Die Kino-Kritiker

«Night Moves»

von

Jesse Eisenberg, Dakota Fanning und Peter Sarsgaard begeistern in einem stillen, gemächlichen Arthouse-Thriller über Öko-Terrorismus und die Übermacht des Gewissens.

Hinter den Kulissen

  • Regie und Schnitt: Kelly Reichardt
  • Produktion: Saemi Kim, Neil Kopp, Chris Maybach, Anish Savjani und Rodrigo Teixeira
  • Drehbuch: Jonathan Raymond und Kelly Reichardt
  • Darsteller: Jesse Eisenberg, Dakota Fanning und Peter Sarsgaard
  • Musik: Jeff Grace
  • Kamera: Christopher Blauvelt
Ein Thriller über ein gemischtgeschlechtliches Trio von Ökoterroristen dürfte im Blockbusterkino wohl ungefähr wie folgt ablaufen: Zwei fangen miteinander eine Romanze an, der Andere hat Zweifel, ob ihre Taten wirklich so hehr sind wie sie denken. Es gibt mindestens eine große Explosion sowie eine Verfolgungsjagd mit der Polizei. Und am Ende hat die Polizei (oder das CIA oder das FBI oder die Regierung der Vereinigten Staaten) ein Einsehen, sie erkennt, dass die Ökoaktivisten im Sinne der Menschheit handeln und gibt ihnen einen Job auf der gesicherten Seite der Rechtsprechung.

Die Autorenfilmerin Kelly Reichardt jedoch wandelt in ihrem Indie-Projekt «Night Moves», ganz getreu ihrem bisherigen Schaffen, fernab dieser klischeebeladenen Pfade. Die Arthouse-Filmemacherin, die unter anderem den bedächtig-revisionistischen Western «Meek’s Cutoff» verantwortete, setzt Spannung nicht mit aufregenden Actionmomenten und dem üblichen, großen Hollywoodgehabe gleich. Ihr ist es an der akkuraten Beobachtung ihrer vielschichtigen, aber schwer durchschaubaren Figuren gelegen. So auch in «Night Moves», der selbst als Reichardts bislang zugänglichster Film gezielt an ein sehr geduldiges, mitdenkendes Publikum gerichtet ist. An ein Publikum, das sich mit ausführlicher, subtiler Charakterzeichnung auseinandersetzen möchte – und das den Reiz darin erkennt, wenn die von Figuren und Handlung angerissenen moralischen Fragen stets in der Schwebe bleiben.

Jene Figuren, die Reichardt und ihr Schreibpartner Jonathan Raymond beleuchten, sind Dena Brauer (Dakota Fanning), Harmon (Peter Sarsgaard) und vor allem Josh Stamos (Jesse Eisenberg). Letzterer lebt in einer modernen Selbstversorgerkommune, die sich voller Bescheidenheit mit dem Verkauf von Bio-Obst und -Gemüse ein Zubrot verdient. In den Augen des verbissenen Idealisten Josh engagiert sich seine Kommune nicht ausreichend für ein Umdenken in der Gesellschaft, weswegen er seit einiger Zeit als Umweltaktivist tätig ist und jenseits der Legalität agiert. Zusammen mit der wohlhabenden Dena hat er seinen bislang aufwändigsten Coup ausgearbeitet: Beide wollen den Damm eines Wasserkraftwerks im Nordwesten der Vereinigten Staaten sprengen, weil dieser aufgrund mangelnder Vorrichtungen das Lachssterben beschleunigt.

Um den Damm zu zerstören, brauchen sie Hilfe vom erfahrenen Öko-Terroristen Harmon, dessen Herangehensweise wenig mit Joshs und Danas Wesensart gemein hat. Nachdem die Planung und Vorbereitung weitestgehend reibungslos verlief, kommt es bei der Umsetzung aber zu einem folgenschweren Unglück. Daraufhin müssen die drei Aktivisten, die hätten schwören können, an alles gedacht zu haben, ihr Handeln hinterfragen. Und so setzen sich die zuvor sorglosen, determinierten Umweltfreunde zunehmend selbst unter Druck …

Die drei Akte, über die sich die Handlung von «Night Moves» erstreckt, lassen sich mühelos abstecken: Der erste Part des Films zeigt die Planung und Vorbereitung der Dammsprengung. Dieser Teil des Films ist der gemächlichste: Minutiös zeigt Reichardt, wie das wortkarge Duo Josh & Dana den Tatort vorab begutachtet, alle für die Sprengung benötigen Dinge besorgt und Harmon mit ins Boot holt. Die Regisseurin geht genauso methodisch vor wie ihre Protagonisten und zeigt in ausführlichen, vor sich dahinplätschernden Szenen das Vorgehen der Figuren sowie alles, was sie über sich selbst verraten.

Statt des oberflächlichen Romantiksubplots, den ein Mainstreamfilm mit dieser Story beinhalten würde, weißt «Night Moves» nur karge Versatzstücke eines solchen Handlungsfadens auf: Zwischen Josh und Dana herrscht eine unterkühlte sexuelle Spannung, die sie jedoch nie thematisieren, geschweige denn, dass sie ihr nachgehen. Bei ihren Treffen und Gesprächen dreht sich alles allein um ihre ökologisch motivierten Akte. Joshs Interesse an Dana drückt sich allein in seiner Körpersprache aus, wobei diese zaghafte Zuneigung ein Gegengewicht in seiner Abscheu über Danas Wohlstand und seinem daraus entstehenden Misstrauen ihr gegenüber findet. Dana ist aber Feuer und Flamme für ihre Mission, zeigt ihr Umweltinteresse mit stärkerer Verbissenheit als der apathische Josh, weshalb sie genau zwischen ihrem Altersgenossen und Harmon steht – dieser ist welterfahrener und zynischer als Josh, gleichwohl auch professioneller.

Die Harmonien und Anspannungen in der Aktivistengruppen sind es, die dank ihrer ungezwungenen Schilderung und der authentisch wirkenden Performances der Schauspieler den geneigten Zuschauer bereits zu Beginn von «Night Moves» fesseln. Höhepunkt des ersten Parts ist allerdings Danas Versuch, an die für den Sprengstoff benötigten Massen von Dünger heranzukommen, ohne beim Händler Verdacht auf sich zu lenken. Reichardt nähert sich allein hier einer konventionellen Narrative, färbt die Sequenz, in der Dakota Fanning zu Höchstform aufläuft, aber klar in ihrem Stil ein. Dies bedeutet: Kaum musikalische Untermalung, die Kamera konzentriert sich auf Fannings nervöses, eine Fassade der Gelassenheit aufsetzendes Gesicht und die realitätsnahen Dialoge ähnelnd dem Genre des Mumblecore.

Der zweite Part dieses ruhigen Thrillers zeigt den Tag, und vor allem die Nacht, in der das Trio seine Tat umsetzt. Reichardt zieht die Spannungsschraube an, indem sie entgegen moderner Sehgewohnheiten auf jegliche Übertreibungen verzichtet und die Taten allein für sich sprechen lässt. Kameramann Christopher Blauvelt arbeitet hier mit dem absoluten Minimum an Licht und erschafft so beklemmend-ungekünstelte Aufnahmen. Wenn das mit Sprengstoff gefüllte Boot auf den Damm zutreibt, rückt der Zuschauer daher in eine direkte Beobachterposition – und wann immer aus dem umliegenden Wald fremde Geräusche kommen oder zusätzliches Licht in dieses Szenario eindringt, kommt dies einem Schock gleich. Reichardt hat den Zuschauer am Wickel und lässt ihn sich fragen: Fliegen die Öko-Aktivisten auf? Was wird nun mit ihnen passieren?

Tatsächlich geht etwas schief, und zugleich verschiebt sich im nach der Tat spielenden, dritten Akt, der erzählerische Schwerpunkt. Dana und Harmon verschwinden in den Hintergrund des Films, umso näher rückt Reichardt an Jesse Eisenbergs undurchschaubaren Idealisten heran. Im Gegensatz zu den meisten Psychogrammen will «Night Moves» aber keine Antworten finden. Reichardt bleibt bewusst an der Oberfläche des von Eisenberg intensiv gespielten jungen Erwachsenen, der an der Situation, in der er sich befindet, langsam zerbricht. Was nicht bedeutet, dass auch der Schlussakt dieser Indie-Produktion oberflächlich ist – denn Reichardt und Eisenberg zeigen detailliert jeden Riss in Joshs Fassade und zeichnen ein umfassendes Bild dieser komplexen Figur. Da sie aber weiterhin möglichst wirklichkeitsnah von einem im Schatten agierenden Öko-Aktivisten erzählen, bleiben alles erklärende Monologe aus, so dass der Zuschauer trotz der eingehenden Abbildung von Joshs Reaktionen keinen Einblick in seine Motivation erhält. Ist er ein Soziopath oder ein Naivling, der nicht weiß, wie ihm geschieht? Hegt er seine Aggressionen gegenüber Dana, weil sie ihn nicht beachtet, weil sie seiner Meinung nach nicht genug hinter der Sache steht oder weil er Angst hat, sie könne ihn auffliegen lassen?

Gegen Ende treiben Reichardt und ihr Co-Autor Jonathan Raymond vielleicht Joshs Verzweiflung etwas zu weit für den ruhigen, sonst nie effekthascherischen Film, den sie erzählen, aber Eisenbergs bedrückendes Spiel und die beachtenswerte Inszenierung halten «Night Moves» bis zum Ende auf Kurs. Wenn dann abrupt zum Abspann geblendet wird, bleiben zahlreiche Fragen offen. Natürlich lädt «Night Moves» dazu ein, über grüne Themen nachzudenken. Ist das moderne Medienangebot es wert, dass die Tierwelt brutal dezimiert wird? Oder sollten Ökoaktivisten nicht schon froh sein, dass immer mehr auf erneuerbare Energien umgestellt wird, statt auch gegen Wasserkraftwerke zu protestieren?

Vor allem aber stellt Reichardt lang nachhallende Fragen über ihre Figuren – über ihren Platz in der Welt, ihr Innenleben und ihre Konstellation zueinander. Und so zeigen Reichardt, Eisenberg, Fanning und Sarsgaard: Zurückhaltung ist mehr wert als bloße Effekthascherei. Damit ist «Night Moves» dem großen Plan seiner Hauptfiguren einen Schritt voraus.

«Night Moves» ist ab dem 14. August 2014 in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

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