Hingeschaut

«DSDS 2014»: Es blieb alles anders

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Nach dem Ende der aktuellen Staffel bleibt die Frage, ob die im Vorfeld angekündigten gravierenden Veränderungen tatsächlich eingelöst wurden. Oberflächlich betrachtet vielleicht nicht, aber wenn man genauer hinschaut...

Es gibt Sätze und Zitate, die unentwegt bemüht werden. Einen solchen äußerte der RTL-Unterhaltungschef Tom Sänger vor rund einem Jahr und seit dem kommt kaum ein Bericht oder ein Artikel über «Deutschland sucht den Superstar» ohne diesen aus. Auch der vorliegende nicht. Gegenüber dem SPIEGEL sagte Sänger damals: "Aufgrund des Lebenszyklus des Formates reicht es nach zehn Jahren nicht mehr, an kleinen Rädchen zu drehen. Wir müssen drastischer sein, am großen Rad drehen." Dass diese Ansage so gern aufgegriffen wird, liegt nicht zuletzt daran, dass selten ein solch hoher Anspruch an das eigene Handeln und ein vergleichbar ambitioniertes Ziel ausgerufen wurde. Jetzt, wo diese Ankündigung in der Welt ist und zirkuliert, muss sich die gerade frisch beendete elfte Staffel der Castingshow an ihr messen lassen.

Mit einem zunächst ernüchternden Ergebnis, denn offenbar schienen jene grundlegenden Veränderungen ausgeblieben zu sein. Schließlich blieb der Ablauf der Talentsuche mit Vor- und Jury-Castings, Recall und Re-Recall vor tropischer Kulisse sowie den Live-Shows nahezu unverändert. Dass es die Kontrahenten dabei erstmals nach Kuba führte und die Anzahl der Live-Ausgaben stark reduziert wurde, stellten lediglich marginale Abweichungen dar. Auch, dass es in jeder Live-Folge eine besondere Herausforderung zu meistern gab, wie „Baue einen Tanzpart ein" oder „Inszeniere Deinen Auftritt", fällt ebenfalls eher in die Kategorie kleine Rädchen. Die im Vorfeld angekündigte Annäherung an die Genres Schlager oder HipHop blieb, abgesehen von einigen Auftritten im Casting, weitestgehend aus. Selbst der finale Sieg von Aneta Sablik erschien wenig überraschend, hat damit doch weder ein Außenseiter noch ein besonders polarisierendes Gesicht gewonnen. Auf den ersten Blick betrachtet, reiht sich der 2014er-Aufguss damit nahtlos in die Serie seiner Vorgänger ein.

Schaut man jedoch etwas genauer hin, fällt auf, dass es sehr wohl einige gravierende Veränderungen gegeben hat. Veränderungen, die den Grundton und die gesamte Ausrichtung des Formats beeinflusst haben. Die meisten davon waren schon während der Casting-Phase zu beobachten und wurden im weiteren Verlauf wieder weniger stark verfolgt. Am auffälligsten war natürlich die Neubesetzung der Jury. Dass diese neben Dieter Bohlen mit Schlager-Ikone Marianne Rosenberg, Elektropop-Sängerin Mieze Katz und Rapper Kay One bestückt war, ließ bereits erahnen, in welche Richtung der Weg der neuen Staffel gehen sollte. Dabei ist weniger die Breite des mit ihnen abgebildeten musikalischen Spektrums entscheidend, als vielmehr die gesellschaftlichen Werte für die sie stehen. So bildeten oft Kay One und Dieter Bohlen auf der einen Seite und Mieze Katz und Marianne Rosenberg auf der anderen Seite zwei gegensätzliche Pole, die nicht nur verschiedene Geschmäcker und musikalische Vorlieben, sondern vor allem verschiedene Menschenbilder und gesellschaftliche Ideale vertraten. Gegenpole wie erbrachte Leistung vs. optisches Auftreten. Toleranz vs. Vorurteile. Oder progressiv vs. konservativ. Diese zwei Fronten wurden (mal stärker und mal schwächer) bis zum Ende der Staffel beibehalten und führten dazu, dass deutlich seltener als in den Jahren zuvor, einstimmige Urteile gefällt wurden.

Diese Beobachtung mag zunächst profan erscheinen, stellt allerdings die einst als unangreifbar präsentierte Autorität der Jury grundsätzlich in Frage. Besonders auffällig drückte sich dies in der Umgestaltung der Rolle von Dieter Bohlen aus, dessen Einschätzung genauso wenig als unantastbar und endgültig gezeigt wurde. Die Abkehr von Bohlens Dominanz, die bereits in den vergangenen Jahren schrittweise begonnen wurde, ist nahezu abgeschlossen. Streckenweise verkam er gar zu einem Statisten und überließ Kay One den Posten des obligatorischen Provokateurs. Vielleicht wurde hier bereits die Machtübergabe von König Bohlen an seinen Prinzen vorbereitet. Parallel dazu erfuhr die Figur Bohlen eine Wandlung vom einstigen Schreckgespenst zum verständnisvollen Mentor, der den Kandidaten Tipps bei der Songauswahl und der Gestaltung ihrer Auftritte gab. Dadurch verlagerte sich sein Schwerpunkt weg von der Position eines unnahbaren Juroren hinzu der eines Coaches. Man kann wohl davon ausgehen, dass solche Szenen oder die zuvor genannten Konstellationen nicht zufällig entstanden sind, eher absichtlich herbeigeführt wurden, um mit ihnen eine bestimmte Wirkung zu erzielen. Und diese scheint insbesondere darin zu liegen, die Funktion der Jury neu zu justieren. Nicht umsonst lautete der diesjährige Slogan „Kandidaten an die Macht!“. Ein Leitmotiv, das sich eigentlich nicht mit dem streng hierarchischen System eines Casting-Prozesses verträgt.

Ein ebenso entscheidender Faktor dafür bildete die Einführung der goldenen CDs im Casting. Vor jedem Auftritt mussten sich mit deren Hilfe die Kandidaten für einen Juror entscheiden, dessen Urteil bei Stimmengleichheit ausschlaggebend war. Obwohl diese Option in den ausgestrahlten Szenen eher selten das Ergebnis beeinflusste, zeigte diese Innovation einen maßgeblichen Einschnitt für die Stellung der Jury. Erstmals standen nämlich die Juroren selbst zur Wahl und wurden von den angehenden Superstars beurteilt. In gewisser Weise wechselten also Juroren und Teilnehmende zumindest kurzzeitig die Seiten, was einen erneuten, immensen Angriff für das Standing der Jury bedeutete.

Wie wenig absolut die Standpunkte der Juroren – speziell von Kay One – nun noch waren, zeigte sich darüber hinaus darin, dass ihnen die Moderatorin Nazan Eckes ebenfalls widersprechen durfte. Unter anderem erfolgte dies, als Kay einer Bewerberin vorschlug, anstatt einer Gesangskarriere besser eine Laufbahn als Stripperin oder GoGo-Tänzerin in Erwägung zu ziehen. Hier schüttelte nicht nur Mieze vor Entsetzen den Kopf, von Nazan Eckes waren zusätzlich aus dem Off die empörten Worte „Nicht Dein Ernst?" zu hören. Solche Widerworte gegen einen Juror hat es zuvor noch nicht gegeben. In einem Konzept, das auf einem (knallharten) Auswahlprozess basiert, ausgerechnet jene auszuwählende Instanz antastbar und hinterfragbar zu machen, stellt einen erheblichen Eingriff dar. Es stellt ein Drehen an einem solchen großen Rad dar.

Im Fall der vermeintlichen Stripperin drückte sich noch ein zweiter wichtiger Faktor aus, mit dem die Sendung auf ihre ganz eigene Art versuchte, umzugehen. Es ist die mittlerweile sehr öffentlich diskutierte Gender-Frage. Mit dieser gesellschaftlichen Debatte, bei der Rollenbilder und Geschlechterklischees überprüft werden, musste sich jetzt auch «Deutschland sucht den Superstar» befassen - unerheblich, ob sich dies ergeben hat oder von den Machern absichtlich aufgegriffen wurde. Gerade in jenen Momenten, in denen die männlichen Juroren Kandidaten wegen ihres Aussehens (Zitat: "Wenn die Brüste gut sind, isse weiter") von ihren weiblichen Kolleginnen gerügt wurden, wurden solche zentralen Probleme verhandelt. Sicherlich auf eine wenig sensible und meist verletzende Art, die noch wenig zur Auflösung der überholten Vorstellungen beigetragen hat. Immerhin wurden solche Stereotypen wenigstens hinterfragt, wenn auch um den Preis, dass sie dafür zunächst noch einmal wiederholt werden mussten.

Vor welche Herausforderung dieser soziale Wandel ein solch heteronormatives Format stellt, zeigte sich im Fall von Ryan Stecken, der selbsternannten Boy-Tunte. Ryan musste sich nämlich im Recall wiederholt entweder in die Gruppe der Jungs oder die der Mädchen einsortieren lassen und wechselte im Laufe der Show sogar die Seiten. Hier zeigte sich, dass das Leben manchmal komplexer und bunter ist und es sich nicht immer in schwarz und weiß (bzw. Junge und Mädchen) einteilen lässt. Ohne Zweifel, einen besonders feinfühligen Umgang hat Ryan nicht erfahren und mit der Gender-Thematik wurde nur wenig taktvoll umgegangen. Letztendlich ist Ryan auch an jener Geschlechter-Binärität gescheitert, trotzdem muss den Machern erneut zu Gute gehalten werden, dass sie diese Problematik immerhin aufgenommen und nicht totgeschwiegen haben. Dies ist eine weitere, nicht zu unterschätzende Modifikation.

Man könnte dem allen entgegnen, dass die hier aufgezählten Neuerungen lediglich geringfügig sind und den Ablauf der Show kaum verändert haben. Das mag so sein, doch genau diese kleinen Abweichungen rüttelten an einigen festen Säulen, auf denen die Produktion bisher fußte. Ein gänzlich neues Format ist dadurch sicher nicht entstanden. Dies ist schon aus lizenzrechtlichen Gründen schwierig. Aber es kam zumindest Bewegung in die festgefahrenen Abläufe. Vielleicht trifft auf «Deutschland sucht den Superstar» letztlich die oft bemühte Öltanker-Metapher zu, bei der sich die Fahrtrichtung nicht abrupt, sondern nur langsam korrigieren lässt. Selbst wenn die Kursänderung bloß zögerlich erfolgt, ist sie bereits spürbar. Und wie bei einem gigantischen Schiff muss man dafür nicht gleich den Anker werfen. Oft genügt es, nur an einem kleinen (Steuer-)Rad zu drehen.

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