360 Grad

Schuld ohne Sühne?

von

Georg Diez veröffentlichte bei "Spiegel Online" einen sehr negativen Text zum ZDF-Film «Das Zeugenhaus». Julian Miller widerspricht.

Meine inhaltliche Einschätzung zu Oliver Berbens Fernsehfilm «Das Zeugenhaus» dürfte bekannt sein. Mit meinem sehr positiven Urteil war ich nicht allein; es wurden aber auch ganz andere, ebenso dezidierte Meinungen publiziert. Unter anderem von Georg Diez bei „Spiegel Online“.

Was Diez dort schreibt, ist interessant, klug beobachtet, sicherlich valide. Und trotzdem kann ich ihm bei seiner Schlussfolgerung nicht zustimmen, «Das Zeugenhaus» sei im Kern ein exkulpatorischer Film, eine Verschiebung der Schuld auf die Wehrmacht, um die Deutschen an sich als weitgehend schuldlos darzustellen.

Womit er recht hat: «Das Zeugenhaus» ist ein Sammelsurium der Verklärung, Exkulpierung, Relativierung, des Nichtglaubens und Nichtverstehenwollens der Schuldigen, der Mittäter und Helfershelfer. Der dramaturgische Grund dafür – und der Effekt, den diese oftmals unfassbaren Zitate haben, die Diez so zahlreich auflistet – ist aber ein anderer als der, auf den er in seinem Beitrag anspielt, wenn er von der für Merkeldeutschland typischen Amnesie von Schuld und Geschichte schreibt.

Denn der Film entwickelt zu seinen Nazi-Figuren, u.a. dem Leibfotografen Adolf Hitlers, der Privatsekretärin Hermann Görings, dem ersten Chef der Gestapo und der Gattin Baldur von Schirachs, im narrativen Verlauf eine zunehmend ablehnende Haltung, einen Frame, der gerade ihre Kenntnis der bestialischen Verbrechen und Unmenschlichkeiten des Regimes und ihre (Mit-)Schuld daran betont. Dass diese Figuren ihre Schuld aber nicht eingestehen, sondern sich in die wildesten Erklärungen flüchten, lügen, betrügen, leugnen und verfälschen, liegt in der Natur der Sache. Psychologisch wie historisch wie dramaturgisch. Im Kleinen spielt sich im «Zeugenhaus» ab, was sich in der Bundesrepublik der späten vierziger, fünfziger und sechziger Jahre abgespielt hat: das organisierte Nichtwissenwollen, das von allen Seiten goutierte Unter-den-Teppich-kehren, das weiträumige Davon-kommen-lassen der (Mit-)Täter.

Die Haltung des Films ist nicht – auch nicht unbeabsichtigt oder implizit – auf der Seite seiner Verbrecherfiguren, derer, die da exkulpieren und herunterspielen, und derer, die sie das durchgehen lassen. Im Gegenteil: All die negativ besetzten Figuren werden durch den dramaturgischen Verlauf als das offenbart, was sie sind: Verbrecher und Täter, gleich welchen Ausmaßes. Dass das narrative Konstrukt ihre genauen Positionen im Nazi-Staat erst Stück für Stück aufdeckt, ist diesem Ziel nicht abträglich, sondern nur konsequent: Denn wenn man sich Nazis endlich nicht mehr als „die anderen“ vorstellen will, sondern als aus der Mitte der deutschen Gesellschaft erwachsen, muss man aufhören, sie als „die anderen“ darzustellen. Und genau das gelingt dem «Zeugenhaus» so vortrefflich.

Dass die NS-Verbrecher nicht einer kleinen Subkultur entsprangen, sondern vornehmlich „ganz normale Deutsche“ waren, wissen wir spätestens seit Daniel Goldhagen. Daher rührt auch ein Teil der berechtigten Kritik an «Unsere Mütter, unsere Väter». Denn dieser Film tat sich noch schwer mit einer solchen Einordnung. Berbens «Zeugenhaus» dagegen zeigt die Verbrecher und Helfer – freilich eher die Schreibtischtäter denn die mit den Maschinengewehren – endlich nicht mehr als überstilisierte, durch und durch verblendete Geisteskranke, sondern wagt sich an ein viel beunruhigenderes, schaurigeres, gefährlicheres Bild: Das des Alltagsdeutschen als Täter und Mitschuldiger. Und genau das verleiht dem Film seine Größe und Relevanz.

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