Die Kino-Kritiker

«My Old Lady»

von

Ein emotionaler Kevin Kline begeistert in einer nicht ganz ausgegorenen Tragikomödie.

Hinter den Kulissen

  • Regie und Drehbuch: Israel Horovitz
  • Produktion: Rachael Horovitz, Gary Foster, Nitsa Benchetrit und David C. Barrot
  • Musik: Mark Orton
  • Kamera: Michel Amathieu
  • Schnitt: Jacob Craycroft und Stephanie Ahn
Mit rund 40 Broadway-Stücken und Drehbüchern in seiner Vita ist Israel Horovitz unumstritten ein alter Hase in seinem Fach. Abgesehen von seinem 51-minütigen Dokuessay «3 Weeks After Paradise» hat der 75-Jährige allerdings noch nie bei einem Kinofilm Regie geführt. Zumindest bislang. Denn basierend auf seinem gleichnamigen Theaterstück bringt Horovitz mit «My Old Lady» eine Tragikomödie auf die Leinwand, die als simples Lustspiel über einen generationenübergreifenden Mietzwist beginnt. Die mit den Oscar-Preisträgern Kevin Kline und Maggie Smith sowie der für den Academy Award nominierten Kristin Scott Thomas toll besetzte britisch-amerikanische Koproduktion entwickelt sich nach ihrem leichtgängigen Anfang jedoch nach und nach zu einem kernigen Drama über die Leiden, die uns unsere Eltern vererben.

Der New Yorker Mathias Gold (Kevin Kline) ist ein waschechter Pechvogel. Er hat keine Kinder, aber mehrere Ex-Frauen und riesige Finanzsorgen. Als sein Vater, der distanzierte Geschäftsmann Max Gold, stirbt, hinterlässt er Mathias kein dringend benötigtes Geld, sondern ein 500 Quadratmeter großes Apartment in Paris. Also kratzt Mathias all seine ihm verbliebenen Mittel zusammen, um nach Franreich zu reisen. Sein Ziel: Die Immobilie schnellstmöglich verkaufen und mit dem Erlös seine Schulden begleichen. Im herbstlichen Paris angelangt, erfährt Mathias, dass das Apartment von der über 90 Jahre alten Mathilde Girard (Maggie Smith) sowie deren Tochter Chloé (Kristin Scott Thomas) bewohnt wird. Mehr noch: Die spitzfindige Mathilde eröffnet dem sich unentwegt selbst bemitleidenden Unglücksraben, dass in Frankreich ein eigentümliches Miet- und Immobilienrecht existiert – die „rente viagère“, eine Art Immobilienleibrente. Man ersteht dabei eine Immobilie, indem man einer Person für den Rest ihres Lebens gestattet, dort zu wohnen und ihr eine monatliche Vergütung zahlt. Nach dem Ableben des Begünstigten erhält man die Immobilie ohne weitere Kosten. Mathias' Vater Max schloss solch eine „rente viagère“ ab – mit Mathilde in der Rolle der Begünstigten. Nach französischem Recht muss Mathias nun an Stelle seines Vaters der rüstigen Englischlehrerin ihre monatliche Rente von 2.400 Euro zahlen.

Für den überforderten New Yorker beginnt somit ein Albtraum, bestehend aus antiquierten Gesetzen, apartmentinternen Machtkämpfen und ihn überwältigenden Enthüllungen über das frühere Treiben Mathildes. Der großartige Kevin Kline ist dabei die wichtigste Stütze dieser Tragikomödie: Zu Beginn des Films entgegnet er als Mathias seiner unglücklichen Lage mit pointiertem, verzweifelten sowie ruhigem Humor. Höchst unterhaltsam zeichnet er das Bild eines Losers auf Lebenszeit, der seine besten Jahre nun auch schon hinter sich hat, und der es kaum fassen kann, dass er nun durch eine für ihr Alter überaus hartnäckigen Rentnerin weiter gedemütigt wird.

Obwohl «My Old Lady» die üblichen Witze über das Leben verlängernden Rotwein und die gesunde Ernährung in Frankreich reißt, und zunächst Fokus auf die Wortgefechte zwischen Mathias und der strengen Mathilde legt, reizt die Tragikomödie diese Form des Generationenkampfs nicht aus. Denn je mehr die von sich selbst überzeugte Mathilde über ihre Vergangenheit preisgibt, und je mehr sie über den seit jeher erfolglosen Schriftsteller erfährt, desto mutloser wird Mathias. Die von Maggie Smith mit einem gefährlichen Ego und entwaffnendem Esprit gespielte alte Dame demontiert das letzte bisschen Selbstwertgefühl ihres Untermieters, als wäre es ihre leichteste Übung. Und dies nicht einmal aus Gehässigkeit – dank Smiths Darbietung wird deutlich, dass Mathilde voll und ganz davon überzeugt ist, dass es ja sogar richtig nett und hilfreich wäre, Mathias für seinen Lebensweg zu kritisieren und darauf zu pochen, er sei an allem was ihm widerfuhr selbst schuld.

Und so wird die Situationskomik in «My Old Lady» im Mittelteil immer schwärzer, die Schlagzahl an Pointen lässt konstant nach und im gleichen Zug rückt Klines Performance stärker in den Vordergrund, dessen Mathias mit aller Macht den gelassenen Gemütsmenschen markieren will. Aber ein Spaziergang an der Seine und etwas frische Luft sind nicht genug, um Mathias zu beruhigen, so dass sich in seinem Gesicht von Szene zu Szene mehr Wut, Selbstmitleid und Trauer breitmacht.

Mit Kristin Scott Thomas als Mathildes Tochter Chloé, die sich mit aller Bissigkeit gegen Mathias und seine Wünsche verwehrt, das Apartment sobald möglich an einen Hotelier zu verkaufen, kommt kurzzeitig ein konventionelles, etwas lustlos eingearbeitetes Screwball-Element auf. Chloés anfängliche Garstigkeit gegenüber Mathias wird übertrieben dargestellt und die ersten gemeinsamen Szenen Klines und Thomas' sind schleppend erzählt, zudem verleiht Thomas ihrer Rolle zunächst wenig Profil. Sobald Chloé aber unfreiwillig zu Mathias' einziger Vertrauten wird, der er all sein Leid klagen kann, das dadurch entsteht, wie gelassen Mathilde alte Wunden aufreißt, trumpft aber auch die frühere Oscar-Anwärterin auf.

Es ist das mit präzise eingesetztem Humor gewürzte, dramatische letzte Drittel, das «My Old Lady» zu etwas Besonderem erhebt: Wie Klines Mathias eine Lebenskrise durchmacht, weil er vorgeführt bekommt, wie ungeliebt er sich dank seines Vaters fühlt, und Thomas' Chloé zwischen resolut, empathisch und rational schwankt, ist stark geschrieben und noch besser gespielt. Da stört es auch nur wenig, wenn sich zwischen den drei zentralen Figuren einige Streitpunkte auftun, die unplausibel schnell unter den Teppich gekehrt werden. Die sich allmählich entfaltende Thematik, dass wir als Menschen (nur?) zu gewissen Teilen allein das sind, was wir dank des emotionalen Erbes unserer Eltern aus uns machen können, wird hier dank Klines intensivem Spiel und der interessanten Figurenkonstellation nämlich dennoch sehr reizvoll behandelt. Die Auflösung kommt dann wiederum zu schnell – da hätte Horovitz lieber am konventionellen Mittelpart sparen sollen, der manche Länge aufweist.

Fazit: «My Old Lady» reizt sein Potential nicht ganz aus. Dafür lässt sich diese Tragikomödie zu viel Zeit, bis sich die wirklich interessanten Situationen entwickeln. Dank eines grandiosen Kevin Kline und einer amüsanten Maggie Smith ist dieser Generationenkonflikt trotzdem ansehnlich geraten.

«My Old Lady» ist ab dem 20. November 2014 in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.

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