Hingeschaut

It's still «The Voice of Germany»

von

Zum Start der dritten Staffel bewies die Casting-Show einmal mehr eindrucksvoll, dass sie ihrer Konkurrenz noch immer um Lichtjahre voraus ist. Auch die neuen Coaches setzten bereits erste Duftmarken.

Quoten der ersten Staffeln von «The Voice»

  • S1: 4,16 Mio. (13,4% / 24,3%)
  • S2: 4,02 Mio. (13,3% / 23,0%)
Durchschnittswerte aller ausgestrahlten Episoden.
Mit den ersten beiden Staffeln von «The Voice of Germany» gelang ProSieben und Sat.1 nicht nur ein gigantischer Quotenerfolg, sondern auch ein deutliches Umdenken vieler TV-Stationen hinsichtlich der Konzeptionierung von Musikcastings: Erreichten mit «Popstars» und «DSDS» zuvor nur Formate ein wirklich breites Publikum, bei denen herausragende gesangliche Performances eine Nebenrolle gegenüber persönlichen Schicksalen und klaren Rollenmustern der Teilnehmer spielten, zeigte sich hier, dass bei einer guten Aufmachung auch musikalischer orientierte Konzepte Anklang finden können. Doch mit dem Abgang von Xavier Naidoo und Rea Garvey verlor man zum Ende des zweiten Durchgangs ausgerechnet die beiden beliebtesten Coaches der Show. Stattdessen besetzen nun Sunrise Avenue-Frontmann Samu Haber und Max Herre ihre Plätze - und fügten sich gleich zum Auftakt gut in die Show ein.

Auffällig und beruhigend für alle Fans ist, dass man den eigenen Werbe-Slogan "It's new, but still «The Voice»" ganz offensichtlich sehr ernst nimmt und sich konzeptionell sehr stark an den Episoden der Vorjahre orientiert. Weiterhin leiten die Macher die Episode mit einem etwas zu übertrieben und pathetisch wirkenden Clip ein, doch nachdem sämtliche Superlative für das musikalische Niveau herausgebrüllt sind und sich die Coaches gegenseitig beweihräuchert haben, geht man wie gewohnt ohne große Umschweife über zur Musik. Und die wird auch in dieser Staffel von Talenten vorgetragen, von denen Dieter Bohlen und Detlef D! Soost nur träumen - oder sie mit zu großen Einschränkungen hinsichtlich ihrer künstlerischen Freiheit vergraulen - können.

Eine kleine konzeptionelle Änderung erlaubt man sich beim bereits aus den Vorgängern bekannten Angebot, ein paar wenige Kandidaten auch dem Zuschauer zunächst nur mit ihrer Stimme zu präsentieren. Funktionierte dies anfangs überhaupt noch nicht, da man zwar das Gesicht der Person nicht sah, allerdings umfangreich über ihre Vorgeschichte aufgeklärt wurde, verbesserte man dies bereits in Staffel zwei - doch auch da waren zumindest noch grobe Teile der Bühnen-Performance zu sehen. Nun endlich beweist man Mut zur Konsequenz und lässt den Kandidaten hinter einem eigens dafür aufgestellten Vorhang singen - womit auch das Studiopublikum von optischen Reizen unbeeinflusst bleibt. Diese nun sowohl hinsichtlich der Grundidee als auch ihrer Umsetzung starke Option der Präsentation darf künftig gerne noch ausgebaut werden, da sich somit die Sicht des Konsumenten auf den Künstler erheblich ändert.

Positiv hervorzuheben ist ferner, dass weiterhin eine Band im Studio Platz nimmt und die Talente bei ihrem Auftritt begleitet. Auch wenn sehr wahrscheinlich nicht alle Fernsehenden diesen Umstand für wirklich bedeutend halten und es einigen vermutlich gar nicht erst auffallen wird: Musikalisch orientierte Fans werden die Live-Begleitung ebenso zu schätzen wissen wie die Künstler auf der Bühne, die somit in ihrem Gesang nicht nur von Band aufgezeichnet begleitet und gestützt werden. Auch präsentieren die Kandidaten in den meisten Fällen eigene Interpretationen der gespielten Stücke - wenngleich es bedauerlich ist, dass nach wie vor kaum eigene Musik präsentiert wird und in vielen Fällen doch durchgenudelte Charthits wie Blurred Lines, Don't You Worry Child oder Impossible zum Besten gegeben werden. Hier könnte sich «The Voice» definitiv noch ein Stück mehr öffnen.

Auch die neuen Coaches dürften nun zumindest kein Grund für Fans des Formats sein, zukünftig an ihrem Konsumverhalten ernsthaft zu zweifeln. Vor allem Max Herre kann sich in der Auftaktfolge durch sehr ehrliche Worte und gehaltvolle Kritik auszeichnen, so er sie denn für angebracht hält. Ob er dauerhaft in die Fußstapfen eines Xavier Naidoos treten kann, der nicht umsonst den Spitznamen "Dr. Ton" trägt, kann nach so kurzer Zeit noch nicht fair beurteilt werden. Seine spontane Gesangseinlage des eigenen Hits Fühlt sich wie fliegen an jedenfalls offenbarte seine größte Schwäche gegenüber Naidoo: Während letzterer zweifelsohne zu den größten Stimmen dieses Landes zählt, kommt Herres stimmliche Leistung doch deutlich mäßiger daher. Allerdings ist dies schon bei Nena kein großes Hindernis für eine inzwischen dreijährige Laufbahn bei Deutschlands stärkster Casting-Show gewesen.

Kollege Samu Haber wiederum ist in Folge eins sehr präsent und sorgt für einen gesteigerten Entertainment-Faktor. In dieser Hinsicht kann er seinem Vorgänger Rea Garvey ebenso das Wasser reichen wie hinsichtlich der eigenen Gesangsqualität. Sein größtes Hindernis allerdings sind die offensichtlichen Sprachbarrieren, durch die nicht nur jeder zweite Satz in einem schwer verständlichen Mischmasch aus Deutsch und Englisch enden, sondern die auch substanzielle Kritik an den Auftritten erheblich erschweren. Haber neckt die Kollegen, ist spontan, amüsant und sehr unterhaltsam. Sobald es jedoch darum geht, den Schützlingen gehaltvolles Lob oder Kritik zu geben, klinkt er sich bis dato beinahe völlig aus. Hier hat er nach der ersten Folge noch erheblichen Aufholbedarf gegenüber Rea.

Alles in allem ist «The Voice» aber nach wie vor eine überaus sehenswerte Show, die mit fantastischen Gesangstalenten aufwarten kann und einen rein musikalisch orientierten Diskurs beim Konsumenten ermöglicht. Die neuen Coaches haben sich erfreulich schnell einleben können und werden das Format prägen - wenn auch wohl auf eine etwas andere Art und Weise, als es Rea und Xavier taten. Und wenn man dann am Ende des Abends auch noch eine derart butterweiche Interpretation von Elton Johns Rocket Man von einem oberflächlich gesehen wenig Castingshow-tauglichen Mann wie Andreas Kümmert hört... welcher ernsthaft an Musik interessierte Mensch würde sich da noch für Plastik-Schlager einer Beatrice Egli oder grauenhaft produzierte Roxette-Coverversionen von Melouria oder ähnlichen tropischen Krankheiten entscheiden?

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