Das, was die ganze Nacht über bemerkbar war, zeigte sich im Ersten schon in den ersten zehn Minuten. Die Verantwortlichen der ARD hatten sich offensichtlich nicht nur die Übertragung des Zweiten angeschaut, sondern sich auch von großen Sport- oder Polit-Events im amerikanischen TV inspirieren lassen. Auffallend war zu Beginn schon das extrem hohe Tempo, das die Präsentatoren Jörg Schönenborn und Matthias Opdenhövel anschlugen. Mit schnellen Kameraschwenks wurden die unterschiedlichen Moderationspositionen im Berliner E-Werk vorgestellt, wo Das Erste in der Nacht auf Mittwoch die Zelte aufgeschlagen hatte. Schönenborn war vor einem großen Touchscreen positioniert, ein paar Meter weiter hatte Sandra Maischberger ihre Talkecke. Opdenhövel war überall – zudem präsentierte die ARD via Split-Screen-Verfahren ihre gleich sechs Korrespondenten, die direkt aus den USA berichteten.
Natürlich: Das breite Netz an Reportern kommt der ARD in einer solchen Wahlnacht extrem zu Gute – nur müssen sie auch richtig eingesetzt werden. Da lief in diesem Jahr einiges richtig. Zunächst widmete man sich im Ersten nämlich den wichtigen Swing States – also den Staaten, die keiner der beiden Parteien fest zuzuordnen sind. Während im ZDF also Markus Lanz bis kurz vor Mitternacht talkte, hatte Das Erste die große Runde durch die USA schon gemacht.
Inhaltlich und qualitativ ging der Punkt bei den Schalten aber doch an das Zweite – und das lag zu fast ausschließlich an einem Mann: «heute-journal»-Moderator Claus Kleber, der sich aus Washington mit seinen Einschätzungen meldete und die komplette Nacht über mit seinen Einschätzungen glänzte – in einer Schalte übrigens die ganze Zeit über einen Hund eines Romney-Wählers streichelnd. Dafür lag Das Erste bei den eingeschobenen Talkrunden vorne. Ohne Frage: Die Passagen mit Markus Lanz/Bettina Schausten im ZDF und Sandra Maischberger im Ersten nahmen den Sondersendungen stets gewaltig Tempo. Gleiches galt auch für die musikalischen Auftritte von Bands bei den Öffentlich-Rechtlichen, die eher ein Abschaltimpuls waren, auch wenn die Stationen bemüht waren, amerikanisches Flair auch hier nicht vermissen zu lassen. Genau diese Elemente aber waren andererseits kaum vermeidbar. Beide Sender berichteten in der Nacht acht Stunden am Stück live. Wer über eine derartige Strecke geht, braucht diese ruhigeren und langsameren Momente, um dann später wieder auf’s Gas drücken zu können. Maischberger, die 2008 durchaus Kritik erntete, machte in dieser Nacht nun eine deutlich bessere Figur.
Was allen Sendern, die in dieser Nacht übertrugen, gut gelang, war die grundsätzliche Erklärung des US-Wahlsystems – mitsamt der Tatsache, das es gleich zahlreiche Staaten gibt, in denen die Wahl schon vor der Wahl entschieden ist, Texas zum Beispiel. Das ZDF erklärte die Aufteilung anhand eines Grillsteaks, andere Sender mit Hilfe einer normalen Landkarte. Das Wort „Swing States“ dürfte demnach allen nächtlichen Zuschauern bestens vertraut sein. Die wohl größte US-Karte hatte in der Nacht übrigens das ZDF zu bieten – hier wurde wie allgemein bei der Studiodeko geklotzt statt gekleckert. Schier überdimensional erschien die Videowaal, die einer der Hingucker im Alten Telegrafenamt in Berlin war. In Sachen Zahlen war sowieso das Zweite die beste Wahl, was nicht zuletzt an Christian Sievers lag. Er präsentierte die Ergebnisse schon 2008 und wurde von Chefredakteur Frey nun zurück nach Deutschland geholt.
Ein weiterer Gewinner des Abends war Matthias Opdenhövel, der abseits der «Sportschau» bisher eher glücklose ARD-Newcomer, dem es gelang die ARD-Übertragung aufzulockern – etwas, das Jörg Schönenborn so rein gar nicht gelingen wollte. Opdenhövel störte sich auch nicht daran, wenn mitten während einer Anmoderation eines Beitrags plötzlich das Licht ausgeht. Opdenhövel setzte Signale – man könnte fast sagen, er brachte etwas den Charme seiner früheren «Schlag den Raab»-Moderationen ins E-Werk, mit unter auch dann, wenn er einen ehemaligen Nachbarn von Barack Obama fragt, wer in dessen Familie eigentlich den Müll vor die Tür bringt.
Die großen Gäste waren in beiden Programmen zu sehen, beispielsweise US-Botschafter Philip D. Murphy, der gegen Mitternacht einen sympathischen Auftritt im Ersten ablieferte und gut eine halbe Stunde später Bettina Schausten im ZDF Rede und Antwort stand. Es war so, wie es die Programmmacher schon vorher sagten: Die A-Prominenz der Politszene hetzte am frühen Mittwoch von Wahlparty zu Wahlparty.
Die Privaten: Alternative oder Light-Version?
RTL, das sich mit n-tv zusammengeschlossen hat, sendete ab ein Uhr nachts zum einen aus einem realen Sonderstudio im Kölner Sendezentrum, während der Nachrichtensender N24 im Alleingang aus seinem Newsroom in Berlin auf Sendung ging. RTL schaltete regelmäßig aber auch zu seiner US-Wahlparty, die man gemeinsam mit den Kollegen von CNN in der Bundeshauptstadt veranstaltete. Die Ergebniszentrale, aus der Peter Kloeppel und Christoph Teuner berichteten, erinnerte von der Struktur her leicht an das Studio von Sky Sport News HD: In beiden agierten die Hosts in aller Regel vor einer großen Scheibe, die einen Blick auf ein Foyer im Sendegebäude freigab. Seitlich davon gelegen ein großer Monitor, an dem sich Grafiken präsentieren lassen. Der Kölner Sender setzte dabei erwartet stark auf News-Institution Peter Kloeppel: Die Steady-Cam rückte ihm bei seinen Analysen an der Ergebniswand teilweise (zu) nah auf die Pelle – die Verantwortlichen wollten so wohl nähe und Vertrautheit symbolisieren. Möglicherweise ist eine so mobile Einheit in deutschen Nachrichtenstudios für den Betrachter aber einfach noch recht ungewohnt.
Anders der Berliner Mitbewerber: N24 begrüßte unter anderem den immer gern gesehen Dieter Kronzucker, der bis Mitternacht schon Teil von Maischbergers Talkrunde im Ersten war. Geboten wurde dort eine recht klassische Nachrichtensendung, mit unter recht talklastig. Eben wegen Kronzucker und stetiger Schalten direkt nach Washington zu Sat.1/N24-Urgestein Stephan Strothe wirkte sich dieser vielleicht zunächst als Nachteil erscheinende Fakt aber keineswegs negativ aus.
Vollmundig hatte Servus TV seine Wahlsondersendung angekündigt. Der Kanal, der zuletzt in Deutschland größere Bekanntheit durch den Eishockey-Deal und den Weltall-Sprung erreichte, berichtete am Mittwoch fast neun Stunden lang und bezeichnete sein «Servus Journal Spezial» als „echte Alternative zu den gewohnten Expertenrunden“. Der österreichische Privatsender, von dem zweifelsohne kaum jemand eine derartige Live-Berichterstattung erwartet hätte, punktete gerade bei Schalten nach Amerika. Von dort meldete sich Hans-Martin Paar mit mitunter sehr interessanten Einblicken. Letztlich wurden die Schalten die ganze Nacht betrachtet aber zu selten eingesetzt. Paar jedenfalls empfahl sich in diesem Zusammenhang durchaus für weitere und größere Aufgaben. Das kann von der Studiomoderatorin Katrin Prähauser nicht unbedingt behauptet werden. Gemeinsam mit Studiogast Klaus Scherer, Buchautor und Ex-ARD-Journalist, präsentierte sie Einschätzungen und Wahlergebnisse. Prähauser stolperte sich aber vor allem bei den Präsentationen der Stimmverteilung von einem Staat zum nächsten. Die grafische Aufbereitung fiel wie von Servus TV gewohnt recht sachlich aus.
In der Tat unterschied sich die Servus TV-Berichterstattung auch sonst durchaus deutlich von den sonst üblichen sehr lebendigen und teilweise aufgeregten Angeboten der deutschen Sender, da sie mit wesentlich weniger Tempo von Statten ging. Eine wirkliche Alternative war Servus TV aber schon deshalb nicht, weil die Live-Berichte durch Dokumentationen zum Thema US-Politik unterbrochen wurden. Das mag daran liegen, dass Servus TV noch zu wenig Reglevanz besitzt, als dass sich eine durchgehende Studiosendung wirklich gelohnt hätte. Insofern sind allein schon die ersten Gehversuche löblich – auch wenn mehr Luft nach oben als nach unten besteht.
Twitter-Wahn in der US-Nacht
Durch die Bank weg setzten die Sender auf die Integration der Zuschauer, mit Vorliebe über den Blogging-Dienst Twitter. Daraus ein echtes Meinungsbild der Bundesbürger in dieser Nacht zu finden, war nicht immer möglich. Vielmehr offenbarte sich Twitter gerne als Stolperstein, nicht zuletzt weil die für den Dienst eingeteilten Redakteure und Moderatoren in bekannter Manier nicht gerade den sichersten Eindruck machten. Die ARD ließ sich via Skype auch nach Ohio verbinden. Ohne Frage wird es für alle Sender in den kommenden Monaten enorm wichtig sein, soziale Netzwerke ins TV-Programm zu integrieren. Da bietet sich die großflächige Sendefläche einer solchen Nacht durchaus als Spielwiese an – genau deshalb aber wirkten die Twitter-Elemente gerne recht bemüht. Kleines Highlight des Abends: Ein Foto-Tweet mit einer sehr spärlich bekleideten Frau, die es während eines Talks mit Bruce Darnell im ZDF auf die große Twitter-Wall schaffte.
Wirklich problematisch wurde Twitter immer dann, wenn selbst die Redakteure (wie im Falle von N24) nicht wissen, ob Tweets nun wirkliche Fakten oder eher Fake-Bilder zeigen. Dem Zuschauer bringt so etwas keinen Mehrwert - deshalb: Nicht verifiziertes Material bitte weglassen.
Twitter im Fernsehen sorgte also für begrenzten Spaß – das Fernsehen bei Twitter aber umso mehr. Hier fielen besonders ARD und ZDF positiv auf: Claus Kleber twitterte um kurz vor eins ein Bild von sich aus Washington (ohne Krawatte!), die ARD-Korrespondenten in Washington bereiteten dort nochmals wichtige Fakten auf. Nicht, dass diese On Air schon genügend durchgekaut wurden – für das Online-only-Publikum aber ein guter Service.
Fazit: Im Duell der beiden öffentlich-rechtlichten Sender hatte in der Wahlnacht Das Erste die Nase vorn. Die ARD punktete dank Opdenhövel und dem etwas ruhigeren Studio, das auf eine Backsteinoptik, gehalten in blau und pink, setzte. Das ZDF musste vor allem in den zu lang wirkenden Talkschienen hinten an stehen und hatte im Vergleich zum Ersten auch das schlechtere Personal. RTL und N24 waren hingegen etwas dichter dran am Geschehen, was im Verlaufe der Nacht aber auch zu Wiederholungen von Inhalten und Informationen führte. Das aber könnte vielleicht sogar gewollt sein: Die wirklich Interessierten dürften sich eher für ARD oder ZDF entscheiden, während das Privatfernsehen wohl stärker auf die Zapper setzte. Wesentlicher Unterschied der Programme: RTL/n-tv setzte teilweise auf Einspieler, während N24 am Newsdesk talkte und häufig mit Splitscreens arbeitete.
Je nachdem, worauf der Zuschauer also Wert legte, wird ihm das Angebot der gebührenfinanzierten Stationen oder der werbefinanzierten besser gefallen haben. Im Bereich des Privatfernsehens muss attestiert werden, dass RTL letztlich doch die Nase knapp vorn hatte, auch wenn die Kloeppel-Berichterstattung vor allem in der ersten Hälfte der Nacht bei der Bekanntgabe der Punkte gerne mal einige Minuten hinterherhinkte. Trotzdem geht der Punkt an die Kölner: Das zeitweise Hinterherhinken machte RTL dadurch wett, dass man immer wieder auch auf Zwischenergebnisse aus den so genannten „Swing States“ blickte, die noch „too close to call“ waren. N24s Stephan Strothe streute in seine Schalten immer wieder aktuelle Trends aus den Polls der US-Networks ein. Im Duell Tatjana Ohm (N24) gegen Peter Kloeppel (RTL) gab es einen klaren Sieger: Kloeppel war es, der auch in dieser Nacht wieder mit seiner unglaublichen Routine und Ausstrahlung überzeugte. Wer also wenig Lust auf die quirligen Wahlpartys der Öffis hatte, dürfte sich im ruhigen RTL-Sonderstudio äußerst wohl gefühlt haben. In diesem Falle zahlt es sich also einmal mehr aus, dass sich die RTL-Gruppe Nachrichten noch etwas kosten lässt.