Sonntagsfragen

'Es gibt ein urmenschliches Bedürfnis und wir nennen es Religion'

von   |  1 Kommentar

Vor dem Start der Doku-Reihe «Was glaubt Deutschland?» sprachen wir mit Reporter Steffen König über Religion im Fernsehen, die Unterschiede verschiedener Religionen und unangenehme Fragen als Reporter.

Zur Person: Steffen König

Der 34-jährige verdient seine Brötchen als Autor, VJ und Reporter beim SWR. Seine Fernsehkarriere begann jedoch zunächst als Kameramann und Cutter beim Jugendmagazin DASDING.tv, ehe er 2009/2010 ein journalistisches Volontariat beim SWR absolvierte. Danach war er für EinsPlus im Reportageformat «Mission Mittendrin» unterwegs, zudem fungiert er unter anderem als Autor für das Kulturmagazin «Kunscht!» und weitere SWR-Formate. Im Rahmen von «Was glaubt Deutschland?» reiste er durch Deutschland, um herauszufinden, wie unterschiedliche Religionen hoffen, lieben und feiern.
Herr König, Sie begaben sich im Zuge der dreiteiligen Doku-Reihe „Was glaubt Deutschland?“ auf eine Reise quer durch Deutschland. Das Thema Religion ist in den Medien noch immer sehr präsent. Gab es Begegnungen und Meinungen, die Sie völlig überrascht haben und von denen man in den Medien so gar nichts mitbekommt?
Eigentlich nicht. Aber mir fällt auf, dass es viel mehr religiöse Gemeinsamkeiten zwischen den Religionen gibt, als man gemeinhin annimmt. Für mich war es interessant, mal einen authentischen Einblick in andere Glaubensrichtungen zu bekommen. Natürlich weiß ich, dass Muslime beispielsweise fünf Mal am Tag beten und sich dabei hinknien, andere Dinge waren aber völlig neu für mich. Auch wie unterschiedlich Menschen innerhalb einer Religionsgemeinschaft unterwegs sind – von einer liberalen bis zu einer streng konservativen Ausrichtung. Letztlich ist das Leitmotiv der einzelnen Religionen aber eben immer das gleiche: Man soll ein guter Mensch sein.

Denken Sie, das Thema Religion wird im Fernsehen zu wenig oder falsch besprochen?
Das grundsätzliche Problem bei der Berichterstattung über Religion ist, dass sich kulturelle Eigenheiten mit religiösen häufig überschneiden - und dann aber gerne mal über einen Kamm geschert werden. Das Kopftuch ist da ein gutes Beispiel, weil es nicht in jedem muslimischem Staat verbreitet ist, genauso wie die Burka. Da gibt es auch innerhalb der Religionen eine sehr große Varianz und Bandbreite.

Häufig ist Religion auf den großen Sendern Thema in Wissensmagazinen oder Talk-Shows. Welchen Mehrwert soll die Dokumentation Ihrer Reise Fernsehzuschauern geben?
Wir sind ganz nah dran an den echten Menschen. Ich gehe mit in die Moschee, bete mit und schaue nicht nur von aussen zu. Für mich war es einfach eine tolle Erfahrung, diese Grenzen überschreiten zu können.
Steffen König über die Machart von «Was glaubt Deutschland?»
Ich hoffe es unterscheidet sich darin, dass nicht irgendwelche Spezialisten oder Theologen im Fokus stehen, sondern in den meisten Fällen Leute wie Du und Ich. Wir sind ganz nah dran an den echten Menschen. Ich gehe mit in die Moschee, bete mit und schaue nicht nur von aussen zu. Für mich war es einfach eine tolle Erfahrung, diese Grenzen überschreiten zu können. Ich käme auch nicht einfach so auf die Idee, zu fragen, ob ich mal in eine Synagoge hineinstolpern kann. Jetzt hatte ich die Möglichkeit und habe gesehen, dass Anhänger unterschiedlicher Glaubensrichtungen die Dinge zwar anders zelebrieren, aber auch hier sind die Grundmotive häufig die gleichen: zum Beispiel Hoffnung zu schöpfen und Halt zu finden.

Bei Ihnen kamen nicht nur Gläubige sondern auch Atheisten zu Wort, die beispielsweise von keiner Religion Regeln oder Gebote auferlegt bekommen. Wer ist denn glücklicher? Gläubige oder Atheisten?
Das ist eine schwierige Frage. In der dritten Folge geht es um Rituale. Darin haben wir Atheisten getroffen, die in einer Weise das kompensieren, was ihnen durch ihre Areligiösität fehlt. Rituale zum Beispiel. Ich weiß nicht, ob Ihnen der Begriff „Sunday Assembly“ etwas sagt. Das ist wie eine Art Gottesdienst angelegt und die Leute kommen am Sonntagvormittag zusammen, aber es wird nicht „Hallelujah“ gesungen, sondern zum Beispiel „Imagine“ von John Lennon. Es geht weniger steif zu als in einer traditionellen Kirche, was mir persönlich sehr gefallen hat. Dieses Community-Feeling, das viele vermissen, die nicht in Gemeinden involviert sind, kann auch anders stattfinden.

Der Glaube alleine hilft nicht weiter beim Glücklichsein, da spielt auch eine persönliche Komponente mit rein, auch wie man mit dem Leben umgeht. Religion kann eine Stütze sein, aber nicht dafür sorgen, dass man glücklicher durch das Leben rennt – leider.
Steffen König über das Glücklichsein
Von der baptistischen Familie, die wir besucht haben, konnte ich einen schönen Gedanken übernehmen. Vor dem zu Bett gehen hat der Papa mit den Kindern den Tag reflektiert, um sich dafür danach bei Gott zu bedanken. Ich habe ja zwei Söhne. Sie sind noch klein, da klappt das mit dem Reflektieren noch nicht so gut, aber ich würde dieses Ritual gerne etablieren und habe das auch schon einmal versucht. Das war sehr witzig, weil der Große danach meinte: „Amen.“ (lacht) Aber grundsätzlich zu sagen, wer glücklicher ist, geht nicht. Der Glaube alleine hilft nicht weiter beim Glücklichsein, da spielt auch eine persönliche Komponente mit rein, auch wie man mit dem Leben umgeht. Religion kann eine Stütze sein, aber nicht dafür sorgen, dass man glücklicher durch das Leben rennt – leider. Sonst wär ich schon längst aktiv in einer Gemeinde tätig (lacht).

Wenn Sie die Zielgruppe für „Was glaubt Deutschland“ einschränken würden, sozusagen eine Kernzielgruppe benennen müssten. Für wen ist die Doku gemacht? Für Gläubige, die mehr über ihre und fremde Religionen erfahren wollen oder für Menschen, die noch den richtigen Glauben für sich suchen?
Durch „Was glaubt Deutschland“ gewinnen die Zuschauer zumindest einen Einblick in andere Welten und bekommen vielleicht auch einen Impuls für eine intensivere Auseinandersetzung. Das kann für beide Zuschauergruppen befruchtend sein – für die Suchenden und für die Interessierten.
Steffen König über die Zielgruppe von «Was glaubt Deutschland?»
Ich hoffe, sowohl als auch. Im Idealfall nimmt das einem ja erst einmal die Hemmschwelle, sich mit einer Religion auseinanderzusetzen. Gerade wenn man ein spirituelles Bedürfnis hat. Wir haben aber alle nicht die Zeit, sich beispielsweise den Koran durchzulesen. Durch „Was glaubt Deutschland“ gewinnen die Zuschauer zumindest einen Einblick in andere Welten und bekommen vielleicht auch einen Impuls für eine intensivere Auseinandersetzung. Das kann für beide Zuschauergruppen befruchtend sein – für die Suchenden und für die Interessierten.

Die Episoden unterteilen sich in die thematischen Schwerpunkte Hoffnung, Liebe und Rituale. Was waren die gravierendsten Unterschiede, die Sie diesbezüglich zwischen den einzelnen Glaubensgruppen festgestellt haben?
Was mich überrascht hat, ist wie weit das Pendel ausschlägt. Während buddhistische Rituale von der Stille geprägt sind und sich die Anhänger durch die Wiederholung immer gleicher Floskel erden und in den Moment bringen, nutzen die Sufis, ein mystischer Zweig des Islam, die Meditation dazu, sich in einen Rauschzustand zu versetzen. Das war auch für mich sehr mitreißend und spannend zu erleben, welche Energie sich im Laufe so eines Gottesdienstes entwickeln kann.
Beide Religionen benutzen also das gleiche Instrument: Die Meditation. Aber das Ergebnis ist völlig unterschiedlich. Sich sammeln auf der einen, Extase auf der anderen Seite.

Religionen sind dogmatisch, deshalb ist es ja oft so, dass Leute schnell empfindlich auf Kritik reagieren. Sie haben es sich aber auch zur Aufgabe gemacht, unangenehme Fragen zu stellen. Gab es daraufhin auch unangenehme Reaktionen?
Überhaupt über Sex zu sprechen, ist natürlich immer ein bisschen heikel, aber es gehört einfach dazu. Ich habe auch eine Nonne gefragt: „Hatten Sie schon einmal Sex, bevor Sie ins Kloster eingetreten sind?“ Da habe ich eine längere Anlaufzeit gebraucht.
Steffen König über unangenehme Fragen
Spannend war es natürlich zu fragen, ob man vor der Hochzeit schon Sex hatte. Dazu habe ich auch eine Straßenumfrage gemacht. Und gerade die Passanten, von denen ich dachte, sie bedrohen und hauen mich gleich, haben oft ganz entspannt reagiert. Gerade bei älteren Menschen hatte ich echt Schiss zu fragen, aber da waren viele richtig locker. Auch bei der Muslima, mit der wir gesprochen haben, war ich nervös. Überhaupt über Sex zu sprechen, ist natürlich immer ein bisschen heikel, aber es gehört einfach dazu. Ich habe auch eine Nonne gefragt: „Hatten Sie schon einmal Sex, bevor Sie ins Kloster eingetreten sind?“ Da habe ich eine längere Anlaufzeit gebraucht (lacht). Auch bei anderen heiklen Themen waren die Reaktionen durchweg positiv. Ich vermute die Menschen freuen sich einfach, wenn man sich ehrlich für ihre Religion interessiert.

Warum messen wir dem Thema Religion eigentlich so viel Bedeutung bei? Haben Sie eine Antwort darauf erhalten, wieso Religion für uns so wichtig ist?
Unser Religionsexperte, der auch in der Doku zu sehen ist, sagt den schönen Satz, dass er glaubt, selbst Außerirdische hätten eine Art Religion, wenn wir welche treffen würden. Ich finde es schwierig, mich da zu weit aus dem Fenster zu lehnen. Ich habe ja auch Philosophie studiert, deswegen weiß ich, wie komplex so eine Antwort ist. Ich denke wir brauchen alle ein Grundgerüst, Hoffnung, Struktur im Leben, klare Regeln – auch wenn diese indoktriniert sind. Es ist schwierig, sich diese Regeln selbst aufzuerlegen und einfacher, wenn man jemanden hat, der das übernimmt. Das ist ein urmenschliches Bedürfnis und wir nennen es vielleicht einfach nur Religion.

Das klingt logisch. Sie werden auch das erste Mal als Reporter im Ersten zu sehen sein. Könnten Sie sich daran gewöhnen und wo soll es künftig hingehen?
Natürlich! (lacht) Da wäre ich nicht böse, solange ich solche Sachen machen darf. Etwas als Reporter stellvertretend für den Zuschauer herausfinden zu dürfen, das sehe ich als Privileg. Es ist einfach toll, diese Erfahrungen mitnehmen zu können. Wenn das so bleibt und Leute einem dann auch noch gerne dabei zuschauen, dann würde ich mich freuen.

Vielen Dank für das Interview!


Die drei Ausgaben von «Was glaubt Deutschland?» laufen am 17. (23.30 Uhr), 25. (0 Uhr) und 31. August (23.30 Uhr) im Ersten.

Mehr zum Thema... Was glaubt Deutschland?
Kurz-URL: qmde.de/80034
Finde ich...
super
schade
65 %
35 %
Teile ich auf...
Kontakt
vorheriger Artikel«America's Got Talent» legt kräftig zunächster ArtikelSo will Showtime das Lachen wieder finden
Es gibt 1 Kommentar zum Artikel
Elvenpath
14.08.2015 11:55 Uhr 1
Nein, dieses Bedürfnis gibt es nicht. Klar zu sehen an den neuen Bundesländern. Die Kinder der im Sozialismus aufgewachsenen Eltern, die nicht religiös indoktriniert wurden, haben kein Bedürfnis nach Religion. Ihnen ist Religion egal.



Wenn Religion ein menschliches Bedürfnis wäre, hätten die Kirchen im Osten nach der Wende einen massiven Zulauf erfahren. Das ist aber nicht passiert. Bis heute tun sich die Kirchen extrem schwer, in den neuen Bundesländern Zugewinne zu erzielen. Trotz Medienpräsenz und massiver staatlicher Unterstützung.



Ein Bedürfnis nach Religion haben nur die Menschen, die in ihrer Kindheit eine, mehr oder weniger, religiöse Erziehung genossen haben. Denen dieses Konzept als Kind schon vorgestellt wurde. Kinder, die aufwachsen, ohne mit erfundenen Göttergeschichten indoktriniert zu werden, haben kein religiöses Bedürfnis



Deswegen ist Religion kein "urmenschliches Bedürnis", sondern das Ergebnis von kindlicher Indoktrination und Gehirnwäsche.

Optionen

Drucken Merken Leserbrief




E-Mail:

Quotenletter   Mo-Fr, 10 Uhr

Abendausgabe   Mo-Fr, 16 Uhr

Datenschutz-Info

Letzte Meldungen

Werbung

Mehr aus diesem Ressort


Jobs » Vollzeit, Teilzeit, Praktika


Surftipp


Surftipps


Werbung