First Look

Check-in ohne Rückkehr

von

Noch mehr Blut, noch dunklere Atmosphäre, noch verstörendere Kreaturen. «American Horror Story: Hotel» geht über Grenzen hinaus. Darf's ein bisschen mehr sein?

Cast & Crew

  • Creator: Ryan Murphy, Brad Falchuk
  • Darsteller: Kathy Bates, Sarah Paulson, Evan Peters, Wes Bentley, Matt Bomer, Chloë Sevigny, Denis O'Hare, Cheyenne Jackson, Angela Bassett, Lady Gaga
  • Regie: Ryan Murphy, Bradley Buecker u.a.
  • Producer: Murphy, Falchuk, Dante Di Lorento, Tim Minear, James Wong u.a.
  • Location: Los Angeles, California
  • Produktion: 20th Century Fox Television u.a.
Es ist die dunkelste Staffel von «American Horror Story» bisher. Soviel hat uns Macher Ryan Murphy schon im Vorfeld versprochen. Aber nach der Premiere in dieser Woche ist auch klar: Es ist – wahrscheinlich mit Abstand – die blutigste, verstörendste, perverseste. Die Horrorgeschichte aus früheren Seasons wandelt sich zu einem bösen Fiebertraum, den man durchstehen will. «American Horror Story: Hotel» testet neue Grenzen aus. Auch die des Zuschauers.

Es ist 2015, das altmodische Hotel Cortez in L.A., California wirkt wie aus der Zeit gefallen. Sobald man von der belebten Straße in die Haupthalle eintritt, verändert sich schlagartig der Tonus. Dunkel ist es und ruhig, keine Gäste weit und breit. Die Größe der Halle überwältigt, verschüchtert, jedes Wort durchzieht die Stille unangenehm. Zwei junge Frauen aus Schweden checken ein und machen Bekanntschaft mit Rezeptionistin Iris (Kathy Bates), deren gute Laune schon vor Jahrzehnten verschwunden zu sein scheint. Sie führt die Gäste auf ihr Zimmer – durch verwinkelte Gänge, an mysteriösen Gestalten vorbei. Und immer ist es: dunkel. Dass die Schwedinnen ihren Aufenthalt im Cortez nicht überleben werden, ist offensichtlich. Sie sind nur weiteres Frischfleisch für die Hotel-Eigentümerin, genannt The Countess (Lady Gaga) – eine extravagante Erscheinung, deren weißes Kleid den perfekten Kontrast zum Cortez illustriert.

Typisch für «American Horror Story» macht man die Zuschauer anhand erster Opfer – hier die Schwedinnen – mit den Gepflogenheiten dieser Staffel bekannt. Sie sind das Beispiel und die Vorahnung von dem, was noch kommt: Zombies, die aus der Matratze steigen, Mumien mit einem speerspitzen Bohrer-Dildo (!), eine drogenabhängige Domina, blutrünstige Kinder. Oft genug fragt sich der Zuschauer, wie die Macher solch kranke Ideen erfinden. Ein weiterer neuer Gast wird bald ebenfalls malträtiert, und wir sehen noch mehr von dem Horror, der im Hotel durch die Gänge wandert. Ein WTF-Moment reiht sich in diesen ersten Minuten an den anderen. Atempausen gibt es nicht, die verstörende Atmosphäre wird nicht langsam hochgefahren, sie ist bereits von Anfang an da. Man stelle sich «Shining» vor, nachdem Jack durchgedreht ist. Das Setting erinnert an die besten Hotel-Horrorfilme, Kamerafahrten, Kulissen, Ausleuchtung tragen zur kunstvoll-irren Inszenierung bei.

Zunächst wirkt es, als würde keine Handlung stattfinden, als reihe sich ein blutiges Ereignis an das andere. Aber irgendwann findet die Premierenfolge dann doch in die Spur. Nach rund einer halben Stunde beginnt die Geschichte Konturen anzunehmen: Wir lernen Polizeidetektiv John Lowe kennen, der eine Serie brutaler Morde untersucht. Die Spuren führen ins Hotel Cortez – und zurück in seine Vergangenheit, in den größten Albtraum aller jungen Väter: Auf einem Kirmesausflug verliert Lowe kurz seinen Sohn aus den Augen, plötzlich ist dieser verschwunden. Anscheinend wurde das Kind entführt, es ist bis heute nicht wieder aufgetaucht. Lowe lernt nicht, mit dem Verlust zu leben. Ständig ist er auf der Suche. Jetzt, Jahre später, meldet sich der Entführer und bedroht Lowes Familie. Bald checkt auch der Detektiv ein im Hotel Cortez.

Souverän bedient uns «American Horror Story: Hotel» in seiner Auftaktfolge mit Charakterisierungen. Es gibt einige Rückblenden, die Hintergrundgeschichten der Charaktere offenbaren – von Iris, von Rob Lowe, von anderen Hotelbewohnern. Angesichts des perversen Terrors sind die Charakterisierungen wichtig, um dem Zuschauer zumindest einige normale Story-Anhaltspunkte zu geben, an die er sich klammern kann. Nur von der Eigentümerin nicht: Lady Gaga als Countess bleibt unnahbar, womöglich wird das in der restlichen Staffel auch so bleiben.

Mit der Figur der Gaga hat man einen Charakter wie keinen anderen geschaffen. Was die Hotel-Eigentümerin für Pläne hat, bleibt im Unklaren. Auch, ob sie die Morde in Auftrag gibt, ob sie weiß, was alles in ihrem Hotel vorgeht. Sie repräsentiert die diffuse Stimmung in Person. Gegen Mitte der Folge erlebt man Gaga nackt, in einer Sex-Orgie, in einem Blutbad liegend. Musik dazu: der Titel „Tear You Apart“ der Band „She Wants Revenge“. Man beginnt zu interpretieren: Welche Rache will Gaga? Warum? Die zahlreichen Handlungsfäden, die in dieser Auftaktfolge gelegt werden, sind stimmig und fixen an. Wieder übt «American Horror Story» eine irrationale Spannung aus. Auch wenn man – typisch für Ryan Murphy – damit rechnen muss, dass die Handlungsfäden nie oder stark konstruiert am Ende zusammengeführt werden.

Ein Vergleich zu früheren Staffeln der Horror-Anthologie erscheint schwierig. Es ist der versprochene Reboot, den man in diesem Jahr durchführt. Ohne die großartige Jessica Lange, aber mit einer Lady Gaga, die als undurchschaubare Kunstfigur brilliert. In der einen Szene ist sie die blutrünstige Vampirin, in der nächsten die (scheinbar) fürsorgliche sympathische Grand Dame. Schauspielerisch ist man auch hier auf gewohnt höchstem Niveau, nicht nur dank Gaga, sondern auch dank Kathy Bates und «AHS»-Inventar Sarah Paulson. Stichwort Reboot: Die sonst typischen Motive sind diesmal nicht gegenwärtig. Kein Aufbegehren gegen Missstände, keine Plädoyers gegen Ungleichheit, keine Themen von Identität und Zugehörigkeit. Vielleicht läuft es auf das zentrale Motiv Rache hinaus, auch dies wäre im Sinne des Reboot konsequent: Das humanistische Gedankengerüst früherer «AHS»-Staffeln würde damit ins Gegenteil verkehrt.

So lief die Premiere in den USA

Die erste Folge der «Hotel»-Staffel sahen am Mittwoch in den Vereinigten Staaten im Schnitt 5,8 Millionen Menschen ab zwei Jahren, also 0,3 Millionen weniger als den Auftakt der vierten Runde. Bei den Jungen hatte die Sendung aber doppelt so viele Fans wie das erfolgreichste Format der klassischen Broadcaster: «Chicago P.D.» kam bei den 18- bis 49-Jährigen auf ein 1.5-Rating, «American Horror Story» auf 3.0.
Genau das ist das Spannende in jedem Oktober: Wir Zuschauer wissen nicht, worauf es diesmal hinausläuft. Wir lassen uns ein auf diese Reise, wenn wir es aushalten. Daran könnte das Format aber diesmal vielleicht scheitern: an den Grenzen, die für einige Zuschauer überschritten werden, an der Brutalität, die uns erwartet. Die ersten Einschaltquoten lassen jedoch vermuten, dass das Publikum auch diesmal großen Spaß findet (siehe Infobox). Zumindest das ist klar: Auch im Jahr fünf weiß «American Horror Story» zu schocken und zu überraschen.

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