Die Kritiker

Wenn sich «Kommissarin Lucas» im Wald verliert

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Die Kritiker: Mit im Wald lebenden Menschen beschäftigt sich der neueste Fall der ZDF-Reihe «Kommissarin Lucas». Sein ganzes Potenzial schöpft der Film aber nicht aus.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Ulrike Kriener als Ellen Lucas, Michael Roll («Der König») als Boris Noethen, Lasse Myhr als Tom Brauer, Jördis Richter als Judith Marlow, Anke Engelke («Ladykracher») als Rike, Tilo Prückner («Rentnercops») als Max, Maximilian Brückner («Rubbeldiekatz») als Henning Niemeyer, Alexander Brendemühl («Die Liebe der Kinder») als Peter Schwertz, Emma Bading als Jessica Schwertz, Karl Alexander Seidel («Lippels Traum») als Hansi Pettenkofer und viele mehr


Hinter den Kulissen:
Regie und Buch: Ralf Huettner, nach einer Idee von Hartmut Schoen, Musik: Ralf Hildenbeutel und Stevie B-Zet, Kamera: Armin Dierolf, Produktion: Olga Film

Alltäglich ist es wahrlich nicht, wenn Menschen im Wald leben. Um ehrlich zu sein, tut das nur eine verschwindend geringe Minderheit. Mit einer Familie die genau diesen Lebensstil pflegt, beschäftigt sich aber der neueste Fall von «Kommissarin Lucas». Auf den Namen «Der Wald» hört die Episode ganz naheliegend. Schon vom Ansatz her also bietet Ulrike Kriener in der Rolle der Ellen Lucas eine interessante Geschichte. Erzählt wird im neuen Teil der ZDF-Reihe um es genau zu nehmen von der Familie des Peter Schwertz. Seine 16-jährige Tochter ist aus ungeklärten Umständen von einer Waldbrücke auf ein dort stehendes Auto gefallen. Nicht nur, dass sie dabei ein knutschendes Pärchen bei ihrer nächtlichen Turtelei gestört hat, nein, auch ist das Gesicht der Toten so dermaßen zerstört, dass eine Identifizierung schwer fällt. Deshalb und weil der Kontakt zum noch im Wald lebenden Vater nicht ganz einfach ist, bleibt lange viel im Diffusen. Auch bis die Ermittlerinnen die Mutter treffen, die getrennt von ihrem Ex in die Zivilisation zurückgekehrt ist, vergeht einige Zeit. So lange tappen die Damen und Herren der Polizei auf dunklem Waldboden.

Doch die Geschichte des Vaters bekommt man als Zuschauer schon früh geliefert und ist damit noch vor der Kommissarin im Bilde: Mit einer Tochter lebt er nach dem Tod des anderen Mädchens noch im Wald. Das Ziel allerdings ist dieses Leben noch nicht. Auf einem Stück Land in Kanada will er sich niederlassen. Seine Tochter findet die Idee nicht ganz so dufte, das junge Mädchen traut sich aber nicht, etwas dagegen zu sagen. Mit der Gesellschaft jedenfalls hat Peter Schwertz abgeschlossen. Er selbst steht vor einem gescheiterten Lebensentwurf, die Menschen haben ihn ohnehin enttäuscht, weiter über dem Ozean glaubt er Besserung in Sicht. Offensichtlich muss selbst seine Figur anerkennen, dass soziale Vereinsamung im Wald auch nicht der Weg ist. Aber wovon ist Schwertz eigentlich enttäuscht? Zum Beispiel von Monika, der Mutter seiner Kinder. Ursprünglich lebte die Familie, zumindest als sie noch eine war, in einer Art Kommune. Doch Monika fing etwas mit dem Kommunenoberhaupt an. Plötzlich spielte dann auch in dieser Gemeinschaft Eifersucht eine Rolle.

Unterdessen geht es allerdings auch im Leben der Titelgeberin rund: Auf der Dienststelle taucht mal wieder ein frisches Gesicht auf, Jördis Richter spielt die Figur Judith Marlow. Ihr Charakter wandelt zwischen überraschenden Vorschlägen und überraschender Ahnungslosigkeit. „Wie bekomm‘ ich denn jetzt ‘ne Hundestaffel?“, fragt sie beispielsweise und bekommt von ihrer Chefin nur einen Satz um die Ohren gehauen: „Na sie fordern eine an.“ Wie bekannt hat Lucas also nicht besonders viel Lust auf eine neue und unerfahrene Ermittlerin und bringt diese Abneigung auch gelegentlich zum Ausdruck. Nun wäre es zweifelsohne fatal der Figur Kommissarin Lucas alleine deswegen Abnutzungserscheinungen zu attestieren. Das stimmt schon alleine nicht, weil Ulrike Kriener ihre Figur in gewohnter Manier spielt: Pointiert und gekonnt. Dennoch sollte auf Autorenseite darauf geachtet werden, das bekannte Schema nicht zu oft anzuwenden, auch wenn es dieses Mal im Forstumfeld steht. Ähnliches gilt aber auch für die privat stattfindenden Neckereien: Da ist Vermieter Max (Tilo Prückner) genervt, weil er in Ermangelung eines funktionierenden Mobiltelefons die Gespräche für Ellen Lucas entgegen nehmen muss. Diese wiederum ärgert sich, weil ihr Auto nicht da ist und die Bauarbeiten in ihrer Wohnung nicht vorankommen. Und Rike Lucas, gespielt von Anke Engelke, ist auch da. Hat man in ähnlicher Form eben auch schon gesehen.

Fast neigt der Zuschauer davon zu sprechen, dass Figuren- und Storyentwicklung ein Stück weit erzwungen wirken. Im Fokus steht aber ohnehin das Geschehen im Wald. Die wirklich interessanten Punkte rücken hier allerdings zu selten in den Mittelpunkt. Es geht zu wenig um die Probleme der Gesellschaft und um persönliche Freiheit, sondern viel mehr um den Einzelfall, um den konkreten Familienkonflikt. Selbst die Kommune wird zu keinem Moment als gesellschaftliches Konstrukt dargestellt, was sicherlich im Kern von großer Bedeutung gewesen wäre. Viel zu oft wird die Geschichte auf die unterste Ebene runtergebrochen. Das ist in einigen Momenten sicherlich relevant, birgt vor allem auch emotionale Komplexität. Was die Story anbelangt kommt die Komplexität dadurch allerdings ein Stück weit abhanden, einfach im Konsum ist der Film nämlich – zumindest wenn man es mit anderen Fällen der Reihe vergleicht.

Dem Wald angepasst ist die Optik düster und einfach gehalten, was in diesem Fall eine bombastische Wirkung erzielt. Das reduzierte Bild lässt die Wirkung einiger Sequenzen, auch inhaltlich, ungleich stärker wirken. Alle Figuren, einschließlich der Kommissarin, werden auch absichtlich unschön inszeniert und echt dargestellt, was phasenweise beeindruckt. Wenn es um Spannung geht, braucht «Der Wald» aber langen Anlauf um in Fahrt zu kommen, auch nach 40 Minuten wartet der Zuschauer nämlich darauf, ehe es langsam beginnt. Hier schadet dann der „Waldmann“ selber ein wenig: Die hervorragend hässliche Optik macht Alex Brendemühl in seiner Rolle als Peter Schwertz durch sein in einigen Momenten noch immer zu sensibles Spiel ein Stück weit kaputt. Auch mit seinem Text passt das Spiel öfter nicht zusammen.

Ein generelles Problem ist dann auch, dass die Episodencharaktere oft nur halb so interessant sind, wie sie es gerne wären. Emotional folgt man vor allem der Off-Stimme, die sich als Rahmen um das Spiel legt. Anstrengend ist jedoch zum Beispiel die Figur Hansi. Anstrengend ist er aber freilich nicht aufgrund der (mittelmäßig gespielten) Behinderung, sondern weil er der Geschichte etwas nimmt. Wie aus dem nichts taucht die Figur auf, dass sie letztlich auch der Auflösung dient, wirkt dabei arg konstruiert. Dass die Beamten in den letzten Minuten nicht wegen unterlassener Hilfeleistung gegen eine (an dieser Stelle aus Spannungsgründen noch nicht näher zu definierende) Person ermitteln, erscheint mehr als fragwürdig. Vielleicht ist es dem bewusst offen gehaltenen Ende zu verschulden, das den Figuren auch gar keine Zeit dazu lässt. Wenn hier ein kurzer Moment Arthouse angemutet werden soll, dann gelingt es an dieser Stelle wiederum nur der Optik der Produktion, dem Anspruch gerecht zu werden.

Von der funktionierenden Gesellschaftsparabel ist der neue Fall von «Kommissarin Lucas» leider zu weit weg. Die Idee, sie war da, ein interessantes Sozialkonstrukt wäre ob der vorhandenen Grundkonstellation ebenfalls drin gewesen. Leider bewegt man sich dabei aber in vielen Momenten zu sehr auf die Mikroebene und verliert ein Stück weit den Blick für das große Ganze. Emotional hingegen wird der Zuschauer in vielen Sequenzen durchaus mitgenommen, was die vorhandenen Probleme zum Teil wettmacht. Gerade für Freunde der ZDF-Reihe lohnt sich das Einschalten damit wieder einmal, für alle anderen ist es sicher auch kein todlangweiliger Zeitvertreib. Eine Offenbarung allerdings wird es so oder so für die wenigsten sein, sofern man sich nicht auch das Leben im Wald wünscht. Aber dann hat man ja vor dem Fernseher wenig zu suchen.

Das ZDF zeigt «Kommissarin Lucas – Der Wald» am Samstag, 25. April um 20.15 Uhr.

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