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«Deutschland 83»: Ein Weckruf aus der DDR

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Auf «Deutschland 83» ruhen derzeit ganz viele Hoffnungen: Die RTL-Serienproduktion startet an diesem Mittwoch im US-Fernsehen und wird von der Kritik hochgelobt. Einen Preis hat sie bereits gewonnen. Ist «Deutschland 83» die Initialzündung, die deutsche Qualitätsserien auferstehen lässt?

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Darsteller: Jonas Nay als Martin Rauch/Moritz Stamm
Maria Schrader als Lenora Rauch
Ulrich Noethen als General Wolfgang Edel
Sonja Gerhardt als Annett Schneider
Ludwig Trepte als Alex Edel
Sylvester Groth als Walter Schweppenstette
Lisa Tomaschewsky als Yvonne Edel

Hinter der Kamera:
Produktion: UFA Fiction
Idee: Anna und Jörg Winger
Headautorin: Anna Winger
Regie: Edward Berger, Samira Radsi und Samira Radsi
Kamera: Philipp Haberlandt und Frank Küpper
Produzenten: Nico Hofmann und Jörg Winger
In ein paar Jahren könnte man zurückblicken auf diesen Sommer 2015, man könnte sagen, dass damit alles erst so richtig anfing: mit «Deutschland 83».

Von der RTL-Serienproduktion gehen viele Hoffnungen aus, es ist die erste deutschsprachige Serie, die in den USA im Fernsehen gezeigt wird. Und das noch vor dem Start hierzulande. RTL will das Format im Herbst ausstrahlen, im amerikanischen Sundance Channel startet es bereits in dieser Woche. Man könnte in ein paar Jahren also zurückblicken und «Deutschland 83» als einen Pionier erkennen, als den Stein des Anstoßes. Als das Format, das die Entwicklung zahlreicher Qualitätsserien aus den heimischen Landen ausgelöst hat.

Das Zeug dazu hat man, die Voraussetzungen auch. Das sagen Kritiker und das Berlinale-Publikum, welches die ersten Folgen vor einigen Monaten bereits bewundern durfte. „Spiegel Online“ empfiehlt, „unbedingt diese Serie zu schauen“, und „Time“ spricht von einer „fesselnden – und überraschend unterhaltsamen – Coming-of-age-Geschichte“. Verkauft wurde die deutsche Serie schon in zahlreiche Fernsehmärkte abseits der USA, darunter Frankreich und Schweden.

Formell hat «Deutschland 83» alle Voraussetzungen, um international zu bestechen. Natürlich thematisiert man den Kalten Krieg und die innerdeutschen Ost/West-Auseinandersetzungen. Es sind diese klassischen Geschichtsstoffe, für die deutsche Film- und Fernsehproduktionen international wahrgenommen werden. Leider, mag manch einer sagen. Aber es scheint Schicksal zu sein. Und auch ist es kein Selbstzweck: Die deutsche Geschichtsschreibung bietet hochspannende Unterhaltung, bietet Erzählungen von weltumspannender Wichtigkeit. Es ist fast zwangsläufig, dass das Cold-War-Thema zum internationalen Serienerfolg wird – hierzulande mag dies vielleicht manchen weniger gefallen, sind in Deutschland schließlich noch viel mehr fiktionale Geschichtsproduktionen zu sehen als im Ausland. Es ist einfacher, dort Aufmerksamkeit zu erregen, wenn es um diese klassischen Themen geht.

«Deutschland 83» erzählt von Martin, einem 24-jährigen Ostdeutschen, der gegen seinen Willen aus dem normalen Leben herausgerissen wird und künftig für die Stasi arbeiten muss. Er wird in den Westen geschickt, als Spionageagent. Sein Auftrag: Er soll die Identität eines Mannes klären, und er soll in den Dunstkreis eines NATO-Generals vordringen. Martins Leben ändert sich von einem Tag auf den anderen. Er wird vom unschuldigen Ossi zum wichtigsten Mann der Stasi, tauscht Chemiefaser gegen Puma-Shirt. Der moralische Konflikt zwischen Ost und West wird in dieser einen Figur widergespiegelt, in Martin. Eine Systemfrage schwelt mit.

Kritiker sind begeistert von der überzeugenden Mischung aus realer Geschichte und spannender Fiktion, die hier gelinge. Vielfach gelobt wird die konsequent eingenommene Perspektive von Martin, und damit der „losers'-history perspective“, der Perspektive des `Verlierers der Geschichte` (gemeint ist der Osten). Man vergleicht «Deutschland 83» mit dem Spionage-Thriller «The Americans», der in der Tat auf den ersten Blick eine ähnliche Geschichte erzählt. «The Americans» sei tiefgründiger, dafür verliere es sich aber auch manchmal in Belanglosigkeiten. «Deutschland 83» dagegen hat eine humoristische Komponente in sich, die erfrischt. Showrunner Jörg Weiler beabsichtigte genau diese auch als Alleinstellungsmerkmal: „Das Besondere sind vor allem die vielfältigen Tonalitäten, die wir in unserer Serie haben: Es ist spannend, lustig, berührend und unheimlich im ständigen Wechsel.“

Die Qualität hat schon jetzt Gehör gefunden; die Serie hat sich beim internationalen „Festival Séries Mania“ durchgesetzt gegen 21 Konkurrenten, ist von der Bloggerjury als „Beste Serie der Welt 2015“ gekürt worden. Pressevertreter und die Zuschauer zeichneten das Format zwar nicht aus, aber auch hier zählt die Nominierung mehr, als man im deutschen Seriengeschäft hätte erwarten können. Preise werden noch genügende folgen. Wichtiger ist: Nach Jahren der gefühlten Stagnation tut sich etwas in Deutschland, werden ambitionierte, anspruchsvolle Serienprojekte in die Hand genommen. Zehn Jahre zu spät zwar im Vergleich mit den USA und anderen Ländern, aber immerhin.

Dass die große deutsche Serienhoffnung gerade von UFA Fiction kommt, ist fast zwangsläufig. Das Produktionsunternehmen zeichnet seit Jahren für modernes Erzählen verantwortlich, die Vorgängerfirma hat unter anderem die Literaturverfilmung «Der Turm» und «Unsere Mütter, unsere Väter» gemacht. Letzteres besticht durch seine ungeschönt authentische, Darstellung des zweiten Weltkriegs und gebrochener Charaktere; «Deutschland 83» nimmt hier Anleihen. Von «Unsere Mütter, unsere Väter» sind einige Verantwortliche auch bei der Serie an Bord, unter anderem Produzent Nico Hofmann und Schauspieler Ludwig Trepte. Als Autorin fungiert die Schriftstellerin Anna Winger.

Die Macher scheinen einen eigenen, deutschen Erzählstil gefunden zu haben. Natürlich einen des horizontalen Erzählens – also nicht episodisch, sondern über ganze Staffeln hinweg, wie es bei Qualitätsserien üblich ist. Produzent Jörg Winger beschreibt die dänische Produktion «Borgen» als Inspiration für das erzählerische Element, man habe aber auch selbst experimentiert: „Die Erzählstrukturen der «SOKO Leipzig» haben uns in der Entwicklung erheblich beeinflusst. Wir haben dort in den letzten Jahren viel mit figurenzentrierten Plots experimentiert, und viel über horizontales Erzählen gelernt.“ Man hat insgesamt einen ganz eigenen Stil gefunden, adelt die „New York Times“: Sie vergleicht «Deutschland 83» mit einer Serie des Networks The CW, für die man allerdings Geschichte studiert haben – oder sich für die damalige Zeit interessieren – sollte. Eigentlich ein Widerspruch.

Man konterkariert also den Look&Feel von CW-Serien, die als Teenager- oder Coming-of-Age-Erzählungen für gewönlich soapig und wenig komplex daherkommen. Dennoch wird die Young-Adult-Komponente – also die des Erzählens eines jungen Erwachsenenlebens mit all seinen Problemen und Herrlichkeiten – nicht ausgespart. Für die „New York Times“ vermittelt das Format uns Zuschauern angesichts des atomaren Wettrüstens das unbehagliche Gefühl, dass „ältere Leute als du jederzeit die Möglichkeit haben, die ganze Welt in die Luft zu sprengen“. Der Spionagestoff sei insgesamt „erfrischend und unterhaltsam“ – kein schlechter US-Einstand für eine deutsche Serienproduktion. Wer hätte uns das vor einem Jahr schon zugetraut?

Die Vorzeichen stehen gut, dass «Deutschland 83» nicht dasselbe Schicksal erleidet wie andere hochwertige Serien aus deutschen Landen. Nicht dasselbe Schicksal wie die letzten hervorragenden Vertreter «Im Angesicht des Verbrechens» und «Kriminaldauerdienst». Sondern im Gegenteil der anfangs beschriebene Pionier ist, der eine Welle neuer deutscher Qualitätsserien auslöst, weil er auch international erfolgreich ist. Vielleicht hat in diesem Sommer 2015 alles angefangen.

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