Die Kritiker

Ausgekokst durch die Nacht

von

Mit «Ausgekokst – mein Drogentrip» und «Herr Eppert: wie süchtig sind wir?» präsentiert ZDFneo während seines Sucht-Themenabends zwei starke Reportagen zum Thema Droge.

Programmablauf des ZDFneo-Themenabends

  • ab 20.15 Uhr: Zwei Folgen «Ausgekokst – mein Drogentrip»
  • ab 21.45 Uhr: «Herr Eppert: wie süchtig sind wir?» zum Thema Volksdrogen, Abstinenz und soziale Milieus mit Hang zur Sucht
  • ab 22.30 Uhr: «Neo Magazin» zum Thema "Stoff"
  • ab 23 Uhr: Zwei weitere Folgen «Ausgekokst – mein Drogentrip»
  • ab 0.30 Uhr: Gesellschaftsdoku «Kokain – Gier nach mehr»
  • ab 1.30 Uhr: Zwei Folgen «RauschGIFT»
  • ab 2.30 Uhr: «Wild Germany» über Alltagsdrogen
Stichtag: Donnerstag, 13. November
Die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten und ihre Themenschwerpunkte – eine wohl endlose Geschichte. Oft genug bemängeln vor allem jüngere Fernsehende den teils arbiträren Fokus der ARD-Themenwochen, aktuell sorgt zudem die Werbung für die „Themenwoche Toleranz“ für einen Sturm der Entrüstung. So stellt die Plakatkampagne zur Sonderprogrammierung die Frage, ob dunkelhäutige Mitbürger Belastung oder Bereicherung und Homosexuelle normal oder nicht-normal sind. Und in der Programmankündigung der hessischen Talkrunde «horizonte» heißt es: „Ist sich das knutschende schwule Paar in der U-Bahn eigentlich bewusst, wie viel Toleranz es seinen Mitreisenden abverlangt?“

Formulierungen wie diese legen nahe, dass die Verantwortlichen selber ein rückständiges Weltbild propagieren. Wenn sie denn so gemeint sind. Immerhin: Die Redaktion des HR-Talks reagierte auf die Kritik und ergänzte ihren Onlineauftritt um einen erklärenden Text, laut dem die Vorschau auf die nächste «horizonte»-Ausgabe bewusst provokant formuliert wurde, um eine Diskussion loszutreten.

Der öffentlich-rechtliche Digitalsender ZDFneo konnte unterdessen mit seinem am 13. November anstehenden Themenabend im Vorfeld vergleichsweise wenig Aufsehen erregen. Was einerseits für die Mainzer spricht, die auf effekthascherische Promo verzichteten (denn im „Idealfall“ war die ARD-Toleranzkampagne genau das). Andererseits ist es auch überaus bedauerlich, denn das Programm des Themenabends hat es verdient, beachtet und gesehen zu werden.

Aushängeschild der Sonderprogrammierung ist die vierteilige Reportage «Ausgekokst – mein Drogentrip» mit dem Schauspieler Rainer Meifert, der jahrelang schwer drogenabhängig war. Zu Beginn der Dreharbeiten zu dieser ungewöhnlichen Doku war er nahezu exakt ein Jahr lang clean. Im Vierteiler spricht er erstmals ausführlich über die Zeit, zu der er täglich gekokst hat, und setzt sich nicht nur mit seinen damaligen Fehlern und ehemaligen Freunden auseinander, sondern geht auch auf einen Drogentrip der anderen Art: Er verfolgt den Weg des Koks – von deutschen Drogenabhängigen zu großen wie kleinen Dealern, zurück zu den zumeist in den Niederlanden sitzenden Zwischenhändlern bis zur Wurzel des Übels: Kokshochburg Bogotá in Kolumbien.

«Ausgekokst – mein Drogentrip» gelingt dabei ein denkwürdiger Spagat zwischen introspektiv und allgemeingültigen Fakten über Koks. Die Informationen darüber, wie die Droge nach Deutschland kommt und hergestellt wird, unterstreichen, welch großes Geschäft mit dem weißen Pulver gemacht wird. Und auch wenn einige der Infos zum Allgemeinwissen gehören, wissen so manche Erkenntnisse aus Meiferts Drogentrip eben doch zu verblüffen. So gibt es, wie Meifert vorführt, in Berlin Drogentaxis, deren Kundschaft sich quer durch die gesamte Gesellschaft erstreckt.

Herzstück der Doku sind aber Meiferts Interviews mit Menschen jeglicher Art, die mit der Droge zu tun haben – vom Junkie oder Entzugsarzt bis hin zu ehemaligen Koksbauern. Die Gespräche sind intim, emotional und haben nicht nur eine Wirkung auf den Zuschauer, sondern sichtbar auch auf Meifert, der zu Beginn der Reise noch von der steten Angst spricht, rückfällig werden zu können. Spätestens mit seinem Besuch in Kolumbien, wo er unter anderem den früheren Präsidenten Cesar Gaviria interviewt, weicht diese Angst aus Meiferts Blick. An deren Stelle tritt reines Entsetzen darüber, was er als Süchtiger jahrelang unwissend unterstützt hat. Wie er in einem anderen Gespräch gesagt bekommt: Jede Line Koks unterstützt Verbrecher, die Kinder töten und Frauen vergewaltigen, um ihr Geschäft am Laufen zu erhalten.

Ob «Ausgekokst – mein Drogentrip» auf sämtliche Zuschauer solch eine Wirkung hat wie auf Meifert, bleibt derweil natürlich unklar. Denn Meifert reagiert nicht nur schockiert auf die Erkenntnisse, was Koks mit einem selber macht, sondern geht auch empathisch auf das Leid ein, dass das Drogenbusiness mit sich bringt. Ob Junkies auf der Höhe ihres Drogenkonums ähnlich reagieren, ist leider fraglich. Aber es ist ein hehrer Versuch von ZDFneo, mit dieser einsichtigen Reportage gegen die Sucht vorzugehen. Da lässt sich auch leicht über die wenigen Momente hinwegsehen, in denen die Dramatik der Reportage durch zu dick aufgetragene Off-Kommentare zu selbsterklärenden Fakten ganz kurz leidet. Wenn Meifert, der seine Interviews sehr gut führt, etwa erstaunt kommentiert „Kolumbien hat auch eine dunkle Seite“, wird deutlich, dass das Einsprechen von Reportagen nicht zu seinen Haupttätigkeiten gehört.

Im Rahmen des Themenabends zeigt ZDFneo zudem den ersten Part der Reportage «Herr Eppert: wie süchtig sind wir?», die sich mit einigen Fragen beschäftigt, die Meifert vor allem im ersten Teil seines Trips anreißt: Wer ist alles süchtig, wonach und wieso? Eine wiederkehrende Aussage: Viele greifen aufgrund von Leistungsdruck nach Drogen. Daher sind auch viele Ärzte und alleinerziehende Mütter süchtig. Und dann ist da, natürlich, noch der elendige Gruppendruck: So erzählt Meifert in seiner Reportage, dass er als introvertierter Einzelgänger in der oberflächlich-exzentrischen High Society nur dann Anschluss finden konnte, indem er mit Drogen seine Hemmschwelle senkte.

In den Worten des Sozialwissenschaftlers Professor Heino Stöver, der sich in «Ausgekokst – mein Drogentrip» über die wachsende Beliebtheit von Koks äußert: „Kokain ist eine Zeitgeistdroge. Der Zeigeist gegenwärtig fokussiert auf das Wachsein, das Wachsein zu einem bestimmten Zeitpunkt.“ Hoffentlich kann der ZDFneo-Themenabend etwas gegen diesen Zeitgeist unternehmen. Fundiert und aussagekräftig genug ist er zumindest.

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