Die Kino-Kritiker

«Winter's Tale»

von

Liebe, Dämonen, Krankheiten und Wunder: Das moderne Märchen «Winter's Tale» nimmt sich viel vor und scheitert kläglich.

Hinter den Kulissen

  • Regie: Akiva Goldsman
  • Produktion: Akiva Goldsman, Marc E. Platt, Michael Tadross und Tony Allard
  • Drehbuch: Akiva Goldsman
  • Musik: Hans Zimmer, Rupert Gregson-Williams und KT Tunstall
  • Kamera: Caleb Deschanel
  • Schnitt: Wayne Wahrman und Tim Squyres
Mit der Romanadaption «Winter's Tale» feiert einer der prominenteren als auch umstritteneren Drehbuchautoren Hollywoods sein Debüt als Kinoregisseur: Akiva Goldsman, der Verantwortliche hinter dem Oscar-gekrönten Skript zum Psychodrama «A Beautiful Mind» sowie dem Drehbuch zur legendär miesen Superheldenfarce «Batman & Robin». Seit seinem Oscar-Gewinn sorgte Goldsman unter Kinogängern mit Blockbustern wie «The Da Vinci Code – Sakrileg», «I Am Legend» oder «I, Robot» für ausführliche Diskussionen, hatten diese Filme doch allesamt sowohl ihre Anhänger als auch ihre lautstarken Gegner. Mit dem von ihm inszenierten, geschriebenen und produzierten «Winter's Tale» aber dürfte der 51-jährige New Yorker wieder in den Genuss einer einheitlichen Rezeption kommen. Wenngleich seine freie Verfilmung des über 600 Seiten starken Romans «Wintermärchen» von Mark Helprin wohl kaum die Publikumsresonanz erhalten wird, die sich Goldsman aller Voraussicht nach erhoffte. Stattdessen stellt sie einen neuen Tiefpunkt in seiner Vita dar.

Die Geschichte beginnt 1895 mit einem irischen Auswandererpaar, das von den New Yorker Behörden abgewiesen und zur Heimreise nach Europa gezwungen wird. Um ihrem Neugeborenen ein neues Leben im Land der unbegrenzten Möglichkeiten zu bescheren, setzen die verzweifelten Eltern kurzerhand das Baby in einem Modellboot aus. 21 Jahre später entwickelte sich dieser Säugling zu einem gutaussehenden Kleindieb namens Peter Lake (Colin Farrell), der sich seit einer Auseinandersetzung mit dem Bandenchef Pearly Soames (Russell Crowe) unentwegt in Lebensgefahr befindet. Eines Tages begegnet Peter jedoch einem magischen Pferd, das ihm dabei hilft, vor dem blutdürstigen Schurken zu fliehen. Zunächst davon überzeugt, das Ganovenleben aufgeben zu müssen, wird Peter von seinem Schimmel dazu gedrängt, einen letzten Raubzug zu begehen. Dabei trifft Peter auf die zierliche Beverly Penn (Jessica Brown Findley), die den Einbrecher mit ihrer optimistischen, freundlichen Art verzaubert. Dessen ungeachtet will Peter aus der Stadt fliehen, um Pearly endgültig abzuschütteln. Doch Beverly ist hoffnungslos an Schwindsucht erkrankt, weswegen er von seinen Plänen abrückt, um mit der Rothaarigen eine Liebesbeziehung aufzubauen. Als der dämonische Pearly davon erfährt, nimmt er sich vor, dieses junge Glück zu zerstören …

Wie schon ein prätentiöser Erzählerkommentar während des Prologs ankündigt, ist diese „Junge Liebe, bedroht durch einen unnachgiebigen Verbrecher“-Plot lediglich die Spitze des sich hier dem Publikum präsentierenden Eisberges. In den ersten Filmminuten deutet sich bereits an, dass Peter Lake durchs gegenwärtige New York stapfen wird und dass transzendentale Aspekte in dieser Liebesgeschichte mitmischen. Für Kenner der Romanvorlage kommt dies wenig überraschend: Als Jahrhunderte und mehrere Schicksale umspannende, im so genannten „magischen Realismus“ verortete Erzählung baute sich Mark Helprins kunstvoll formuliertes Buch vor allem im englischsprachigen Raum eine große Fangemeinde auf, zu der unter anderem Martin Scorsese zählt, der einige Jahre lang mit einer Umsetzung des Stoffes liebäugelte. Der «The Wolf of Wall Street»-Regisseur gab dieses Vorhaben aber auf, da er die Story schlussendlich nicht als kinotauglich erachtete. Dass solche Geschichten sehr wohl auf der großen Leinwand funktionieren, bewiesen 2012 allerdings die Wachowski-Geschwister und Tom Tykwer mit «Cloud Atlas» – einer ambitionierten Literaturverfilmung, die von über Jahrhunderte hinweg verbundenen Schicksalen handelt und teils übernatürlich, teils urban daherkommt.

Die kunstvolle Verknüpfung der verschiedenen Handlungsstränge oder Zeitebenen, die «Cloud Atlas» oder Helprins Roman ausmachen, fehlt in Goldsmans Kinoromanze allerdings völlig. Der Einstieg geriet dem Oscar-Preisträger überaus konfus, hinzu kommt, dass die Aufmerksamkeit, die er den beiden Teilen seiner Geschichte (die Bandbreite des vier Handlungen verbindenden Buchs wurde im Kino arg zusammengeschrumpft) zukommen lässt, dramaturgisch unausgewogen ist. Zwar lässt Goldsman der zarten, idealistischen Liebesgeschichte zwischen Peter und Beverly ausreichend Zeit, dafür hechelt er im finalen Part durch die in der Gegenwart spielenden Story. Daher wirkt sie im Vergleich zum ersten Teil emotional unterkühlt, was wiederum die Auflösung, von welchem Wunder die übernatürlichen Figuren die gesamte Laufzeit über gesprochen haben, bloß bemüht-kitschig und undurchdacht erscheinen lässt – und nicht so zauberhaft, wie es offensichtlich sein sollte.

Nicht nur, dass Peters kurzes Gegenwarts-Intermezzo mit der alleinerziehenden Mutter Virginia Gamely (gespielt von einer keinerlei Eindruck hinterlassenden Jennifer Connelly) und ihrer gutherzigen Tochter (goldig, doch zu wenig im Fokus: Ripley Sob) durch die eilige Abhandlung wie ein Nachgedanke rüberkommt: Auch die finale Botschaft hält aufgrund der Oberflächlichkeiten des abschließenden Storyparts keiner zu deutlichen Untersuchung stand. Zwar ist von Wundern die Rede, und dass ein jeder sie verdient hat, wirklich vereinbar ist dies mit den vorhergegangenen Filmminuten aber nur bedingt. Da hätten etwas mehr Tiefgang und eine elaboriertere Erläuterung der Gründe hinter Peters Erlebnissen zweifelsohne gut getan.

Generell sind die magischen Elemente die schwächsten Punkte in «Winter's Tale». Dabei stellt die fragwürdige Logik hinter den Wundern rund um Peter Lake noch das harmloseste Problem dieses modernen Märchens dar: Wann immer etwa Peters Pferd in die Lüfte emporsteigt, rauben die weit unterm heutigen Standard liegenden digitalen Effekte der Sequenz ihr Momentum, ebenso, wie die am Computer erschaffenen, Magie andeutenden Lichtbrechungen die den Film durchziehen all zu aufgesetzt sind. Im direkten Vergleich zu Russell Crowes Performance jedoch sind sie ein Meisterstück der Subtilität: Der «Gladiator»-Hauptdarsteller gibt in seiner Rolle als Gefolgsmann dunkler Mächte jegliche Zurückhaltung auf, womit er «Winter's Tale» zwar mehrmals eine nötige Dosis Energie verleiht, gleichwohl fügt er sich aufgrund seiner mimischen Entgleisungen zu keinem Zeitpunkt in die Atmosphäre des restlichen Films. In der englischsprachigen Originalfassung kommt außerdem ein inkonsistenter, dicker Akzent hinzu, mit dem sich Crowe durch skurrilere Szenen durchnuschelt, was die unfreiwillige Komik dieser Momente weiter anfeuert. Vollkommen deplatziert ist zudem der Cameo eines populären Schauspielers, der an dieser Stelle nicht verraten werden soll. Diesen Mimen in «Winter's Tale» als Crowes Vorgesetzten zu sehen erhöht zwar den Coolness-Faktor von Goldsmans Kino-Regiedebüt, gleichwohl ist es eine den Ernst der Story demontierende Fehlbesetzung, die sich erst recht durch die getroffene Kostümwahl und verwendeten Effekte wie aus einer verrückten Komödie entliehen anfühlt.

So fällt «Winter's Tale» völlig zwischen die Stühle: Die sympathische, leicht kitschige Liebesgeschichte mit der engagiert auftrumpfenden «Downton Abbey»-Schauspielerin Jessica Brown Findlay und dem etwas blass bleibenden Colin Farrell wird von den Fantasyelementen ins Alberne gezogen, diese wiederum könnten den Film zu einem verspielten Trashfest machen, würde er nicht durch die ehrliche Romanze andauernd an Tempo verlieren. Und dieses Ungleichgewicht gerät dann wiederum durch die in der Gegenwart angesiedelten Handlung noch stärker ins Trudeln, da in diesem Abschnitt des Films die Dialoge um ein Vielfaches aufgesetzter und theatralischer ausfallen als zuvor, die Inszenierung aber ihren vergnüglichen Pomp verliert. Egal aus welcher Perspektive sich «Winter's Tale» also betrachten lässt – selbst ein Wunder kann diesen Film nicht mehr retten.

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