Die Kino-Kritiker

«Coming In»

von

Marco Kreuzpaintners Romantikkomödie mit Kostja Ullmann als Homosexuellen, der glaubt, sich in eine Frau zu verlieben, ist deutlich besser als ihr mieser Trailer.

Hinter den Kulissen

  • Regie: Marco Kreuzpaintner
  • Drehbuch: Marco Kreuzpaintner, Jane Ainscough und Christoph Müller
  • Produktion: Christian Angermayer, Gabriela Bacher und Christoph Müller
  • Kamera: Daniel Gottschalk
  • Schnitt: Hansjörg Weißbrich
Man soll ein Buch niemals nach seinem Umschlag beurteilen. Und genauso kritisch ist es, einen Film allein nach seinem Trailer zu verurteilen. So verführerisch diese Reaktion oftmals auch sein mag. Jüngstes Paradebeispiel: Die Vorschau zur deutschen Romantikkomödie «Coming In», die jeden Anlass dazu gibt, sämtliche Alarmglocken läuten zu lassen. Die kitschige Art, in der er zusammengeschnitten ist, und die grobe Skizzierung der Figuren, die der Trailer erlaubt, erwecken einen üblen, üblen Anschein. Es wirkt so, als wolle Warner Bros. dem deutschen Kinopublikum allen Ernstes einen taktlosen, mit dem ganz groben Pinsel gemalten Streifen auftischen, der davon handelt, dass sich Schwule ganz, ganz leicht umdrehen ließen. Sie alle müssten dafür einfach nur die richtige Frau finden. Autsch!

Wie bereits erwähnt, können Trailer und die von ihnen provozierte Schubladisierung jedoch trügerisch sein. Dass dies ausgerechnet bei einem Film über das Zerstören des Kategoriendenkens geschehen muss, ist absonderliche Ironie und tut der neusten Regiearbeit des offen homosexuellen Marco Kreuzpaintner Unrecht. Denn in seinen schlimmsten Momenten ist «Coming In» „nur“ eine weitere deutsche Romantikkomödie mit ihren üblichen Macken – und nicht etwa ein missratener Versuch, progressiv oder provokativ zu sein. Und in ihren besten Momenten ist diese etwas andere RomCom sogar ganz charmant und durchdacht.

Alles beginnt, als Tom Herzner (Kostja Ullmann), der Inhaber eines angesagten Szene-Friseursalons, eine neue Männer-Haarproduktlinie auf den Markt bringt. Diese kommt auf dem Markt so gut an, dass die Homosexuellenikone von ihren Geschäftspartnern dazu gedrängelt wird, eine Frauen-Marke folgen zu lassen. Blöd nur, dass Tom keine Ahnung davon hat, was Frauen wollen. Sein Manager und Lebenspartner Robert (Ken Duken) schlägt vor, die Aufgabe dann halt an jemand Anderen weiterzugeben, beißt mit dieser Idee aber nur auf Granit: Alle Pflegeprodukte, die Toms Namen tragen, müssen von ihm zusammengestellt werden! Also auch die Frauen-Produktlinie. Aufgrund Ideenmangels, greift Tom also tief in die Trickkiste: Er heuert bei der Berliner Kiezfriseurin Heidi (Aylin Tezel) als Aushilfe an. Mit Perücke und Fußball-Trikot als Möchtegern-Hete getarnt, entdeckt er seine Liebe zum Friseursein wieder – und baut nach und nach zudem seine Abscheu vor der bürgerlich-vorlauten Heidi und ihrer Kundschaft ab. Tom und Heidi werden ganz langsam zu guten Freunden. Oder keimt da sogar noch mehr auf?

Um die wichtigste Frage vorwegzunehmen: Nein, «Coming In» proklamiert nicht, dass Schwule bloß die richtige Frau finden müssen, um zur Heterosexualität zu finden. Stattdessen handelt «Coming In» von Individualität. Menschen, die sich für hetero halten, entdecken, dass ihr Herz allein für Menschen des eigenen Geschlechts schlägt. Überzeugte Homosexuelle merken, dass sie sich nicht allein zu ihrem Geschlecht hingezogen fühlen. Wieder andere haben ihre sexuelle oder romantische Identität schon früh in ihrem Leben entdeckt und halten daran fest. Es gibt jene, die sich kurz hinterfragen, aber merken, dass sich nichts an ihnen ändert. Manche wollen die Ehe, manche sehnen sich nach Ungebundenheit. Es ist jedoch sehr bedauerlich, dass «Coming In» Vielfalt feiert, sich aber aus rätselhaften Gründen nicht traut, sie in Worte zu fassen. Das Drehbuch findet allein Worte für Homo- und Heterosexualität. Bisexualität oder gar A- und Demisexualität existieren im Sprachgebrauch der handelnden Figuren nicht, so dass die 104-minütige Komödie längst nicht so aufklärerisch wirken kann, wie sie gerne würde.

Trotzdem ist Kreuzpaintner und seinen Co-Autoren ein Skript gelungen, dass leichtfüßig und dennoch versiert mit Klischees spielt und diese letztlich aushebelt. Schwuler Friseur? Klischee. Ein schwuler Friseur, der sich sehr gut in Männerbedürfnisse (egal welcher Orientierung) hineinversetzen kann, aber alles andere als ein Frauenversteher ist? Kein Klischee, sondern der Ansatz für eine interessante Figur. So zieht es sich durch den gesamten Film, wann immer er sich mit der schwulen Community auseinandersetzt – durch die bunt gemischte Truppe (unter anderem: August Zirner) kommt des Weiteren ein netter Subplot darüber zustande, wie unterschiedlich Homosexuelle zum Thema „Coming Out und das perfekte Timing“ stehen. Diese Momente sind ebenso gewitzt wie witzig, weshalb es umso ärgerlicher ist, dass «Coming In» hinsichtlich eines anderen Aspekts mehrmals ins Stolpern gerät: Die Gegenüberstellung der Highsociety und des Pöbels.

In den ersten rund zehn bis fünfzehn Minuten suhlt sich die Komödie in den üblichen Klischees der versnobten Schönen und Reichen, die viel zu schnell über die ehrlichen, bodenständigen Leute der unteren Mittelklasse urteilen. Dabei fällt es mitunter schwer, dem Film seine Position abzukaufen, so vorlaut-holpernd, wie Aylin Tezels Rolle Heidi in den ersten Filmminuten daherkommt und wie unausstehlich ihr laut-rüpelnder Lebenspartner Didi (Frederick Lau in einer undankbaren Nebenrolle) geraten ist. Da sind die nachdenklichen Freunde Toms, so eitel sie manchmal sein mögen, viel sympathischer, selbst wenn die stichelnden Dialoge und die distanzierende Inszenierung anderes suggerieren wollen.

Sobald der ganze Klassenkampf-Aspekt aus dem Fokus verschwindet, und die anfangs so ennervierend zappelige Heidi nicht mehr agiert sondern primär reagiert, entfaltet «Coming In» wohlgemerkt einen liebenswerten Charme. Dies liegt insbesondere an Hauptdarsteller Kostja Ullmann, der Tom als gutherzigen, nur minimal vom Erfolg verzogenen Mann zeichnet, der sich zuerst in seine neue Lebenssituation verliebt und sich dann ängstlich selbst hinterfragt. Ullmann gelingt diese Figurenzeichnung mit genügend Esprit, so dass der spaßige Tonfall des Films nicht untergraben wird, aber zugleich mit genügend Engagement, um dem Thema gerecht zu werden. Zudem stimmt in späteren Szenen auch die Chemie mit Aylin Tezel, die nicht zuletzt aufgrund des Stylings im letzten Akt stark an Lena Meyer-Landrut erinnert und ihre zunächst anstrengende Figur erfolgreich in ein charismatisches Energiebündel verwandeln kann.

Obwohl «Coming In» audiovisuell nicht durchweg seinen Ambitionen gerecht wird, hat diese RomCom wenigstens einen der besten Soundtracks, den das deutsche Liebeskino in den vergangenen Monaten zustande brachte. Die Idee, eine zentrale Haarschneidesequenz mit der Sinnlichkeit einer Sexszene auszustatten, ist indes reizvoll, scheitert aber an einer Überzahl an kitschigen Elementen. Es ist fast so, als wolle besagte Szene im Voraus all die überromantisierten Lichtbrechungen und schwärmerischen Blicke zwischen den Darstellern liefern, der bei einem anschließenden Nachtspaziergang der Protagonisten erfreulicherweise fehlt.

Schlussendlich überwiegen bei «Coming In» aber die Stärken die Schwächen: Etwas weniger formelhaft hätte die Erzählung gern sein dürfen, und die Gegenüberstellung zweier Gesellschaftsschichten sorgt leider auch für etwas Frust. Der grundsolide Dialogwitz und die tolle Chemie zwischen Ullmann und Tezel wissen diese Mängel dennoch aufzuwiegen. Und allerspätestens mit dem vortrefflich-pointierten Abspannsong kippt «Coming In» in den Sektor der besseren deutschen RomComs.

«Coming In» ist ab dem 23. Oktober 2014 in vielen deutschen Kinos zu sehen.

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