchaus ganz abrupt das Eiswüstenlevel folgen kann, in welchem nicht etwa Feuerwaffen, sondern Nahkampffertigkeiten zum Sieg führen.
Hinzu kommt, dass «Resident Evil: Retribution» nach den drei radikalen Wechseln zu völlig neuen Szenarien mit seiner Alibibegründung für seine videospielartige Aneinanderreihung von Schauplätzen herausrückt: Alice befindet sich in der Zentrale der Umbrella Corporation, wo ihre einstige Freundin Jill Valentine (Sienna Guillory), deren Armee und der Supercomputer Red Queen in zahlreichen Simulationskammern Waffen- sowie Systemtestes durchführen. Der Weg zur Freiheit führt Alice und ihre Mitstreiter, darunter Spionin Ada Wong (Bingbing Li), einmal quer durch die mit so variantenreichen Monstern und Schauplätzen gespickte Zentrale. So weit, so flach, so vorzüglich für die Zwecke des Films konstruiert. So gut!
Selbstverständlich ließe sich ein klügerer, witzigerer oder aufregenderer Film entwerfen, beschränke man sich auf eines der vielen Versatzstücke von «Resident Evil: Retribution» und würde es voll auskosten. Denkbar wären ein in futuristischer Kälte gehaltener Film über Isolation, ein intelligentes Verwirrspiel über Identitäten, ein gesellschaftskritischer Zombiefilm oder eine vorlagengetreue «Resident Evil»-Adaption. Abgesehen von Letzterem gibt es all diese Werke allerdings bereits, und wer ehrlich zu sich selbst ist, möchte diese Ideen auch lieber in den Händen von Filmemachern sehen, die sich für solche Konzepte begeistern, statt sie jemandem zu überlassen, dessen Stärke es ist, seine Ehefrau stylisch in rasanten Actionszenen abzufilmen. Paul W. S. Anderson ist es an visuell faszinierender, hohldoofer Action gelegen. Und daran ist nichts auszusetzen. Jedoch besteht auch innerhalb dieser filmischen Gattung ein Unterschied zwischen befriedigendem Mittelmaß und Genregrößen.
«Resident Evil: Retribution» könnte sich voll auf seine Stärken konzentrieren und den Kinogängern einen außerordentlich schnellen Kick geben, die Reizüberflutung voll aufdrehen und mit seiner Abwechslung bestechen. Doch so mutig, den Pseudoplot völlig runterzudrehen, ist Paul W. S. Anderson nicht. Stattdessen bremst er den Thrillride des ersten Filmparts mit einer ellenlangen Exposition aus, die in jeglicher Hinsicht verzichtbar ist. Und so zieht es sich durch alle Handlungsmomente: Die Dialoge sind platt bis ärgerlich, die Darsteller geben in „ernsten“ Szenen nur ihr Nötigstes und dass der so fadenscheinige, selbsterklärende Plot doppelt und dreifach erläutert wird, grenzt fast an Publikumsbeleidigung. Dass sich dazu auch noch zahlreiche Inkonsistenzen in der äußerst dünnen Charakterzeichung ergeben, ist regelrecht lächerlich.
Mit seinem Minimum an Story und Figurentiefe ist «Resident Evil: Retribution» ohnehin von Beginn an ein sehr schwach gespannter Spannungsbogen beschert. Aber durch die Variation an Kampfstilen und die flotte Inszenierung sowie dank der abwechslungsreichen Optik könnte «Resident Evil: Retribution» als kunterbunter Thrillride restlos begeistern. Da der hirnlose Spaß zu oft durch mäßig umgesetzten Inhalt ausgebremst wird, bleibt aber nur das ewig gleiche Fazit: Wer die Vorgänger mag, wird auch «Resident Evil: Retribution» unterhaltsam finden. Die Schauwerte sind ausreichend vorhanden und im Gegensatz zu den Vorgängern kommt Teil fünf der Reihe sogar als kleine Wundertüte daher. Bloß befindet sich zwischen den sinnlos-spaßigen Spielsachen auch die eine oder andere Durststrecke.