Die Kino-Kritiker

«Carrie»

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Mit «Carrie» erreicht im Dezember erneut das Remake eines Horrorklassikers die hiesigen Leinwände. Angesicht des Kultstatus des Originals aus den Siebzigerjahren ist es kein Wunder, dass die Neuauflage von Fans kritisch beäugt wird.

Filmfacts «Carrie»

  • Kinostart: 05.12.13
  • Genre: Drama / Horror
  • FSK: 16
  • Laufzeit: 100 Min.
  • Drehbuch: Lawrence D. Cohen, Roberto Aguirre-Sacasa
  • Musik: Marco Beltrami
  • Kamera: Steve Yedlin
  • Regie: Kimberly Peirce
  • Darsteller: Chloe Grace Moretz, Julianne Moore, Judy Greer, Portia Doubleday, Alex Russell
  • OT: Carrie (USA 2013)
Remakes – gerade im Horrorfilmbereich – stehen Cineasten und Fans des Genres oft kritisch gegenüber. Vor allem die Mitte der 2000er über die Leinwände hereingeschwappte Welle an hochauflösenden Neuauflagen klassischer Schocker, vornehmlich der Siebziger- und Achtzigerjahre-Horrorfilme, fand beim geneigten Publikum und Verehrern der Originale keinen großen Anklang. Zu oft schon nutzten Regisseure wie Marcus Nispel («The Texas Chainsaw Massacre», 2003, «Freitag der 13.», 2009), Dennis Iliadis («Last House on the Left», 2009) oder Samuel Bayer («Nightmare on Elm Street», 2010) die Grundlage alter Klassiker, um sich der Prämisse ohne Rücksicht auf die Intentionen der damaligen Filmemacher zu bedienen. Aus einer mit Gesellschaftskritik gespickten Aufbereitung der US-Amerikanischen Post-Vietnamkriegszustände, die Tobe Hooper 1974 mit dem Terroralbtraum «Texas Chainsaw Massacre» respektive «Blutgericht in Texas» zu verarbeiten versuchte, wurde ein, dem von «Saw» und «Hostel» geprägten Zeitgeist angepasstes Remake, das lediglich durch eine stylische Machart auffallen, dabei aber keinerlei neue Impulse setzen sollte. Ähnlich erging es einstigen Wegweisern des Terror-Horrorfilms wie «Das letzte Haus links» (1972) oder «Ich spuck auf dein Grab» (1978). Später versuchte man sich auch an halbherzigen Neuausrichtungen einstiger Schlitzerikonen wie Jason Vorhees oder Freddy Krueger. Doch bis auf das 2007 von Rob Zombie inszenierte «Halloween»-Remake, das mit dem Setzen anderer Schwerpunkte und einem deutlich düsteren Grundton zu überzeugen wusste, blieb die Wiederbelebung der Slasherstars weitgehend erfolglos.

Mit «Carrie» wagt man sich jetzt erneut daran, einem zum modernen Klassiker des Gruselfilms aufgestiegenen Horrorfilm einen neuen Anstrich zu verpassen. Verantwortlich für das schwierige Unterfangen, in die Fußstapfen von Brian de Palma, dem Urheber des Originals, zu treten, zeichnete Kimberley Peirce. Die Regisseurin, die 1999 mit «Boys Don’t Cry» ein ebenso dreckiges wie brillantes Regiedebüt ablieferte, scheint auf den ersten Blick keine naheliegende Wahl. War sie mit ihren kurzen Leinwand- («Stop-Loss») und TV-Ausflügen («The L-Word») doch eher für großes Drama zuständig. Dies merkt man der Neuauflage von «Carrie» auch zu jedem Zeitpunkt an. Überdeutlich setzt Peirce den Schwerpunkt in ihrer Filmvariante des gleichnamigen Stephen-King-Romans auf das Familiendrama und lässt den Horroraspekt mehr als einmal fast beiseite. Dadurch wirkt die Carrie von heute weitaus weniger bedrohlich als die von vor über 30 Jahren, woran auch die starke Leistung von Chloe Grace Moretz nichts ändern kann, die durch ihre Hit-Girl-Performences in «Kick-Ass» eigentlich wie gemacht dafür scheint, einen Teenager mit Gewissenskonflikt und dem Hang zur Gewalt zu verkörpern.

Das Zusammenleben zwischen Carrie White (Chloe Grace Moretz) und ihrer Mutter Margeret (Julianne Moore) ist von einer seltsamen Mischung aus Liebe und Verachtung geprägt. In der Schule hat es die von ihrer Mutter abgeschirmte Carrie nicht leicht. Sie wird von ihren Mitschülern gehänselt und gemieden. Als der zurückhaltende Teenie eines Tages einem fiesen Streich aufgesetzt ist, stellt sie ihre Mutter zur Rede und verlangt Aufklärung über deren strikte Erziehungsmethoden. Die gottesfürchtige Margaret verweigert jedoch jedes Gespräch und sperrt ihre Tochter einmal mehr in den Schrank. Nichtsahnend, dass Carrie über die Jahre begonnen hat, telekinetische Fähigkeiten zu entwickeln. Immer öfter setzt sich die mittlerweile auch emotional an Stärke gewinnende Schülerin mit dieser geheimen Kraft auseinander und lernt, sie für ihre Zwecke und gegen Menschen einzusetzen. Auf dem Abschlussball der Schule kommt es schließlich zum Eklat…

Brian de Palmas Version von «Carrie» bildete vor knapp 35 Jahren die erste filmische Adaption eines Stephen-King-Bestsellers. Das intensive Gruselerlebnis läutete eine neue Ära an Schauerromanverfilmungen ein und bot einen bodenständigen, spannungsgeladenen Horrorreißer, der aufgrund seiner fiebrigen Inszenierung und einer poetisch-drastischen Bildsprache neue Maßstäbe setzte. Das Finale in der Schul-Aula ist mittlerweile ein Klassiker und wer bei der Schlusssequenz, in welcher Carries Hand aus dem Grabe schnellt, nicht vom Kinosessel aufsprang, musste schon verdammt abgebrüht sein. Sissy Spacek («The Help») wurde durch ihre atemberaubende Darstellung der Carrie – dem Inbegriff eines Mauerblümchens – endlich einem breiten Publikum bekannt und Piper Laurie («Twin Peaks») als ihre gestrenge Mutter lehrte so manch einem heranwachsenden Zuschauer das Fürchten.

Heute schreiben wir 2013. Die Sehgewohnheiten haben sich geändert. Das setzt augenscheinlich auch Kimberly Peirce voraus, die sowohl den optischen als auch akustischen Look grundlegend veränderte. Auf den ersten Blick ahnt man das noch nicht. Auch Peirce beschränkt sich in ihrer Version von «Carrie» auf nahezu ausschließlich zwei Kulissen: die Schule, einschließlich Aula, sowie das Zuhause der Zwei-Frau-Familie White. Dabei gelingt es ihr, die Tristesse innerhalb der Beziehung zwischen Carrie und ihrer Mutter mithilfe eines trüben Looks, simplen Kamerafahrten ohne große Spielereien und einem grau-braunen Farbfilter greifbar zu machen, in die sich auch die unaufdringlichen CGI-Effekte perfekt einfügen. Immer wieder macht sie mithilfe von Frosch- und Vogelperspektve das Verhältnis der Frauen zueinander deutlich und spart nicht daran, die dröge Szenerie von einem melancholisch-lethargischen Instrumentalscore untermalen zu lassen. So sind vor allem die Szenen daheim bisweilen äußerst intensiv geraten, wenngleich diese Form von Inszenierung nicht an das Original von de Palma heranreicht. Zu sehr geht der ansonsten tadellos agierenden Chloe Grace Moretz der kindlich-naive Charme einer Sissy Spacek ab und zu aufgesetzt wirkt an manchen Stellen das Spiel von Julianne Moore («Hannibal», «The Kids Are All Right»), die dem Film in einer fast cartoonesque aufgemachten Eröffnungssequenz über mehr als ein grobes Plothole hinweghelfen muss.

Überhaupt ging man bei der Besetzung von «Carrie» nachvollziehbar vor, erreichte aber nicht ganz das wohl angestrebte Optimum. Vor allem in den Dialogszenen mit Kollegin Moretz gelingt Julianne Moore eine fast manische Darstellung ihrer Figur, der man es fast anzusehen scheint, mit welcher Inbrunst sie sich in ihre Rolle hineinzusteigern versucht. Dass ihr intensives Spiel vor allem in den temporeicheren Momenten nicht hundertprozentig überzeugt, liegt an ihrer Impulsivität. Mehr als einmal scheint Moore aus ihrer Figur mehr herausholen zu wollen, als es zur Ausrichtung der Rolle passt. Ihre Margeret erweckt zeitweise einen nahezu besessenen Eindruck, wohingegen die Figur eigentlich fast einem Häuflein Elend gleichkommt, das an seinem religiösen Eifer körperlich und seelisch zugrunde gegangen ist.

Ihr gegenüber steht Chloe Grace Moretz. Auch wenn sich die Verantwortlichen für Kostüm und Make-Up sichtlich Mühe gaben, die aufstrebende Jungdarstellerin von einer kleinen Schönheit zu einem hässlichen Entlein werden zu lassen, gelingt dies nur teilweise. Ihren Anmut und ihr Selbstbewusstsein stehen Moretz für eine zurückhaltende Rolle wie die der Carrie fast im Weg. Auch wenn sie sich verdammt viel Mühe gibt, mit herunterhängenden Schultern und einem teilnahmslosen Blick durch die Schulgänge zu schlurfen, blitzt eben doch immer ein Stück weit das toughe Mädel hervor. Wenn «Carrie» im Finale jedoch im allseits bekannten Schul-Massaker mündet und Moretz endlich all ihre schon in «Kick-Ass» eindrucksvoll unter Beweis gestellten Trümpfe ausspielen darf, ist die sechzehnjährige Darstellerin voll in ihrem Element und kann es durchaus mit der Darbietung einer Sissy Spacek aufnehmen.

Was «Carrie» neben der schwächeren Besetzung zu einem nicht mal ansatzweise so denkwürdigen Streifen macht wie Brian de Palmas Fassung, ist die Unausgeglichenheit in der Inszenierung. Den bereits gewürdigten, gelungenen Szenen innerhalb des White-Hauses stehen Sequenzen an Carries Schule gegenüber, die einem anderen Film, einer High-School-Komödie etwa, zu entstammen scheinen. Sämtliche Mitschüler von Carrie scheinen in ihrer Freizeit als Model tätig zu sein, die perfekt ausgeleuchteten Schulgebäude vermitteln den Eindruck einer (zu) heilen Welt und überhaupt stehen diese Szenen in einem solch krassen Kontrast zum restlichen Filmlook, dass der Versuch, die starken Gegensätze zwischen den beiden Locations durch unterschiedliche Tonfälle hervorzuheben, misslingt. So wirkt «Carrie» zweigeteilt und nicht annähernd so „aus einem Guss“, wie es das Original tat. Immerhin bewies Brian de Palma bereits, dass dieser inszenatorische Gedanke bestens funktionieren kann, wenn man mit mehr Fingerspitzengefühl an diese Idee herangeht und einem die unterschiedlichen Welten, zwischen denen Carrie hin- und her wechselt, nicht derart offensichtlich präsentiert. Erst als auch «Carrie 2013» unaufhaltsam in ein drastisches Schulmassaker-Finale mündet, weiß Kimberley Peirces Inszenierungsstil wieder zu überzeugen und liefert einen ebenso intensiven Schlussakt, wie es ihn bereits Ende der Siebzigerjahre im Originalfilm zu sehen gab.

Fazit: Obwohl die Neuauflage von «Carrie» in vielen Aspekten durchaus gelungen ist und unter den aktuellen Horrorfilm-Remakes einen der stärkeren Vertreter darstellt, erreicht sie nie die Intensität des Originals. Wenn der Streifen jedoch dazu beiträgt, dass die heranwachsende Generation für Stephen-King-Verfilmungen begeistert wird, hat Kimberly Peirce keinen unwichtigen Film gemacht.

«Carrie» ist ab dem 05. Dezember in den deutschen Kinos zu sehen.

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