Herr Ewald, 2013 will die ARD über Ihre Talkshows beraten. Es ist dabei nicht ganz ausgeschlossen, dass man die Anzahl von fünf wöchentlichen Abendformaten auf vier reduziert. Wie sieht Ihre ganz persönliche Meinung aus: Sind fünf zu viel?
Kurz und knapp: Ja.
Sie arbeiten viel mit Politikern und Parteien zusammen. Sehen diese das genauso oder kann es für Parteien gar nicht genügend Plattformen geben über die Sie ihre Anschauungen verbreiten können?
Die Parteien, also die Strukturen hinter den Inhalten, müssen ganz schön rödeln, damit sie die Leute haben, die letztlich die entsprechenden Themen in den Talkshows auch besetzen. Es gibt aber auch Politiker wie Herrn Oppermann von der SPD, die sehr gerne und sehr oft in solchen Talkshows sitzen – so eine Art Talkshow-Touristen.
Täuscht der Eindruck: Ich habe das Gefühl, dass es heute vielleicht zwei Hände voll wirklich guter Politiker gibt, die in solchen Sendungen eine tolle Figur machen. Früher, also vor zehn Jahren, waren das doch mehr…
Ich glaube, der Eindruck täuscht. Es waren früher auch nicht mehr. Heute aber versuchen die Parteien zumindest ihre Leute auf die Auftritte vorzubereiten – sie werden ein bisschen ausgebildet und dem Thema entsprechend gebrieft. Gerade vor und nach Landtagswahlen ist es obendrein ein Ziel der Parteien auch die entsprechenden Spitzenkandidaten bundesweit unterzubringen.
Die ARD sagt immer, jede der fünf Talkshows habe so Ihre eigene Ausrichtung. Können Sie wirklich größere Unterschiede zwischen den Formaten erkennen?
Ja, die gibt es schon. Günther Jauch beispielsweise hat eine ganz eigene Art zu fragen: Er nimmt die Rolle des Bürgers ein und übersetzt dann die Antworten der Gäste. Seine Sendung wird viel durch ihn und sein jungenhaftes Charisma getragen. «Beckmann» hat eine eher biografische Ausrichtung. Frank Plasberg macht heute noch das Format, mit dem er im WDR groß geworden ist – auch wenn es kleine Änderungen gab. Die Sendungen von Anne Will und Sandra Maischberger sind sich da noch am Ähnlichsten.
Welcher ARD-Talk ist für Sie unverzichtbar? Wer sollte sofort runter von einer eventuellen Streichliste?
Ich denke es gibt nie eine Sendung, die absolut unverzichtbar ist. Aber es gibt zum Beispiel Frank Plasbergs «Hart aber fair», das von der Anlage und der Struktur her wirklich sehr gut ist. Ich mag die Art, wie Frank Plasberg Fragen stellt. Die Sendung «Günther Jauch» dürfte sakrosankt sein. Er war der große Neuzugang, diese Entscheidung wird die ARD nun nicht rückgängig machen. Er ist für mich an der Stelle unantastbar.
Weil Sie gerade eben Frank Plasberg gelobt haben. Ist seine Sendung noch so gut wie früher? Oder anders gefragt: Mögen Sie «Hart aber fair» auch, wenn über Baumärkte diskutiert wird?
Mir persönlich ist es natürlich lieber, wenn politische Themen behandelt werden. Ich kann mir vorstellen, dass er auch mal ganz andere Themen sehr kontrovers diskutieren wollte. Das ist vielleicht auch eine gewisse Anpassung an die Sendung von Markus Lanz im Zweiten. Für mich ist seine Sendung heute näher an der Lebenswirklichkeit der Menschen.
Sollte es wirklich zu einer Streichung einer Sendung kommen, welche würde bei Ihnen hinten über fallen?
Fragen Sie mich als Zuschauer oder wollen Sie wissen, wie ich als Intendant handeln würde?
Ich nehme den Intendanten Marcus Ewald.
Es gibt in der ARD Talks vom NDR, nämlich «Anne Will», «Günther Jauch» und «Beckmann». Dann gibt es zwei Sendungen vom WDR, «Menschen bei Maischberger» und «Hart aber fair». Wie schon gesagt, dürften Plasberg und Jauch unantastbar sein. Bleiben also Maischberger, Will und Beckmann. Als Intendant würde ich die NDR-Sendung «Beckmann» beenden und könnte mir auch vorstellen, dass Maischberger vom WDR nicht fortgesetzt wird. Im Gegenzug würde ich eine Talkshow vom SWR ins Erste holen – der SWR ist hier noch unterrepräsentiert.Dort laufen tolle Formate, «2+Leif» oder das «Nachtcafe», das regelmäßig mehr als eine Million Zuschauer hat. Als ARD-Politiker, und das ist der Intendant letztlich, muss man also abwägen: Wie erhalte ich die Vielfalt im Programm und bringe zugleich aber auch alle ARD-Anstalten unter einen Hut?
Ein spannender Ansatz: Wie sehen Sie «Günther Jauch» zur Zeit? Manche äußern Kritik, weil er in seiner Sendung schon einige Elemente von «stern TV» mit einbringt.
Persönlich hatte ich mir von ihm noch ein bisschen mehr erwartet – vor allem was kritische Fragen angeht. Er schwankt zwischen Polittalk und biederem Entertainment – und ich glaube, dass er seine Rolle noch nicht ganz gefunden hat. Er wird sich aber in diesem Jahr noch einpendeln, da bin ich mir sicher. Ich glaube, dass ein Polittalk 2013 nicht mehr das reine Abgleichen von Fakten sein kann – es muss mehr menscheln, man braucht Emotionen. Insofern ist Jauch wohl auf dem richtigen Weg.
Wie bewerten Sie «Menschen bei Maischberger»?
Sandra Maischberger ist eine sehr gute Journalistin – sie macht die zweitälteste ARD-Talkshow nach «Beckmann», ist nun seit mehr als zehn Jahren mit dem Format on Air. Ihre Talkshow hat ein Stammpublikum etabliert – und hält deshalb wohl auch an Gewohntem fest. Ich kann mir auch deshalb gut vorstellen, dass Sandra Maischberger nach über zehn Jahren etwas anderes machen möchte.
«Anne Will» ist im Zuge der Jauch-Verpflichtung auf den Mittwoch gewechselt. Dort hat sie zunächst versucht, ihre Talkgäste Stück für Stück auf die Bühne zu holen. Inzwischen sitzen wieder alle von Anfang an da. Ist die Sendung besser als früher am Sonntag?
Ich möchte da ungern einen Vergleich anstellen, dafür habe ich mich auch zu wenig mit «Anne Will» früher und heute auseinander gesetzt. Die Sendung hat nun einen Vorteil: Sie hat nicht mehr die «Tatort»-Zuschauer im Vorfeld. Deshalb schauen insgesamt zwar weniger zu, aber man kann inhaltlich auch mehr verändern, ohne, dass es einen Aufschrei in der Öffentlichkeit gibt. Ich glaube, dass sie aktuell eine ganz gute, neue Balance gefunden hat.
Die schwächsten Quoten der ARD-Talk-Riege hat Reinhold Beckmann, der zugegeben, gegen die starke Konkurrenz aus «Maybritt Illner» und «Markus Lanz» läuft.
Ich glaube, dass Reinhold Beckmann inzwischen ein Motivationsproblem hat. Er macht weiterhin einen professionellen Job, ohne Frage. Seine Sendung ist immer etwas gefühlvoller, mit menschlichem Anreiz. Also ein sanfter Talk mit biografischem Hintergrund. Mir würde es gefallen, wenn er entweder wieder politisch relevanter werden würde oder nochmal in Richtung der Kuschel-Talkshow geht. Aktuell sehe ich ihn da noch so mittendrin.
Wenn wir mal über den Tellerrand der ARD hinausblicken und auch andere Polit-Talksendungen mit betrachten: Wer ist allgemein Deutschlands Nummer 1?
Sehr schwere Frage. Ich beziehe meine Informationen immer aus verschiedenen Formaten, auch aus Zeitungen, dem Internet, internationalen Talkshows. In Deutschland halte ich die Talkshow von Frank Plasberg aber für die Relevanteste. Ich habe in der Vorwoche gesehen, wie er Herrn Kubicki von der FDP direkt zu Beginn der Sendung recht aggressiv angegangen ist – und ihn auf einen Standpunkt festnageln wollte. Das sieht man in solchen Sendungen inzwischen viel zu selten.
Michel Friedman macht das. Wie finden Sie ihn?
Friedman geht in der Tat hart zur Sache, was mir gefällt. Allerdings gibt es bei ihm viele Zweiergespräche. Er versucht in seiner Sendung nicht die Gäste gegeneinander in Stellung zu bringen. Es ist für mich immer eine große Freude ihm rhetorisch zu folgen – da ist er wirklich erstklassig. Er nimmt sich, auch wenn er Gast in anderen Sendungen ist, aber immer selbst zu wichtig. In jeder Sendung, die sie mit ihm sehen, ist Friedman immer der wichtigste Akteur. Als Zuschauer eines Polit-Talks gefällt es mir natürlich, wenn Politiker nervös werden, zu schwitzen beginnen, sich vor Aufregung ans Ohrläppchen fassen… Aber eine Sendung sollte auch informativ sein. Friedman piekst sehr schön in Widersprüche, er konstruiert auch Widersprüche. Letztlich aber fehlt es immer an wirklich neuen Informationen. Deshalb glaube ich auch nicht, dass er noch einmal eine große bundesweite Talkshow bekommen wird.
Vielen Dank für Ihre Einschätzungen.
Mehr zu Marcus Ewald auf seiner Homepage.