Die Kritiker

«Niemand hat die Absicht, einen Flughafen zu eröffnen»

von

Die Flughafen-Mockumentary mit dem sperrigen Namen entpuppt sich auch bei näherem Hinsehen nur als halbgare «Stromberg»-Kopie.

Hinter den Kulissen

  • Produktion: Marc Lepetit (Phoenix Film) , Markus Brunnemann (Phoenix Film) , Martin Bromber (Phoenix Film), Harald Strasser (ZDFneo)
  • Regie: Jan Becker
  • Drehbuch: Michael Glasauer
  • Kamera: Heiko Rahnenführer
  • Länge: 30 Minuten
Inhalt:
«Niemand hat die Absicht, einen Flughafen zu eröffnen» ist eine satirische Mockumentary, in der sich alles um das größte Bauprojekt Deutschlands dreht, das allerdings nie fertig gestellt wird. Immer wieder scheitert die Einweihung des Flughafens aufs Neue an den Unzulänglichkeiten, Planungsfehlern und persönlichen Konflikten des skurrilen und chaotischen Bodenpersonals. In der Sicherheitscheckliste, die ein Flughafen erfüllen muss, um offiziell eröffnet werden zu können, gibt es um die 20.000 potentielle Mängel, Makel und Gefahrenquellen, aber die Crew schafft es immer wieder, noch ein paar neue zu kreieren. Jedes Mal endet alles aufs Neue im Scheitern oder Aufschub der Eröffnung. Schuld daran ist vor allem die Arbeitercrew, due trotz großem Sympathie-Faktor auf ganzer Linie unterqualifiziert ist und der es vor allem an einem mangelt: Technischem und zwischenmenschlichem Know-how. «Niemand hat die Absicht, einen Flughafen zu eröffnen» handelt von großen Träumen, Hoffnungen und Visionen und davon, wie man diese so richtig in den Sand setzt. Zuletzt stirbt immer die Hoffnung, aber am längsten lebt die Unfähigkeit. Die Zuschauer verfolgen die liebenswerten aber gänzlich untauglichen Figuren im alltäglichen Kampf mit einem nie enden wollenden Höllenkreis permanenten Scheiterns. Hier suchen sie ihre Daseinsberechtigung, ihren Platz in der Gemeinschaft und einen Sinn im Leben, in einem Flughafen, in dem nichts mehr einen Sinn ergibt.

Darsteller:


Nikolaus Okonkwo («Heiter bis tödlich: Zwischen den Zeilen», «Hinter Gittern») als Fritz Abasi
Vlad Chiriac («Heiter bis tödlich: Henker und Richter», «SOKO Leipzig») als Gerdy Ranner
Marie Schöneburg («Der Kuckuck und der Esel») als Anke Peschel
Christian Intorp («Tatort: Im Namen der Orchidee») als Jacob Buck
Volker Zack Michalowski («Das Leben der Anderen», «Inglourious Basterds») als von Wellnitz

Kritik:


Wenn ein Genre in der deutschen TV-Landschaft unterrepräsentiert ist, ist es das der Mockumentary. Die Mischung aus Comedy und fiktiver Dokumentation hat einzig mit ProSiebens Aushängeschild «Stromberg», das im nächsten Jahr eine Kinoauswertung erhält, und Publikumsliebling «Pastewka» zwei halbwegs große, definitiv erfolgreiche Produktionen in petto. Da liegt es nah, dass sich unter den diesjährigen TVLab-Kandidaten gleich mehrere an diese Filmsparte wagen, um von den Zuschauern ein Stück vom Gunst-Kuchen abzubekommen.

Mit «Niemand hat die Absicht einen Flughafen zu eröffnen» versuchten die Macher rund um Comedy-Regisseur Jan Becker («Angie», «Ich bin boes»), dieselben Pfade einzuschlagen, wie die Damen und Herren hinter Deutschlands beliebtester Versicherung. Doch während es Ralf Husmann, der derzeit auch beim «Stromberg»-Kinofilm als Regisseur fungiert, gelang, eine große Fanbase um seine Capitol-Angestellten zu scharen, die er mit Liebe zum Detail und Bodenständigkeit zu komplexen Charakteren wachsen ließ und dabei stets einen Blick für humoristisches Timing besaß, schienen sich die kreativen Köpfe hinter «Niemand hat die Absicht…» bloß halbherzig für ein derartiges Erfolgsrezept zu interessieren.

Der übersichtliche, stets ambitionierte Cast ist nicht vielmehr als eine wenig zufriedenstellende Kopie der wichtigen, hervorstechenden «Stromberg»-Charaktere. Nikolaus Okonkwo gibt sich sichtlich Mühe, seinen Duktus dem eines Bernd Stromberg anzupassen, besitzt jedoch nicht ansatzweise die Ausstrahlung und das komödiantische Timing eines Christoph Maria Herbst, dem die Rolle des unausstehlichen Versicherungschefs wie auf den Leib geschrieben war. Dabei betet er in den Interview-Passagen die Sprüche eines schwachen Drehbuchs von Michael Glasauer herunter, dessen Pointen ebenfalls überdeutlich an das sich immer deutlicher zum Vorbild herauskristallisierende «Stromberg» angelehnt sind. Dabei besitzt die erste Folge jedoch nicht einmal annähernd so viele gute und vor allem kultverdächtige One-Liner wie das „Original“.

Natürlich ist es gefährlich, im Falle von eigentlich völlig unterschiedlich angedachten Formaten wie «Niemand hat die Absicht, einen Flughafen zu eröffnen» und «Stromberg» von einem Original und einer Kopie zu sprechen. Doch auch der Aufbau beider Formate, der Tonfall und die technische Gestaltung gleichen sich nahezu wie ein Ei dem anderen. Dass hier nicht von einem 1:1-Plagiat die Rede ist, steht außer Frage: Während der ZDFneo-Kandidat als Handlungsbasis die Eröffnung eines Flughafens auffährt, stehen beim Comedy-Steckenpferd von ProSieben die alltäglichen Reibereien in einer deutschen Versicherung im Vordergrund. Doch lässt man diesen großen Unterschied einmal beiseite, offenbaren sich dem kritischen Betrachter zwei unangenehm ähnliche Formate. Die Bilder präsentieren sich in einem unverschnörkelten Look, die zudem immer wieder durch harte Cuts miteinander verbunden werden, die beobachtenden Aufnahmen werden alle paar Minuten von kurzen Interviewsegmenten seitens der Protagonisten unterbrochen – einschließlich Hitler-Vergleich und rassistischen Äußerungen seitens der Chefetage – und selbst die Einführung sowie Charakterisierung der Figuren, von der warmherzigen Blondine über den verhuschten Außenseiter bis hin zum egomanischen Chef mit Tendenz zur Selbstüberschätzung und äußerst fragwürdigem Humor, ist dem «Stromberg»schen Vorbild äußerst ähnlich.

Per se ist es keinesfalls zu verurteilen, wenn sich junge Fernsehmacher an erfolgversprechenden Puzzlestücken anderer Sendungen bedienen. Erst recht nicht dann, wenn es dafür genutzt wird, gutes, frisches Fernsehen zu machen. In diesem Fall gab man sich jedoch mit einer halbherzigen Kopie zufrieden, bei der nicht bedacht wurde, dass ein zuschauerziehendes Format nicht automatisch überall funktioniert. Hinter «Stromberg» stehen brillant geschriebene Bücher, sich über die Jahre entwickelnde Charaktere, verkörpert von Ausnahmedarstellern und ein augenscheinlich perfektionistischer Regisseur, bei dem jede Pointe auf den Punkt sitzt. «Niemand hat die Absicht, einen Flughafen zu eröffnen» kann lediglich in Ansätzen zeigen, dass auch hinter diesem TVLab-Kandidaten eine Menge Herzblut steckt. Zu weiten Teilen ist die Flughafen-Mockumentary jedoch der offensichtliche Versuch, etwas zu kopieren, was einmalig ist.

«Niemand hat die Absicht, einen Flughafen zu eröffnen» präsentiert sich am Freitag, dem 22. August um 22:05 Uhr dem strengen Publikum von ZDFneo.

Kurz-URL: qmde.de/65639
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